Yuck! Jetzt müssen wir über Ekel sprechen

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Wieso ist das Fleisch eines Esels ekliger als das eines Pferdes? Graust uns vor der eigenen Spucke? Vor Eigenblutwurst? Und wieso ekelte es Peter Handke vor der Macht? Über Natur und Kultur eines starken Gefühls.

Es wird immer ekliger!“ So beginnt die Gratiszeitung „Heute“ einen Bericht über einen „neuen Höhepunkt“ des Fleischskandals: In England soll in angeblichem Rindsfaschiertem Esels-DNA nachgewiesen worden sein. Die Abstufung ist interessant: Pferdefleisch ist eklig, Eselsfleisch ekliger. Wie das? Das Argument, der Esel, Equus asinus, zähle zur Familie der Pferde und sei nahe mit dem Hauspferd verwandt, zählt nicht: Das Ausmaß des Ekels lässt sich nicht durch DNA-Vergleiche voraussagen. Sonst müsste das Maultier, das Kind einer Pferdestute und eines Eselhengstes, in der Ekelskala zwischen Pferd und Esel rangieren.

Tut es das nicht? Man kann es in einem Gedankenexperiment versuchen. Etwa indem man sich vorstellt, vor einem lägen vier Sorten Salami, appetitlich aufgeschnitten: Pferde-, Maultier-, Esel- und Schweinesalami. Wer weiß, dass Salami ursprünglich aus Maultier- und Eselfleisch hergestellt wurde, wird wohl eher zu diesen Sorten greifen.

Menschenblut im Faschierten?

Mancher wird sich bei diesem Gedankenexperiment das Bild der lebendigen Tiere in den Kopf holen und fragen: Hat der Ekel vor dem Fleisch mit der Erscheinung des Herkunftstiers zu tun? Offenbar nicht: Das Schwein sieht, bei allem Respekt, schmutziger aus als das Pferd, und es frisst grauslichste Eintöpfe mit Lust, während das Pferd sauberes Gras und vielleicht ab und zu ein Stück Zucker verzehrt; aber trotzdem graust den meisten Österreichern, die weder Juden noch Moslems sind, offenbar vor Schweinefleisch weniger als vor Pferdefleisch. Wie eklig ein Tier uns ist, hat auch wenig mit der Nähe der Verwandtschaft zu tun: Vor Fischen ekelt uns weniger als vor den uns näher verwandten Amphibien, und viele Gourmets verschlingen ohne Würgen Weichtiere: Schnecken, Tintenfische, Austern. (Manche sogar mit Ketchup.)

Wie wenig die Vernunft den Ekel beherrscht, zeigt ein weiteres Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Sie essen gerade ein Faschiertes, da kommt der Koch an den Tisch, mit einem Verband an einem Finger. Er habe sich beim Zwiebelschneiden geschnitten und „wie ein Schwein“ geblutet, sagt er, aber dann, beim Kneten des kühlen Faschierten, habe die Blutung nachgelassen. Den meisten wird grausen: Was, dieser Kerl hat ins Faschierte geblutet? Dass in diesem Rinder- und Schweineblut (und womöglich, wie wir in den letzten Tagen gelernt haben, auch Pferde- und Eselsblut) sind, haben wir in dem Moment vergessen: Es ist das Menschenblut, vor dem uns am meisten ekelt.

Das ist unlogisch – genauso wie, dass uns vor einem Wasserglas, in das wir selbst soeben gespuckt haben, graust, obwohl wir regelmäßig ganz ungerührt unsere Spucke schlucken. Die Wiener Künstlergruppe Monochrom ließ Besucher ihr Blut spenden, verwurstete es und bot es ihnen als „Eigenblutwurst“ an. Etlichen grauste davor mehr als vor einer Wurst aus Schweineblut.

Ekel folgt keiner Logik. Er ist ein sehr direktes, sehr körperliches Gefühl: Wen es ekelt, der zieht die Mundwinkel auf eine ganz bestimmte Weise herab und die Oberlippe hoch und rümpft die Nase. Das ist die Mimik zum Brechreiz. (Das englische „yuck“ verbalisiert sie.) Es funktioniert auch umgekehrt: Wer die Mundwinkel so herabzieht, in dem keimt Ekel. Und wer einen Bleistift so zwischen den Lippen hält, sodass dieses Ekelgesicht nicht möglich ist, spürt weniger Ekel, wenn man ihm grausliche Bilder zeigt.

Wovor uns ekelt, wird durch die Kultur geprägt. So erzählen Briten gern über den „disgust“, den streng riechende französische Käsesorten in ihnen auslösen. Aber die Fähigkeit zum Ekel ist genetisch determiniert: Sie setzt ungefähr in einem Alter von drei Jahren ein, jüngere Kinder empfinden nicht einmal den Geruch von Kot als ekelhaft, schon gar nicht dessen Anblick. Doch alle Kulturen können sich darauf einigen, dass Verdauungsprodukte unappetitlich sind. Hundehalter besitzen immerhin die Größe, ihren Lieblingen nachzusehen, dass sie das anders sehen respektive riechen.

Wie kommt der Ekel zur Sexualität?

Welche Stoffe außer Kot und Urin sind „universal ekelig“? Eiter, Leichen. Schleim auch, aber nicht so stark. Die Interpretation liegt nahe: Ekelhafte Substanzen enthalten besonders viele Mikroorganismen, potenzielle Krankheitserreger. Ekel schützt uns vor Ansteckung. So erklärt sich wohl auch, dass manche Menschen Sexuelles eklig finden: Sex ist, wie Aids uns wieder gelehrt hat, leider oft auch eine ansteckende Angelegenheit. Bei Frauen ist die Assoziation Sex-Ekel übrigens häufiger; wie Frauen überhaupt häufiger ekelt, besonders in der frühen Schwangerschaft und kurz nach dem Eisprung – zu Zeiten, in denen ihr Immunsystem gedämpft ist.

So biologisch fundiert und sinnvoll der Ekel ist, er spielt – wie alle starken körperlichen Gefühle – in höchste geistige Sphären hinein. Auch unsere Ethik gründet auf sinnlichen Reaktionen, das zeigt die Sprache: Nicht nur Tugendbolde bezeichnen moralisch besonders Verwerfliches, etwa dreiste Korruption, als „unappetitlich“. Und Friedrich Nietzsche klagte im „Zarathustra“ über den „Überdruss am Menschen“ und seufzte sogleich „Ach, Ekel! Ekel! Ekel!“.

Handkes „Geräusche der Kindheit“

Der Ekel durchzieht Franz Kafkas Werk; und er ist auch bei Peter Handke, der viel von Kafka gelernt hat, zentral. „Ich bin sehr bedroht von Ekel“, sagte er in der „Kleinen Zeitung“: „Immer. Seit jeher. Das mag ich nicht an mir.“ „Wenn ich meinen Ekel vor Geräuschen loswerden könnte und meine Wut darauf!“, schrieb Handke – und nannte „Geräusche der Kindheit“, von den „Schluckgeräuschen des trinkenden Familienoberhaupts“ über „das klickende Nägelschneiden im Wohnzimmer“ bis zum „Gluckern des stinkenden Alkohols in die Gläser“.

Ebenfalls im „Gewicht der Welt“ steht der berühmte Ekelsatz: „Das Fette, an dem ich würge: Österreich.“ Und ein besonders schönes Beispiel für die Vergeistigung des Ekels finden wir in einem Essay Handkes aus dem Jahr 1973: „Seit ich mich erinnern kann, ekle ich mich vor der Macht, und dieser Ekel ist nichts Moralisches, er ist kreatürlich, eine Eigenschaft jeder einzelnen Körperzelle.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2013)

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