Sofie Thorsen: Schnitt durch den Raum

Historische „Spielplastiken“ sind Ausgangspunkt für die fragilen Papierskulpturen von Sofie Thorsen.

Dass sich Sofie Thorsens gerade erst neu bezogenes Atelier just in einer jener modernistischen Wohnanlagen befindet, die unter der Ägide von Architekt Roland Rainer (1910–2004) als oberstem Wiener Planungsstadtrat entstanden sind, mag ja Zufall sein. Dass das Flair dieser Umgebung die Kunst der Dänin, die vor 15 Jahren als Erasmus-Stipendiatin nach Wien kam, um an der Akademie am Schillerplatz bei Renee Green „konzeptuelle Malerei“ zu studieren, und danach nicht mehr wegwollte, aufs Trefflichste ergänzt, fällt hingegen fast schon unter Gesamtkunstwerk. Um Sofie Thorsen in ihrem Atelier zu treffen, flaniert man also erst durch die baumbegrenzten Straßen des Stuwerviertels. Dann quert man weite Betonflächen, die innerhalb der Anlage wie kleine Piazzas funktionieren, und von Büschen umgrenzte Rasenflecken, die bei aller Rationalisierung ein Stück Natur hereinholen. Im südlichsten Block der Anlage findet sich schließlich das Atelier. Dadurch, dass es exakt auf einer Höhe mit den umgebenden Plätzen liegt, wirkt es selbst wie ein Stück abgekoppelte Stadt.

Spielplätze für Erwachsene. Einzig vier Wände schützen und trennen den loftartigen Arbeitsraum vom Außenraum, doch dank zweier gegenüberliegender Stahlflügeltüren ist Kommunikation mit dem Außenraum jederzeit möglich. Sofie Thorsens Kunst ist hochgradig urban. Zumal die Bauten aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren darin als Referenz eine zentrale Position einnehmen, inklusive der diversen Ausprägungen von „Kunst am Bau“ und Kunst im öffentlichen Raum, wozu auch die „Spielplastiken“ zur Ausstattung von Grünflächen und Spielplätzen gehören, die von den Regierungen der Großstädte bei bildenden Künstlern in Auftrag gegeben wurden und jetzt im Zentrum ihrer bevorstehenden Ausstellung im Tresor des Bank-Austria-Kunstforums stehen. Neben unbekannten Künstlern finden sich unter den Pionieren auch große Namen: Aldo van Eyck (1918–1999) etwa, der mit seinen surrealistisch geprägten Plastiken im kriegsversehrten Amsterdam 700 (!) Spielplätze ausstattete; Isamu Noguchi (1904–1988), der ab den 1930er-Jahren vor allem in den USA wirkte, oder der dänische Bildhauer Egon Møller Nielsen (1915–1959). Keinesfalls will Thorsen als Stadtforscherin, Architekturkünstlerin oder -theoretikerin verstanden werden. „Mich interessieren ganz allgemein künstlerische Arbeiten, die mit bestimmten achitektonischen, zeitlichen und geografischen Situationen zu tun haben oder auch abstrakte Fragen zum Thema Raum formulieren“, sagt sie. „Dabei bleibt für mich die Architektur etwas Zentrales.“

Utopische Architektursprache. Typisch dafür ist etwa ihre großformatige Wandzeichnung für das Stiegenhaus des WienMuseums: „Baustelle (Aichenegg, Lenneisgasse 6–8, 1140 Wien)“ zitiert ein Sgraffito der österreichischen Künstlerin Hermine Aichenegg (1915–2007) in einem Wohnhaus im 14. Bezirk, das mit seiner Erzählung von Bauarbeitern auf einem mehrstöckigen Gerüst ein klassisches Wiederaufbauszenario darstellt.
In ihrer 55 Jahre später entstandenen Interpretation hat Thorsen die figurativen Bestandteile von Aicheneggs Wandarbeit ebenso wie die Bauarbeiter eliminiert und die Konstruktion damit auf ihre Geometrie und Linearität reduziert. Dieses Vorgehen der Eliminierung ist charakteristisch für Thorsens Arbeitsweise.
Das Wort „Leerstelle“ taucht nicht nur im Gespräch mit ihr wiederholt auf, sondern ist in Form von Ausblendungen und positiven oder negativen Cut-outs auch ein Leitmotiv ihrer Arbeiten. „Schnitt A-A‘“ nannte sie eine ihrer letzten Ausstellungen, die 2012 im Kunsthaus Graz und im Kunsthaus Baselland stattfand und mit ihrer Thematik eine weitere wichtige Station des vor drei Jahren begonnenen „Spielplastiken“-Werkblocks darstellt. Dass sich diese damit mehr und mehr als Schlüsselthematik herauskristallisierten, liegt für Thorsen allerdings nicht unbedingt in ihrer Inhaltlichkeit, sondern mehr in ihrer Formalität sowie der Formalität ihrer Dokumentation begründet, die sie über den Umweg der Reproduktion zum Ausgangspunkt ihrer fragilen Papierskulpturen macht. „Es geht mir bei den Spielplastiken nicht so sehr um Kunst für Kinder, sondern mich interessiert, dass es zum Teil sehr gute und spannende abstrakte Skulpturen waren“, sagt sie. „Dadurch, dass sie sich im Grenzbereich zwischen Design und Kunst abspielten, wurde vergleichsweise früh Abstraktion im öffentlichen Raum ermöglicht. So sind sie wie eine Reihe kleiner Utopien inmitten der nüchternen Wiederaufbauarchitekturen – eine Art Modelle für eine spätere utopische Architektursprache, die unbeobachtet im Feld zwischen freier und angewandter Kunst entstehen konnte.“

Für den Transfer in die eigene Arbeit spielen reproduzierende Verfahren wie Blaupause, Kopie, Vergrößerung eine wesentliche Rolle. „Ich bin schon an den Originalen interessiert“, sagt sie, „aber mindestens genauso interessiert mich die physische Qualität und Materialität meiner eigenen Arbeiten.“ So bilden zum Beispiel Repros von Spielplastiken aus Zeitdokumenten, die von Thorsen vergrößert, mittels Inkjetprint auf 200-grammiges Rollenpapier übertragen und dann ausgeschnitten werden, die Grundlage ihrer Installation im Tresor. Mit bunten Gestängen, über die die biegsamen Kartonsilhouetten wie zufällig geworfen sind, wecken sie die Erinnerung an Klettergerüste und Spielplätze – und damit vielleicht in manch einem auch die Sehnsucht nach einem Stück Kindheit.

TIPP

Bank-Austria-Kunstforum. „Sofie Thorsen“, Tresor, 23. 5.–14. 7. Die Dänin, die seit Langem in Wien lebt, befasst sich mit Spielskulpturen, die in der Nachkriegszeit das Stadtbild belebten. bankaustria-kunstforum.at

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