Helnwein: In der Kunst bleibt er angreifbar

AUSSTELLUNG: 'GOTTFRIED HELNWEIN - RETROSPEKTIVE' IN DER ALBERTINA
AUSSTELLUNG: 'GOTTFRIED HELNWEIN - RETROSPEKTIVE' IN DER ALBERTINAAPA/HANS KLAUS TECHT
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Die Albertina will Gottfried Helnwein zu seinem 65. Geburtstag als große Einzelfigur, als Malerfürsten würdigen. Seine wahre Bedeutung, das Sprengen der Grenzen der klassischen Kunst, wird dabei geopfert.

In der Kunstgeschichte hat Gottfried Helnwein keine Chance gehabt, so stellt er sich selbst gern dar: Er sei eben ein Autist und Autodidakt gewesen, als er mit 16 an der Wiener Grafischen beschloss, Künstler zu werden. Und auch später, als er Ende der 60er auf der Akademie in die Klasse von Rudolf Hausner, den Hort der Realisten, eincheckte – andere Künstler hätten ihn nie interessiert. Sein Ziel war es, Mitglied der Rolling Stones zu werden. Nicht Artikel im „Kunstforum International“ zu bekommen.

Weder will Helnwein damals die Aktionen von Rudolf Schwarzkogler gekannt haben, der schon 1965/66 sein Modell mit Mullbinden verband und mit weißer Farbe bemalte. Noch sagte ihm Gerhard Richter etwas, der damals mit großem Erfolg einen durch bewusste Unschärfe kritisch scharf gemachten Fotorealismus pflegte. Es sei für ihn ein Schock gewesen, wiederholt Helnwein gern, als ihm plötzlich jemand einen Katalog mit Werken des 1969 bereits gestorbenen Schwarzkoglers überreichte, mit den Worten: „Von ihrem großen Vorbild.“

Das Böse, das Opfer, der Mythos

Ein Schock ist es auch, wenn man diese zumindest zu Beginn unwissentlichen Parallelen jetzt in der Albertina (kommentarlos) präsentiert bekommt. Denn eines muss man Helnwein zugestehen: Zu Lebzeiten Schwarzkoglers war dessen Werk tatsächlich nur einem engsten Kreis bekannt. Und Helnwein begann schon vor 1970, vor der ersten Schwarzkogler-Schau in der Galerie Krinzinger, sich selbst zu verletzen und zu verbinden. Spätestens 1972 aber hatte Schwarzkogler seinen Durchbruch auf der „Documenta 5“. Das ging durch die Medien. Und die las Helnwein ja schon als Kind immer genau. Wenn auch vielleicht nicht die Kulturseiten, sondern die politische Berichterstattung u. a. über die Nazi-Prozesse, die ihn derart abstießen und faszinierten, dass es ihn fürs Leben prägen sollte. Das Böse. Das Opfer.

Auch wenn er mit keiner seiner Techniken, sowohl bei seinen frühen Aktionen als auch in seiner fotorealistischen Malerei, der Erste war, was in der Kunstgeschichte nun einmal nicht unwesentlich ist, hat er sich dennoch mit einem Thema in die Kulturgeschichte des 20.Jahrhunderts eingeschrieben. Seine Bilder von Gewalt an und auch Gewalt von Kindern haben dadurch eine Popularität erhalten, die vielleicht nicht immer leicht zu ertragen, aber auch nicht zu unterschätzen ist. Helnwein hat mit seinen unendlich großen, plakativen, pathetischen Darstellungen von Kinderleid derart die Grenzen einer selbstkritischen, skeptischen, nachmodernen Kunst gesprengt, dass man sich verdammt schwer tut mit einer Kategorisierung. Vielleicht sollte man sie einfach lassen, vielleicht ein neues Wort erfinden, Ervolkskünstler oder so. Oder vielleicht in ein anderes Genre ausweichen – Pathosrock? Pathospop? Mit einer Prise Caravaggio?

Die von Elsy Lahner kuratierte Ausstellung geizt jedenfalls nicht mit großen Bühneneffekten, es wird sowohl chronologisch als auch „auf Sicht“ gehängt. Wobei die größte Überraschung ein zartes Aquarell ist, mit dem Helnwein sich 1969 auf der Akademie beworben hat. Es zeigt ein Mädchen, das gerade seinen Zwilling erdolcht hat. Mit Blutspritzern bedeckt blickt es den Betrachter direkt an, der Blick völlig ohne Arg. So ist auch Helnwein in die Kunst gegangen. Ohne Arg. Und hat dennoch einen existenziellen Teil von ihr geopfert, ihre Regeln skrupellos verleugnet, ihr nicht einmal das Bild Hitlers als Baby in Marias Armen erspart, um an sein Ziel zu gelangen, sei dieses jetzt Entenhausen, wie er gern sagt, oder die Popularität seiner Rockstarvorbilder.

Amoklaufendes Mädchen schon in 70ern

Derartig ambivalent ist Helnwein immer wieder, wenn er etwa den Turbokapitalismus geißelt, während sein großer Sammler und Ausstellungsleihgeber, Hedgefonds-Millionär Christian Baha, in der ersten Reihe sitzt. Und auch derart ungewollt visionär war Helnwein schon immer. Auch in den Siebzigerjahren schon, als man noch nicht daran dachte, dass Kinder Amok laufen könnten, malte er schon Derartiges. Doch das Bild sei leider in Wien verschollen, trauert der in Irland und Los Angeles lebende Helnwein. Dieser Maler weiß, wie man Künstlermythen erstellt, die Kindheit grau, erst durch Comics zum Leben erweckt, die spätere Künstlerexistenz einsam und getrieben, sogar die Heimkehr in den Schoß der bisher so verachteten Kunst fehlt nicht – in späten Jahren in Florenz entdeckt er mit großen Gefühlen die alten Meister.

Warum diese Ausstellung gerade in der Albertina zu sehen ist, diese Diskussion sollte man vielleicht endgültig begraben. Was schon zu monieren wäre, sind die Scheuklappen, die heute in Museen üblich sind, wenn es an die Ehrung von Künstlern durch große Einzelausstellungen geht. Eindeutig soll Helnwein klassisch als große Einzelfigur, als Malerfürst dargestellt werden. Seine hierbei vielleicht störenden Aktionen im öffentlichen Raum, seine Arbeit für Zeitschriften bleiben außen vor, obwohl in dieser Breitenwirksamkeit, in seiner eindeutigen „Lesbarkeit“ seine allergrößte Stärke liegt. Innerhalb der Kunst aber bleibt er angreifbar. Stilistisch von Beginn an. Und auch thematisch hat er schon Konkurrenz bekommen, mit den „bösen“ Kindern von Yoshitomo Nara oder den bewaffneten Kinderarmeen des russischen Kollektivs AES+F (Bericht über einen Abend mit dem Künstler siehe Seite 31, Ausstellung bis 13. 10., tägl. 10–18, Mi. bis 21h

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2013)

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