Otto Muehl: Künstler, Verbrecher, Demagoge

Otto Muehl: Künstler, Verbrecher, Demagoge
Otto Muehl: Künstler, Verbrecher, Demagoge(c) EPA (HERBERT PFARRHOFER)
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Man sollte ihn nicht unterschätzen, weder kunsthistorisch als Aktionisten, noch als Utopisten, noch als Verantwortlichen für das Schicksal und Unglück von vielen. Am Sonntag ist Otto Muehl in Portugal gestorben.

Kein anderer Künstler verkörperte die gesellschaftliche Revolution 1968 so wie er. Ihre utopistischen Ideale, ihr brutales Scheitern. Er hat es bis zu Ende gedacht, getan, gelebt. Am Sonntag hat Otto Muehl damit aufgehört, in seiner „Artlife“-Familienkommune in Portugal, wo er seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis 1997 lebte. Mit seinem Tod schließt sich ein seltsamer Kreis in der österreichischen Kunstgeschichte. Denn seit Egon Schiele hat kein Künstler hier derart polarisiert wie Muehl. Beide beschäftigten sich intensiv mit den in ihren Zeiten aktuellen Reformbewegungen und kamen schließlich mit den Gesetzen in Konflikt, weil sie die Rechte von Minderjährigen nicht akzeptierten. Es ging um Erotik bzw. um Sex und die Idee rücksichtsloser Freiheit.

Schiele kam am Beginn des Jahrhunderts mit Untersuchungshaft und einer Einigung hinter den Kulissen davon. Muehl wurde am Ende der Epoche u.a. wegen „strafbaren Handlungen gegen die Sittlichkeit“ zu sieben Jahren verurteilt, die er bis auf ein halbes Jahr absaß. Beide wurden von Rudolf Leopold gesammelt. Beide waren wesentliche Künstler. Zumindest Muehl war auch ein Verbrecher. Er tat, was man in letzter Konsequenz nicht tut in der Kunst, er nahm sich beim Wort und setzte um, was er in den Sechzigern in anarchistischen Manifesten gefordert hatte: die „direkte Kunst“, realisiert in einer Kommune, die sich von der Sozialutopie in ein Trauma wandelte, zu einem totalitären Bespitzelungs- und Missbrauchsapparat.

Ende der Malerei, Beginn der Aktion

Dabei begann auch bei Muehl alles so harmlos, mit der Malerei, mit einer kleinen Ausstellung irgendwo. 1960 war das. Auf dieser lernte der Lehrer, der damals bereits Mitte 30 war, zwei junge Wilde kennen, bestaunte ihr Wüten. Günter Brus und Alfons Schilling zerstörten das Tafelbild, überwanden es, wie damals schwer angesagt. Ein Jahr später traf Muehl auch Hermann Nitsch, alle gut zehn Jahre jünger. Und schließlich begann auch er zu experimentieren, verwendete Schmutz, Abfall, arbeitete seine Kriegserlebnisse bei der Ardennenoffensive auf.

1962 ließ er sich mit Nitsch und Adolf Frohner in seinem Atelier, dem Perinetkeller, einmauern. In der Mutterhöhle wurden Opfer gebracht und Matratzen zerfetzt, bis nach drei Tagen eine Frau den Stein vom Grab rollte sozusagen – der Wiener Aktionismus war erstanden. Vom Materialbild kam Muehl zur Materialaktion – 1963, mit der Versumpfung seiner ersten „Venus“, eines nackten Modells, begann eine lange Reihe immer spektakulärer werdender Events. Mit den nackten Körpern seiner Mithelfer und Mithelferinnen wurde die bürgerliche Gesellschaft attackiert, immer mehr flossen auch aus der Psychoanalyse entlehnte Erzählungen mit ein, was sich später zu einer Art Kunsttherapie Muehls entwickeln sollte.

Während sich von Deutschland bis in die USA alles ideologisch radikalisierte, überließ man in Österreich den Künstlern die Revolution. „Zock“ hieß das Zauberwort, unter dem sich die Wiener Avantgarde zu anarchistischen Orgien versammelte, wie man sie besser nicht erfinden könnte. 1967 etwa zum „Zock Fest“, bei dem Oswald Wiener Knödel ins Publikum schmiss, Attersee „Etwas Schönes“ in Rosa aufblies, Muehl eine Küche zerdrosch, Nitsch rote Farbe über einen Lammkadaver leerte. Und Peter Weibel skandieren wollte: „Österreich, geschichtslos, von der Geschichte verlassen, braucht Zock. Zock gibt dem Bestehenden den Schuss, den Tritt in den Arsch, der das Bestehende in Gang hält.“ Doch davor unterbrach die Polizei, ein wesentlicher Bestandteil der Inszenierung.

Es ging gegen das Establishment, medialer Höhepunkt war 1968 die Uni-Aktion „Kunst und Revolution“, die das Ende der Kernzeit des Wiener Aktionismus markierte. Muehl musste zwei Monate in Untersuchungshaft. Doch er blieb anders als andere in Österreich, er hatte seine Berufung gefunden, die 1970 bis 1990 in der linken Kommune „aao“ („aktions analytische organisation“) im burgenländischen Friedrichshof gipfelte. Bis zu 600 Mitglieder und 30 Stadtkommunen in ganz Europa gehörten ihr im Lauf der Zeit an. Ein unglaublicher Apparat. Die politische Mitverantwortung, dass hier eine linke Sekte u. a. mit starken finanziellen Interessen entstehen konnte, ist noch aufzuarbeiten (so bekam die Privatschule der Kommune etwa Öffentlichkeitsrecht!). Wie auch die Rolle der Mitglieder und vor allem Frauen, die Muehl zu dem irren, gottgleichen Guru machten, der er schließlich war.

Und der Haifisch, der hat Zähne

Sieht man die Fotos der letzten Jahre, des zahnlosen, an Parkinson erkrankten Mannes, der am Computer zynisch bunte Haifischbilder bastelte, scheint fast unvorstellbar, dass dieser ein derartiges Charisma hatte entwickeln können. Ein Charisma, das noch Jahrzehnte nach Kommunenende ehemalige Mitglieder, die sich eigentlich kritisch engagierten, wie unter Hypnose erzittern ließ, nur weil sie in den Bewegungen eines Muehl-Sohnes „ihren Otto“ erkannten. So beobachtet 2004 bei der Eröffnung der heftig kritisierten Muehl-Ausstellung im Wiener MAK.

Damals begann man, das Dilemma Muehl breit zu diskutieren. Kann man seine Kunst ausstellen, ohne die Kommunenzeit kritisch zu thematisieren? Kann man aus einem Gesamtwerk, das nur in der Verschmelzung von Kunst und Leben Sinn und Bedeutung generiert, die künstlerischen Artefakte herausfiltern? Nein. Man muss immer die ganze Geschichte erzählen. In Kommunikation mit denen, die involviert waren. Als Modelle etwa oder als unfreiwillige Materiallieferanten wie bei den „Aschebildern“, für die Muehl die Tagebücher der Kommunarden verbrennen und zu Farbe mischen ließ.

Es war eine Ausstellung im Leopold-Museum 2010, zu Muehls 85. Geburtstag, die wegweisend war für einen neuen Umgang. Sie bewirkte auch, worauf die Ex-Kommunarden, die sich als Opfer sahen, lange hatten warten müssen – Muehl entschuldigte sich: „die stellungnahme der jugendlichen damals im gerichtssaal machte mich fassungslos. ich wollte sie befreien und habe sie mit sexueller überschreitung stattdessen überrumpelt und gekränkt. (...) ich hoffe, dass sie mir verzeihen.“ Spät scheint er seine Fehler erkannt zu haben. Wozu auch sein Leben in seiner neuen Kommune geführt haben soll, so klein wie eine bürgerliche Großfamilie. Schlussendlich. Otto Muehl. Er möge ruhen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2013)

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