Ausstellung: Der Maler als „intelligenter Zweifler“

ürgen Messensee
ürgen Messensee(c) FABRY Clemens
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Das BA-Kunstforum zeigt Jürgen Messensees jüngste Bilder. Der Wiener Maler erhöht mit zeitloser Archaik das Flüchtige unseres Alltags. Er malt auf riesigen Kalenderblättern, Notizzetteln oder den Fliesen der Pariser Metro.

Das hätte man nicht erwartet. Ist das tatsächlich das Foto einer One-Minute-Sculpture von Erwin Wurm, das Jürgen Messensee da frech übermalt hat? Gleich am Beginn der heute eröffnenden Ausstellung im Kunstforum hängt das dreieinhalb Meter lange Bild. Links steht eine Frau wie eine schwarze Stele vor einer weiß getünchten Ziegelwand, zur Unkenntlichkeit eingemummt in einen schwarzen Anorak. Rechts geht die weiße Wand weiter. Nur hat hier jemand etwas daraufgekritzelt, was grob nach primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen aussieht. Wildes Leben . . .

„Nein“, muss Messensee lächeln. Wurm habe damit gar nichts zu tun. Zufällig habe er diese Anzeige für ein italienisches Modelabel in einem Magazin gefunden und ins Plakative vergrößert. „Design for easy living“ kann man noch das Motto der schicken Firma lesen. Statt des Logos steht jetzt aber „Messensee“ darüber, verkehrt. Der Maler als „intelligent designer“? Im Falle Messensees eher als „intelligenter Zweifler“. Vor allem daran, was denn „Wirklichkeit“ wirklich ist. Zeit, Raum, Wahrnehmung – das sind die Begriffe, die den Wiener Maler, Jahrgang 1936, umtreiben. Was ist sie denn, die Wirklichkeit? Die linke Seite des Bildes mit dem modischen Mädchen? Oder die rechte Seite mit der archaischen Handschrift, dem kulturhistorischen Rucksack? Die Fotografie oder das Codierte? „Wenn es nur eine einzige Wahrheit gäbe, könnte man nicht 100 Bilder über dasselbe Thema malen“ – Picasso liefert uns den Kalenderspruch dazu.

Überall Brüste und Vulven, wenn man will

Messensee teilt mit diesem mächtigen Urmaler die Leidenschaft für die Frauen. Wenn man das einmal weiß, sieht man plötzlich überall Brüste und Vulven, also Dreiecke, auftauchen im gestischen, das heißt intuitiv gezeichneten und gemalten Formengestrüpp. „Welche ist die Schönste?“, fragt Messensee vor der zweiten monumentalen Bildwand (achteinhalb Meter!), dieser für ihn idealen Ausstellung – kein Rückblick wie 2006 im Essl-Museum. Sondern fast ausschließlich Bilder der vergangenen sechs, sieben Jahre. Eine Fangfrage. Sechs auf das archaisch Wesentliche reduzierte Grazien hat er hier auf Fotografien der Fliesenwände der Pariser Metro geworfen. Der Maler entscheidet sich natürlich für die malerisch elaborierteste. Die Frau für die vorteilhafteste. So weit, so „wahr“, die Klischees.

Doch das „wirklich“ Schöne an Messensees neuen Bildern ist, dass es darum eigentlich nicht mehr geht. Nicht um die Schönheit. Nicht um die Frauen (danke!). Sondern darum, der Zeit ein Schnippchen zu schlagen, indem er dem Flüchtigen Würde, einen Hauch malerischer Ewigkeit verleiht. Wie schlampige Graffiti wirken die „Metrowomen“ – und werden durch den Trick mit der als Hintergrund wiederverwendeten U-Bahn-Wand zu kulturaffinen Zeitreisenden. Zu zeitreisender Höhlenmalerei, nicht zu zeitgemäßer Street Art. Die Fliesenwand gibt es übrigens auch pur, ohne Beschriftung. Ein unpathetisches Denkmal für etwas, das es immer seltener gibt: leere Wände im öffentlichen Raum. Messensee hat es auf diese „Medien“ abgesehen, die nur wahrgenommen werden, wenn sie beschriftet sind. Abgerissene Zettel aus einem Ringbuch hat er ebenso in das Überdimensionale „jetdrucken“ lassen wie Kalenderblätter, die er beide vorher bemalte. In neuer Größe überarbeitet Messensee seine Prints aber dann noch einmal. Woraus sich ein virtuoses Spiel aus maschinellem Abdruck und händischem Ausdruck ergibt.
Manchmal ist die Täuschung schon fast zu perfekt wie auf dem über zwei Meter hohen Pfingstmontag-Kalenderblatt von 2012. Noch extremer hat es Messensees jüngerer Kollege Stefan Sandner gedacht, der Notizzettel auf Leinwand übertrug. Bei der Biennale Venedig sind zur Zeit die säuberlich abgenommenen Tafelzeichnungen des Anthroposophen Rudolf Steiner zentral. An diese kryptischen Bilder auf schwarzem Grund erinnert auch Messensees Bild „Quantenlicht“ (Quantenphysik scheint heute das zu sein, was für Künstler um 1900 der Spiritismus war): Nur dass bei Messensee doch tatsächlich ein zerknülltes Patzerl Küchenrolle mitten im Bild (man möchte gar nicht an Klopapier denken!) die irren Energiebahnen erdet. So oder so kann sie nun einmal sein, diese Wirklichkeit.

4. September bis 9. Oktober, tägl. von zehn bis 19 Uhr, freitags von zehn bis 21 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2013)

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