Istanbul: Protestkunst zwischen den Fronten

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Biennale. Protest und Widerstand sind heuer Thema. Doch braucht das explosive Istanbul wirklich noch die Kunst als Destabilisator? Die Kuratorin weist indes den Künstlern die Rolle der Barbaren zu.

Keine Pressekonferenz. Keine Eröffnungsfeier. Die Kosten würden eingespart, um heuer freien Eintritt für die Biennale zu ermöglichen, wird uns erklärt. Aber spielt da nicht auch die angespannte Lage in Istanbul hinein? Schließlich ist die Metropole am Bosporus seit der gewalttätigen Räumung des Gezi-Parks nicht mehr zur Ruhe gekommen. Jede Versammlung erregt Misstrauen. Immer wieder demonstrieren die Menschen gegen die Politik des Premiers Erdoğan, der öffentlichen Raum mit Hotels, Luxusappartements und Einkaufszentren verbauen lässt.

Aber nicht nur gegen die Politik, auch gegen die Biennale regte sich bereits im Vorfeld Widerstand. Denn die türkische Kuratorin Fulya Erdemci thematisiert in dieser 13. Ausgabe den „öffentlichen Raum als politisches Forum“. Die Biennale wird zum Großteil vom Megakonzern Koc unterstützt, der auch Waffen produziert – was gerade bei diesem Thema paradox ist. Aber während der Proteste hatte sich die Koc Holding auf die Seite der Demonstranten gestellt, ihre Hotels zum Schutz geöffnet, was die Regierung gleich mit finanzbehördlichen Razzien in einigen Koc-Unternehmen beantwortete – worauf deren Aktien abstürzten. In Istanbul gerät offenbar alles zwischen alle Fronten.

Und das bekam die renommierte Kuratorin gleich mehrfach zu spüren. Ursprünglich sollte die Ausstellung im Gezi-Park, auf dem Taksim-Platz und in mehreren öffentlichen Gebäuden stattfinden. Aber spätestens seit den Protesten ist dieser Plan geplatzt.

Künstler zogen ihre Beiträge zurück

So zog Erdemci einen Monat vor Eröffnung die Notbremse und entschied sich für geschlossene, sichere Räume: Antrepo 3 unten am Bosporus, eine ehemalige griechische Schule und die privaten Räume Salt und Arter oben auf der bekannten Einkaufsstraße Istiklal Caddesi. Damit wiederum wussten einige der eingeladenen Künstler nicht umzugehen, manche zogen ihre Beiträge zurück, andere mussten schnell neue Werke vorschlagen. Die angespannte Situation trifft aber nicht nur die Kuratorin und die Künstler, sondern auch die Besucher während der Eröffnungstage. Abends gehen in Beyoğlu Busse voller Polizisten in Stellung, Wasserwerfer stehen bereit. Auf der Einkaufsstraße kommt es immer wieder zu Ausschreitungen, die mit Tränengaseinsatz und Plastikgeschossen beantwortet werden – was die in großer Zahl angereisten Journalisten, internationalen Kuratoren, Museumsleiter und Galeristen mehrfach verunsichert. Denn das Leben hat die Kunst längst eingeholt, Protest und Widerstand sind nicht nur Thema der Biennale, sondern finden auf der Straße statt. Was kann da die Ausstellung hinzufügen? Wie kann der Titel „Mom, Am I Barbarian?“ eingelöst werden?

Roma-Rapper protestieren gegen Abriss

Der Titel ist ein Zitat der Dichterin Lale Müldür, das auf das „barbarische“ Konzept der Reflexion des „absolut anderen“ hinweise, erklärte Erdemci. Künstlern komme darin die Rolle der Barbaren zu – im Gegensatz zu den zivilisierten Bürgern. Aber benötigt das explosive Istanbul heuer tatsächlich noch die Kunst als Destabilisator? Und kann das inszeniert werden, ohne dieses Potenzial zugleich zu zähmen? Dies jedenfalls ist der Kuratorin gelungen: Die Ausstellung in Antrepo3 empfängt uns mit einer Kakofonie von Geräuschen aus Unmengen von Videos. Überall wird geschrien, geschossen, gehämmert und musiziert. Das chaotische Durcheinander legt sich über all die Beiträge, die Bilder von Hausabrissen zeigen, die von Regulierungen und von Widerstand handeln. Etwa der fantastische Film „Wonderland“ von Halil Altindere: Drei junge Roma-Rapper kämpfen mit ihrer Musik in einem unglaublich intensiven Actionfilm gegen den Abriss ihrer Siedlung, singen voller Wut gegen die Stadtpolitik an. Es ist keine Fiktion: Die Gruppe heißt Tahribad Isyan, das Viertel Sulukule. Altindere drehte den Film im Februar – noch vor den Gezi-Park-Protesten.

Immer wieder ist die aktuelle Situation Istanbuls in den Werken präsent. Das führt bisweilen zum Überdruss, hätte aber auch nicht ausgeblendet bleiben dürfen. Dieses Dilemma, zusammen mit der zwangsweisen Improvisation, wird von vielen westlichen Besuchern kritisiert. Eine junge türkische Kuratorin dagegen ist begeistert: Eine museale Ausstellung wie die 12.Edition wäre jetzt völlig unpassend, es sei unangemessen, nur auf künstlerische Qualität zu schauen. Gerade das Chaos und das Patchwork der verschiedenen Arbeiten aus verschiedenen Zeiten zusammen mit den vielen Protestbeiträgen würden perfekt unsere Zeit widerspiegeln.

Tatsächlich schafft es Erdemci mit dieser Biennale, die Kraft der Kunst gerade in spannungsgeladenen Situationen zu beweisen. In Beiträgen wie Altinderes Film, aber auch Christoph Schäfers Zeichnungen zur Neudefinition des urbanen Raums, Hector Zamoras Performance eines endlosen Mauerauf- und abbaus oder im grotesken Video von Mika Rottenberg, in dem lauter Frauen aufwendigst Nutzloses produzieren, erleben wir, wie die Kunst neue Wirklichkeiten schafft und Bestehendes mit ästhetischen Mitteln bekämpft. Nur eines schafft diese 13.Edition nicht: Die Gentrifizierung ist nicht aufzuhalten. Dieses ist die letzte Biennale im Gebäude unten am Hafen. Antrepo 3 ist verkauft. Hier wird ein Luxushotel entstehen.

13.Istanbul-Biennale, bis 20.10.2013.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2013)

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