Als die Malerei rockte: Matisse und die Wilden

Malerei rockte Matisse Wilden
Malerei rockte Matisse Wilden(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Die große Herbstausstellung widmet sich nur drei Jahren Kunstgeschichte: als Henri Matisse und die "Fauves" die reine Farbe feierten. Edel gemacht. Aber ziemlich akademisch. Der Funke springt nicht über.

Hier in der Albertina liegt er zur Zeit also begraben, der Spruch vieler Maler von heute: Es geht nicht um das Motiv. Es geht um die Malerei an sich. Es waren die ersten „Wilden“ der abendländischen Kunstgeschichte, die „Fauves“, die damit begannen, uns schlichte Gemüter dermaßen zu verwirren. Grüne Nasen. Rote Schatten. Gelbe Bäume. Vordergrund und Hintergrund fügen sich gleichberechtigt aneinander. Figur und Umraum verschmelzen zu einer Fläche, ja, wilder Malerei.Als wäre ein Farbkübel über den Köpfen der Besucher ausgeleert worden, schimpfte ein Kritiker 1905. Als im Pariser Herbstsalon plötzlich diese Bilder auftauchten, die alle anti-akademischen malerischen „Unarten“, die van Gogh, Gauguin, Cézanne sich bereits ausgedacht hatten, ins Extreme führten. Die Freiheit der Farbe, des Farbauftrags, der Form. Weg vom Abbild, hin zum subjektiven Ausdruck. Die erste Avantgarde der Moderne rockte, trotz Vollbärten und Pfeifen. Und zwar im „Käfig“, im Saal VII der Salon-Ausstellung, so genannt, weil ein Kritiker angesichts einer noch recht klassischen Skulptur inmitten des Raums ausgerufen haben soll: „Sieh da, Donatello umgeben von wilden Bestien.“

Die Ehefrau darf es ausbaden

Im Zentrum der Kritik, die auch handgreiflich zu werden drohte, stand ein mittlerweile berühmtes Porträt: eine Dame mit üppig ausladendem Hut; ein wenig grün im Gesicht sieht sie dem Betrachter recht streng entgegen. Es ist die Gattin von Henri Matisse, ein Frauenkörper, der hier wieder einmal den Spott ertragen und zur Erneuerung der Malerei herhalten musste (so weit zur feministischen Kunstgeschichte). Mit seinen 36 Jahren war dieser Matisse, Sohn eines Drogisten und Samenhändlers aus dem Norden Frankreichs, der Anführer der kleinen Gruppe, die hier an die Öffentlichkeit stürmte. Neben Matisse zeigten auch André Derain, Albert Marquet, Henri Manguin, Othon Friesz, Jean Puy, Louis Valtat, Maurice de Vlaminck, Charles Camoin und Kees van Dongen im „Käfig“ ihre Werke. Nur knapp drei Jahre hielt diese in sich sehr unterschiedliche Gruppe. 1907/08 löste sie sich wieder auf – ein Grund war die Erfindung des Kubismus von Picasso und Georges Braque, der ebenfalls für kurze Zeit zur Gruppe um Matisse gestoßen war.

Es sind diese wenigen Jahre, die jetzt sozusagen im großen Herbstsalon der Albertina konzentriert sind. Keine im Reigen Tanzenden von Matisse, keine Scherenschnitte, kein dekorativer Jazz, für den der Maler heute populär ist, findet man hier. Man sollte nicht enttäuscht sein, sondern wissen, dass man bei der Albertina immer auch das Kleingedruckte auf den Plakaten lesen sollte– die groß „Matisse“ schreien. Und klein „und die Fauves“ hinzufügen.

Auch die „Frau mit Hut“ ist aus San Francisco nicht angereist. Genauso wenig wie das frühe Hauptwerk „Lebensfreude“ von 1906, mit dem Matisse sein Lebenswerk zu zählen beginnt. Es bleibt sicher verwahrt in der Barnes Foundation in Philadelphia. Eine gewichtige Matisse-Ausstellung ist in Europa nun einmal nicht zu verwirklichen. Eine gewichtige Fauves-Ausstellung schon, die Albertina schlägt sich gut, auch optisch: Den Farbexplosionen der Bilder setzt man eine Wandfarbe in sattem Lila entgegen. Die historische Empathie aber vernachlässigt man sträflich – nur wenig Biografisches, keine Anekdoten, kein Fotomaterial dürfen die akademisch gehaltene Erzählung befeuern. Man verlässt sich rein auf die Kunst, etwa auf die Porträts der Maler voneinander, die 1905 im Küstenort Collioure entstanden. Hierher hatte sich Matisse mit dem elf Jahre jüngeren André Derain, dem zweiten Hauptvertreter des Fauvismus, zurückgezogen. Derain zeigt Matisse mit Vollbart und gelber Pfeife in sich ruhend. Matisse Derain mit Schnurrbart, Kappe, seitlich gewandtem Gesicht viel dynamischer.

Das „wilde“ London um 1906

Ein Höhepunkt der mit 120 Gemälden, Papierarbeiten und Skulpturen bestückten Ausstellung ist der London-Zyklus von Derain, den der Kunsthändler Ambroise Vollard bei ihm, dem jungen Wilden, in Auftrag gegeben hat. Durchaus mit dem Erfolg von Monets London-Bildern im Hinterkopf. 1906 und 1907 reiste Derain mehrmals über den Kanal und malte schließlich 30 Gemälde nach seinen Skizzen. Sie werden sein größter Erfolg. Von großer Wildheit aber sprechen sie nicht mehr, sie sind eher die zivilisierte Zusammenführung aller Stile, von denen die Fauves ausgegangen waren. Wenig später lernte Derain Picasso und sein Umfeld kennen, war aus nächster Nähe dabei, als das erste Bild auf dem Weg zum Kubismus entstand, die „Demoiselles d'Avignon“. Stark inspiriert von afrikanischen Masken.

Eine Faszination der Moderne, die auch die Fauves, Matisse, Derain und Maurice de Vlaminck teilten. Aus ihren Sammlungen haben die Kuratoren Heinz Widauer und Claudine Grammont Masken und Figuren zusammengetragen. Im Zentrum des Kapitels ein monströses geschnitztes Holzbett, das Derain für Händler Vollard anfertigte. Inspiriert von der Kunst der „Primitiven“, wie sie genannt wurde. Auf ihre Kraft bettet sich die Moderne. Wortwörtlich in diesem Fall.

Bis 12.Jänner. Tägl. 10–18h, Mi bis 21h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2013)

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