Kunstmesse: VIPs, Artisten, Flaneure, Dompteure

Die Frieze in London. Garant für ein spannendes, populäres Performance-Programm.
Die Frieze in London. Garant für ein spannendes, populäres Performance-Programm.(c) Beigestellt
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Die Kunstmesse als Wanderzirkus: Wer aus dem internationalen Überangebot herausstechen will, muss sich etwas einfallen lassen.

Hier wird dem Großformat gehuldigt. Eingang zur Unlimited-Halle der Art Basel.
Hier wird dem Großformat gehuldigt. Eingang zur Unlimited-Halle der Art Basel. (c) Beigestellt
Das ultimative Event. Die Art Basel Miami Beach hat oft mehr Rahmen als Programm.
Das ultimative Event. Die Art Basel Miami Beach hat oft mehr Rahmen als Programm.(c) Beigestellt

In den vergangenen zehn Jahren hat das System Kunstmesse einen unvergleichlichen Boom erlebt. Losgetreten durch die Expansion der Art Basel, die 2002 eine Winterfiliale in Miami aufgesperrt hat – und sich voriges Jahr mit Start der Art Basel Hongkong im Mai wieder die Pole-Position in einem Zukunftsmarkt gesichert hat. Hunderte Kunstmessen rund um die Welt kämpfen seither mehr oder weniger direkt im Orbit des Erfolgs der großen Mutter „Art“ ums Überleben und um Identität. Die Dominanz der Kunstmesse hat den Markt für zeitgenössische Kunst, ja vielleicht die zeitgenössische Kunst selbst, gravierend verändert, vor allem in der Geschwindigkeit. Galeristen wurden zu Vielfliegern, es reißt sie um die Welt, von einer Koje in die nächste.
Mittendrin etwa die Wiener Galerie Krinzinger, die allein heuer 17 Auftritte auf Messen hat. Als Reaktion darauf, dass die meisten Geschäfte auf Reisen gemacht werden, schlossen etwa in Deutschland schon Galerien ihre Schauräume und beschränkten sich auf ein Büro als Homebase. Die Frage ist: Wie soll man noch genug Zeit aufbringen, ein spannendes Programm vor Ort zu bieten, wenn mehrmals im Monat repräsentative Messeauftritte bestückt und erdacht werden müssen? Manche schaffen das. Andere gehen in die Gegenrichtung – und boykottieren den grassierenden Messewahn. Dennoch ist es jedes Mal ein beeindruckendes Fest der Kunst, wenn sich die Tore öffnen und Sammler und Publikum in die Kojengänge strömen auf der Jagd nach dem besten Stück. Der US-Schriftsteller Tom Wolfe setzte dieser ambivalenten Stimmung vor Messebeginn in seinem jüngsten Roman „Back to Blood“ ein zynisches literarisches Denkmal. Er beschreibt die drängende, fiebernde Masse von weißen Sammler-Männern, wie sie vor den Türen der Art Basel Miami wie die Maden wuseln im Wettkampf um die beste Startposition. Dann begleitet man einen der Obersammler in die VIP-Lounge, dort wird übrigens meist  tatsächlich überraschend wenig geboten – außer den Leuten, die man hier treffen kann. Netzwerken ist hier alles, gratis Kaffee und Wasser sind da völlig nebensächlich (nur um einmal mit dem Mythos Schlaraffenland VIP-Lounge aufzuräumen).

10.000 VIP-Packages für die Viennafair. Auch bei der Viennafair wird nicht viel mehr offeriert. Begehrter als der Eintritt in die VIP-Lounge sind die Einladungen zu einer der privaten Sammlerpartys, die das Herzstück des (inoffiziellen) VIP-Programms sind. Denn in Wien ist es nun einmal anders als bei der Frieze in London oder der Art Basel, erklärt Viennafair-Leiterin Christina Steinbrecher-Pfandt. Hier sind die internationalen Sammler, die man einlädt, noch nicht so vernetzt, nicht unbedingt jeden Abend schon verplant. Man muss ihnen praktisch jeden Abend etwas bieten – nach Messeschluss wohlgemerkt. Man möchte sich selbst ja nicht konkurrieren. Es gibt eine Viennafair-Bar in einem zentral gelegenen Hotel als Anlaufpunkt, die Vernissage natürlich, die Aftershowparty, Cocktails von Sponsoren und Museen, eine Party im 21er Haus und vieles mehr. 10.000 VIP-Packages hat man heuer verschickt, wie viele tatsächlich kommen, ist allerdings noch unklar. Zusätzlich konnte jeder Galerist zwei Sammler nominieren, die dann auch die Übernachtung von der Messe gezahlt bekommen. VIP ist eben nicht gleich VIP. Das ist praktisch bei jeder Messe so. Eine Ausnahme sind dabei die Antiquitätenmessen, scheint es.

Allen voran das sozusagen „historische“ Gegenstück zur Art Basel, die Tefaf in Maastricht. Bei der es schlicht kein VIP-Programm gibt. Was auch ein wenig mit der niederländischen Kultur zusammenhängen dürfte, der Gedanke einer Zwei- oder Dreiklassengesellschaft käme hier nicht so gut an, so eine Pressesprecherin der Messe. Eine Einladungskarte zur Vernissage bekommt aber auch nicht jeder! Und diese ist zumindest kulinarisch das größte Spektakel, das es im Messezirkus gibt, inklusive Austern- und Sushi-Stationen.

Frieze-Zelt im Regents Park. Apropos Zirkus. Jedes Jahr gastiert einer genau gegenüber dem Eingang der Art Basel. Kann man in der Art-Unlimited-Halle der Messe, in der jährlich dem Großformat gehuldigt wird, manchmal Karussells von Künstlern wie Carsten Höller kreisen sehen, drehen sie sich gleich nebenan im wirklichen Leben. Um die Kunstmesse als Event zu positionieren, werden aufwendigste Rahmenprogramme von den Machern kreiiert, eines der größten liefert die Frieze in London, passenderweise in einem riesigen, schneeweißen Veranstaltungszelt mitten im Regents Park angesiedelt.

Längst umfasst es nicht mehr nur Talks, also Podiumsgespräche, um auch die Institutionen und Wissenschaftler anzulocken. Es gibt eine mehrfach gestaffelte Eröffnung, VIP-Events von Partnerinstitutionen, weitläufige Kunstprojekte im Außenbereich und Performances. Auch die Viennafair hat heuer einen österreichischen Skulpturenpark außen und innen organisieren können, genauso wie ein Performance-Programm. Zu Spektakuläres allerdings sei nicht unbedingt gern gesehen von den Galeristen, meint Steinbrecher-Pfandt. Immerhin sollen die Sammler sich vor allem auf die Kunst in den Kojen konzentrieren können. So hat sich der Event-Charakter von Kunstmessen in Europa alles in allem eingependelt. Die Kunst soll im Vordergrund stehen, so abgeschmackt das auch klingen mag. Das ist das Ziel und es ist keine Selbstverständlichkeit. So können Sammler und andere VIPs etwa durchaus von sich behaupten, bei der Art Basel Miami Beach gewesen zu sein, ohne je wirklich die Messe selbst von innen gesehen zu haben.
Praktisch jedes Luxuslabel hat sich auf die Marke ABMB mittlerweile draufgesetzt. Beinahe rund um die Uhr werden Events in irgendwelchen Hotels veranstaltet, bei denen sich das Partyvolk ablichten lässt. Die Kunst ist da nur mehr ein Randthema.

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