Kunst ist sexy - und der Rubel rollt

Anna Khodorkovskaya mit Team.
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Liveshopping, Kunst zu Best- und zu Höchstpreisen: Der osteuropäische Kunstmarkt entwickelt sich rasant.

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Rote Lippen, sexy Kleidung, gemütliches Ambiente, fröhliches Dauergeschnattere: Das sind die Ingredienzien des Art Stream Shops, den Anna Khodorkovskaya und Ludmila Anoshenkova an Mittwochabenden zwischen acht und neun Uhr im Internet veranstalten. Angelehnt an die Ästhetik des Liveshoppings bringen die beiden Russinnen von ihrem Atelier aus junge unbekannte Kunst mittels Livestream an den Mann oder die Frau. Der Kontakt zur potenziellen Klientel wird mittels offensiv ins Bild gehaltener Schilder hergestellt, auf denen fett die Kontaktdaten aufgemalt sind. Ihr Slogan: „Kaufen Sie Kunstwerke in Echtzeit zum besten Preis. Einfach anrufen und kaufen! Nur heute, nur im Art Stream Shop!“
Khodorkovskayas und Anoshenkovas Shop ist nicht nur ein Kunstprojekt, das mit seiner Bestpreispolitik auch jungen unbekannten Künstlern im Schatten des etablierten Kunstbetriebs eine Sammlerschaft erschließt. Der Art Stream Shop ist auch ein Statement in Richtung jenes zuerst überhitzten, dann implodierten  russischen Kunstmarkts, den die beiden vor wenigen Jahren hinter sich gelassen haben, um nach Wien zu ziehen. „Der Künstler ist kein Genie mehr, sondern eine Art Hersteller oder Produzent und Verkäufer von Einzelstücken. Es gibt so viele Künstler, dass wir den Kunstmarkt einen Massenkunstmarkt nennen“, konstatieren sie mit einer gehörigen Portion Realismus.

Preise auf der Hochschaubahn.
Mit dem Thema Preis legen Khodorkovskaya und Anoshenkova den Finger in eine der großen Wunden des Ostkunstmarktes, der bei aller Aufbrauchsstimmung noch etliche Schwächen aufzuarbeiten hat. „Die Situation ist von Land zu Land verschieden, man kann nicht alles über einen Kamm scheren, weil die jeweiligen historischen Hintergründe eine wesentliche Rolle spielen“, sagt Hans Knoll, der als Betreiber zweier Galerien in Wien und Budapest seit bald 25 Jahren ein Kenner des osteuropäischen Kunstbetriebs ist. Als Netzwerker und Initiator diverser Austauschprogramme spielt er zudem eine wichtige Berater- und Vermittlerrolle, u. a. als Board-Mitglied der Art Moscow. Zuletzt hat er die erste umfassende Studie über osteuropäische Kunstsammlungen initiiert. „In Polen etwa sind Markt und Szene sehr virulent, weil das Land die Krise kaum gespürt hat. Ein Vorteil für die Szene ist, dass sich anders als in Tschechien oder Ungarn nicht alles nur in der Hauptstadt abspielt.“ Offenheit hält er für wichtig: „Je offener und vernetzter die Gesellschaft und Wirtschaft eines Landes sind, desto höher ist auch der Internationalisierungsgrad auf dem Kunstsektor. Das galt lange auch für Ungarn, das nicht zuletzt durch den Boom der Monarchie auch nach 1989 von allen Ländern Osteuropas das offenste war. In der aktuellen politischen Situation, in der das Eigene, Nationale extrem betont wird, verliert Ungarn. International aktive Galerien können davon profitieren, weil sie unabhängig sind, während andere Institutionen weitgehend gleichgeschaltet werden.“ Als Sonderfall unter den Kunstmärkten beschreibt Knoll Russland. „Speziell der russische Markt hat seit 2008 starke Einbrüche. Die Kollegen haben sich zu sehr im Boom-Gefühl gewiegt, zu lange auf die Oligarchen geblickt und die Preise extrem hoch gehalten. Man hat den Künstlern so die internationale Karriere verbaut, weil die Preise auf einem Niveau waren, das internationale Sammler abgehalten hat. Das war ein schwerer Fehler und ist ein Grund, warum wichtige Moskauer Galerien wie XL, Guelmann, Aidan heute nur noch als Stiftung aktiv sind.“

„Generell aber ist das Potenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft, auch wenn die Möglichkeiten der Galerien vielfach beschränkt und Museen oft veraltet sind, weil ihnen der Weitblick fehlt. Umso mehr sind die Privatsammler gefragt. Sie können nicht nur wichtige internationale Aufgaben wahrnehmen, indem sie etwa in Museumskommissionen sitzen. Sie spielen, wenn sie ihre Sammlungen öffnen, auch als Tourismus- und Wirtschaftsfaktor eine Rolle, was Impulse für die Wirtschaft liefert. Ein tolles Beispiel dafür ist das Pinchuk Art Center in Kiew.“

Tipp

Art Stream Shop.Wirbt im Internet mit Kunstkauf in Echtzeit zu Bestpreisen, www.artstreamshop.com

Eastern European Collections eastern-european-collection.eu

Galerie Knoll Wien 6., Gumpendorfer Straße 18, www.knollgalerie.at

("Kultur Spezial" am Freitag, 04.10.2013)

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