Unbekannte Meisterwerke im Raubkunst-Fund

Otto Dix unbekannte Werke Selbstporträt Frauenporträt
Otto Dix unbekannte Werke Selbstporträt Frauenporträt(c) REUTERS (MICHAEL DALDER)
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Insgesamt zählt die Geheimsammlung von Cornelius Gurlitt 1285 ungerahmte und 121 gerahmte Bilder, darunter bislang unbekannte Arbeiten von Meistern wie Dix und Chagall. Der Sammler besitzt ein Haus in Salzburg.

Siegfried Klöble, Leiter des Zollfahdungsamts München, und  Meike Hoffmann von der Forschungsstelle
Siegfried Klöble, Leiter des Zollfahdungsamts München, und Meike Hoffmann von der Forschungsstelle "Entartete Kunst" der Freien Universität Berlin(c) REUTERS (MICHAEL DALDER)

Nach dem Fund der spektakulären Kunstsammlung in der Münchner Wohnung von Cornelius Gurlitt, dem Sohn von Hitlers Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, äußerte sich am Dienstagvormittag in Augsburg erstmals die Staatsanwaltschaft. Exakt 121 gerahmte und 1258 ungerahmte Bilder seien gefunden worden, sagte Reinhard Nemetz, Leiter der Staatsanwaltschaft Augsburg. Und zwar nicht wie zunächst berichtet 2011, sondern Ende Februar 2012. Daher gebe es auch keinen Verdacht, dass Gurlitt, der ein Haus in Salzburg besitzt (mehr dazu weiter unten), noch ein zweites Versteck habe. Darüber war spekuliert worden, weil der Sammler im Herbst 2011 und damit vermeintlich nach der Beschlagnahmung den "Löwenbändiger" von Max Beckmann dem Kölner Auktionshaus Lempertz angeboten hatte.Tatsächlich habe man die Sammlung am 28. Februar 2012 entdeckt, wie Siegfried Klöble, Leiter des Zollfahdungsamts München erläuterte. "Wir haben in einem Raum zahlreiche Gemälde angetroffen, fachgerecht gelagert und in einem sehr guten Zustand", so Klöble. Unter den gefundenen Bildern seien Werke von Max Liebermann, Otto Dix, Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Pablo Picasso, Carl Spitzweg, Marc Chagall, Auguste Renoir, August Macke und auch Oskar Kokoschka. Drei Tage habe man gebraucht, um die Werke abzutransportieren, weil alle Bilder verpackt werden mussten.

Kunstexpertin Meike Hoffmann von der Forschungsstelle "Entartete Kunst" der Freien Universität Berlin verriet Details zu den Funden: Nicht alle gehörten zur Klassischen Moderne. Das älteste gefundene Bild stammt aus dem 16. Jahrhundert. Hoffmann stellte zudem ausgewählte Funde vor, einige sind bisher unbekannte Werke berühmter Künstler.

Selbstporträt von Otto Dix "eine Entdeckung"

Meike Hoffmann von der Forschungsstelle
Meike Hoffmann von der Forschungsstelle "Entartete Kunst" der Freien Universität Berlin, vor einem Gemälde von Max Liebermann, das zwei Reiter am Strand zeigt(c) REUTERS (MICHAEL DALDER)

So wurde ein Farbholzschnitt von Kirchner gefunden, der sehr wertvoll sein dürfte, sagte die Kunstexpertin. Das Bild sei nicht im Werkverzeichnis des Malers enthalten. Ebenso wenig wie eine allegorische Szene von Marc Chagall und ein Gemälde von Henri Matisse, das Mitte der 1920er Jahre entstanden sein dürfte. Das mache die Recherche nach der Herkunft der Bilder extrem schwierig.

Als "eine Entdeckung" bezeichnete die Expertin für "Entartete Kunst" ein bisher unbekanntes Selbstporträt von Otto Dix. Es sei in tadellosen Zustand und dürfte um 1919 entstanden sein.

Sie rechne damit, dass die Ermittlungen, bei welchen Bildern es sich um Raubkunst handelt, noch lange andauern werden. Die Werke seien "von ganz außerordentlicher Qualität", sagte Hoffmann. Die Bilder entdeckt zu haben, sei "natürlich ein unheimliches Glücksgefühl". Die Einzelforschung zu den einzelnen Künstlern werde davon sehr profitieren.

Sammlung hat zwei Teile, einer davon ist Raubkunst

Die Sammlung setze sich aus zwei Teilen zusammen, erklärte Hoffmann. Ein Teil bestehe eindeutig aus Kunstwerken, die im Dritten Reich bei der Aktion "Entartete Kunst" beschlagnahmt wurden. Bei dem zweiten Teil der Sammlung ist hingegen nicht klar, ob sie in der Nazi-Zeit unter Zwang entzogen wurden. So wurde etwa Gustave Courbets "Mädchen mit Ziege", das ebenfalls in der Münchner Wohnung entdeckt wurde, auf einer Auktion nachweislich versteigert - 1949, also nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Das Gemälde gibt es in zwei Versionen, die nun aufgetauchte Version galt als verschollen.

Bei der Propaganda-Aktion "Entartete Kunst" seien 1937 mehr als 21.000 Werke aus öffentlichen Sammlungen entfernt worden, so die Kunstexpertin. 1938 erfolgte das Beschlagnahmegesetz, wonach Museen keinen Anspruch auf Entschädigung hatten. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges sei dieses Gesetz nicht aufgehoben worden.

Laut dem Magazin "Focus", der den Fall öffentlich machte,  gehören mindestens 300 der aufgetauchten Werke zu den verschollenen Exponaten der "entarteten Kunst". Für mindestens 200 Werke würden offizielle Suchmeldungen vorliegen. Diese Angaben wurden am Dienstag nicht bestätigt.

Wieso wurde Fund geheim gehalten?

Das Bekanntwerden des Fundes "ist für uns kontraproduktiv", sagte Nemetz. "Die Ermittlungen werden gefährdet, die Kunstwerke werden gefährdet." Seit Bekanntwerden der "wahnsinnigen Dimension" hätten bereits die Sicherheitsvorkehrungen für die Bilder erhöht werden müssen. So sieht es auch Klöble: "Die Geheimhaltung ist die beste Sicherung." Wo der Kunstschatz lagert, bleibt deshalb auch weiter ein Geheimnis - "jedenfalls nicht in unserem Depot in Garching", erklärt er.

Haus in Salzburg

Wie am Mittwochabend bekannt wurde, hat Gurlitt ein Haus im Salzburger Stadtteil Aigen. Das Einfamilienhaus mit Garten in dem Nobelviertel wirkt ungepflegt und unbewohnt. Gurlitt besitzt das Anwesen offenbar seit mehr als 40 Jahren.

Cornelius Gurlitt stammt aus einer bekannten Kunstsammlerfamilie, auch aus einer berüchtigten: Vater Hildebrand war als einer der Einkäufer für den "Sonderauftrag Linz" engagiert und sollte Kunst für das geplante Führermuseum zusammentragen. Er hatte stets behauptet, seine Sammlung sei während des großen Bombenangriffs auf Dresden am 13. Februar 1945 verbrannt.

Hildebrand Gurlitt ist der Cousin des Kunsthändlers Wolfgang Gurlitt, der in Linz nach dem Krieg mit seiner teils in der NS-Zeit zusammengerafften Sammlung die Neue Galerie der Stadt gründete. Aus der Neuen Galerie entstand später das Lentos Museum.

>> Zum Bericht von "Focus"

(her/APA/dpa/AFP)

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