Aufgetaucht: Die Liste der "Monument Men"

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Eine in US-Archiven aufgetauchte Liste der "Gurlitt Collection" lässt erstmals eine Ahnung von der Qualität des beschlagnahmten Bestands aufkommen. Kunsthändler sprechen bereits von einer medialen "Blase".

Erst Ende Jänner kommt der Film „Monument Men“ bei uns in die Kinos, seine wahre Geschichte der amerikanischen Kunsthistoriker und Soldaten, die nach dem Krieg in Deutschland geraubte Kunst sicherstellen sollten, hat jetzt aber ungeahnte Aktualität bekommen. Am Mittwoch wurden in den USA die Archive nach dem Fall Hildebrand Gurlitt durchforstet, dessen Sammlung nach dem Krieg von den Alliierten beschlagnahmt und ihm 1950 bis auf wenige Werke wieder retourniert wurde.

Das „Holocaust Art Restitution Project“ stellte jetzt die damals im Collecting Point Wiesbaden aufgenommene Liste dieser „Collection Gurlitt: Hamburg“ online. Es ist anzunehmen, dass die rund 130 Gemälde und Zeichnungen zumindest zum Teil in dem Konvolut von 1406 Werken zu finden sind, das die Augsburger Staatsanwaltschaft aus der Münchner Wohnung von Cornelius Gurlitt, dem Sohn des Kunsthändlers Hildebrand, jetzt wiederum beschlagnahmen ließ.

Rechtliche Fragen noch völlig unklar

Bis jetzt haben die deutschen Behörden, trotz heftiger Kritik daran, noch keine Liste der Werke öffentlich gemacht. Bis auf knapp ein Dutzend Werke, das man Anfang der Woche der Öffentlichkeit präsentierte. Einige dieser Werke finden sich auch auf der Liste der „Monument Men“, etwa Max Liebermanns „Zwei Reiter am Strand“, das Selbstporträt von Otto Dix, der angeblich bisher unbekannte Chagall oder Max Beckmanns Gouache „Der Löwenbändiger“, die Cornelius Gurlitt im Dezember 2011 verkaufte, nur zwei Monate bevor die Zollbehörde seine Wohnung durchsuchte. Seit damals sind, wie jetzt bekannt wurde, die Werke in Verwahrung. Mit ihnen scheint auch der 79-jährige Cornelius Gurlitt von der Bildfläche verschwunden zu sein.

Dafür sieht die ganze Welt plötzlich nach München, auf diesen seltsamen Fall, der vor allem Fragen aufwirft – woher stammt der große Rest der 1406 Werke, der Ende des Krieges anscheinend noch nicht in Hildebrand Gurlitts Besitz war? Wem gehört diese Sammlung rechtlich und mit welcher Begründung wurde sie Cornelius Gurlitt entzogen – der als U-Boot in München lebte und der Zollbehörde nur durch den unerlaubten Geldtransport von 9000 Euro an der Grenze zur Schweiz auffiel? Warum kam der Fall gerade jetzt – inklusive Namensnennung! – an die Öffentlichkeit, wer will damit Druck ausüben? Hat Gurlitt vielleicht versucht, die ihm entzogenen Bilder wiederzubekommen? Warum wurde der Fund so lange geheim gehalten – und warum von den Behörden nur eine einzige Kunsthistorikerin eingesetzt, um die Provenienzen zu erforschen? Ein Witz, kennt man die Praxis der Provenienzforschung. „Wer die Herkunft von über 1400 Bildern selber recherchieren will, braucht bei optimistisch geschätzten zehn Tagen pro Werk 40 Jahre“, so der Berliner Rechtsanwalt und Kunstexperte Peter Raue am Donnerstag.

Gestern meldete auch die erste geschädigte Familie Anspruch an, die Erben von David Friedmann, einem damals in Breslau lebenden jüdischen Geschäftsmann. Seit Jahren suche man Max Liebermanns „Reiter am Strand“, so der Anwalt der Familie. Bis das Bild vor drei Tagen plötzlich über den TV-Bildschirm flimmerte. Dabei muss man gerade bei diesem Bild genau hinsehen, 2009 wurde ein praktisch identisches bei Sotheby's versteigert, um 478.000 Dollar.

Gurlitt hat das Zwillingsbild besessen, es befindet sich ebenfalls auf der „Monument Men“-Liste der Gurlitt-Collection. Was findet sich hier noch, dokumentiert nicht nur auf der Liste, sondern zusätzlich fein säuberlich auf Karteikarten, inklusive der jeweiligen schwarz-weißen Abbildung: Viel „Entartetes“, eine „Meeresküste“ von Nolde, „In der Bar“ von Beckmann, ein „Fischerdorf“ von Pechstein, eine „Straßenszene“ von George Grosz.

Aber auch einige Werke französischer Künstler – Hildebrand Gurlitt war als offizieller Einkäufer für das „Führermuseum“ damals für die französische Kunst zuständig. Das Gemälde einer „Sich waschenden Nackten“ von Edgar Degas scheint hier auf, vor allem aber zwei Bilder von Gustave Courbet: eine „Landschaft mit Felsen“ und ein Porträt des Vaters von Courbet. Es gibt viele verschollene Courbet-Werke, so der deutsche Courbet-Experte Klaus Herding im Gespräch mit der „Presse“. Die großen Sensationen sind auf den ersten Blick in dieser Liste also nicht zu finden, viele Namen kennt man gar nicht mehr, etwa Louis Gurlitt, der mit mehreren Bildern vertreten ist, der dänisch-deutsche Maler war der Großvater Hildebrands.

Im Kunsthandel scheint jedenfalls langsam Ernüchterung einzukehren ob des „Sensationsfunds“. Die Information, dass die Amerikaner die beschlagnahmten Werke 1950 an Gurlitt wieder zurückgegeben haben, sei der „erste Stich in die übergroße Blase“, die hier medial erzeugt werde, ist Herbert Giese vom Wiener Kunsthandel Giese & Schweiger überzeugt. Auch der völlig aus der Luft gegriffene Schätzwert des gesamten Konvoluts von einer Milliarde muss bezweifelt werden. „Die tollen Bilder habe ich jedenfalls noch nicht gesehen“, so Giese. Wenn die elf gezeigten Bilder aus dem Fund repräsentativ seien, dann hege er seine Zweifel daran, dass hier ein großer Schatz lagere.

Baum: „Man wird eher enttäuscht sein“

Auch Peter Baum, Experte im Auktionshaus Im Kinsky und Exchef des Lentos in Linz, der einst von Wolfgang Gurlitt, Hildbrands Cousin, gegründeten Neuen Galerie, meint ausgehend von den bisher bekannten Bildern: „Man wird eher enttäuscht sein, wenn das ganze Kontingent bekannt wird.“ Baum selbst hat weder Wolfgang Gurlitt noch dessen Töchter in Linz mehr kennengelernt. Der einzige österreichische Kunsthändler, bei dem ein Kontakt zu Cornelius Gurlitt und dessen Vater naheliegt, ist 1980 gestorben: Friedrich Welz, eine ähnlich ambivalente Figur auf dem Kunstmarkt, der sich einerseits für „entartete“ Künstler einsetzte, andererseits von der für Händler „günstigen“ Marktlage in der NS-Zeit profitierte. Er hatte seine Galerie in Salzburg. In der Stadt, in der auch Cornelius Gurlitt einen Wohnsitz hat.

DIE LISTE

Das „Holocaust Art Restitution Project“ stellte am Mittwoch in den USA eine Liste online, die nach dem Krieg im Collecting Point Wiesbaden von amerikanischen Kunsthistorikern erstellt wurde: „Collection Gurlitt: Hamburg“. Rund 130 Bilder werden hier genannt, 1950 wurden sie Hildebrand Gurlitt wieder retourniert. Zumindest Teile dieses Konvoluts tauchten jetzt wieder auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2013)

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