Marseille 2013: Kunst gegen Kriminalität

Marseille, Kunst, Kriminalität
Marseille, Kunst, Kriminalität(c) GUILLAUME HORCAJUELO / EPA / pic (GUILLAUME HORCAJUELO)
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Das Helle und das Dunkle: Wie der Titel einer europäischen Kulturhauptstadt die übel beleumundete Hafenmetropole verändert. Zumindest ein wenig.

Marseille hat ein Imageproblem, ein sehr reales noch dazu, das sich mit den Schlagwörtern Kriminalität, Drogen und Zuwandererghettos zusammenfassen lässt. Drei Faktoren, die ineinandergreifen: Die Drogen werden hier nach Europa geschmuggelt. Und schon die Jugendlichen, zumeist arbeitslos und ein Großteil mit maghrebinischem Migrationshintergrund, handeln damit.

Die um 600 vor Christus von griechischen Händlern gegründete französische Hafenmetropole hat ihre beste Zeit weit hinter sich. Doch nun zeichnet sich ein – vorerst leichter – Imagewandel ab. Marseille ist, neben Košice in der Slowakei, europäische Kulturhauptstadt 2013. 7,2 Millionen Besucher wurden bis Oktober gezählt.

Und wenn man den politisch Verantwortlichen in Stadt und Region glauben darf, dann wird die Stadt danach tatsächlich besser dastehen als zuvor. Auch die Stadtbewohner, die dem Projekt anfangs reserviert bis desinteressiert gegenübergestanden sind, haben dieses mittlerweile angenommen. Nicht zuletzt, da viele Veranstaltungen im öffentlichen Raum stattfinden. Ganze Stadtviertel wurden renoviert, die Infrastruktur verbessert, auch die Problemviertel blieben davon nicht unberührt. Zehn Prozent des Programmbudgets (Infrastrukturinvestitionen nicht miteingerechnet) sind in diese sogenannten „quartiers créatifs“ – was vielleicht ein wenig euphemistisch klingt – geflossen.

Auswirkungen sollte es auch über die Stadt hinaus geben: Denn die Idee, das heruntergekommene Marseille mit dem lieblicheren Aix-en-Provence – bisher die eigentliche „Kulturhauptstadt“ der Region – zu diesem 700-Millionen-Euro-Projekt zusammenzuspannen, soll dazu beitragen, die gesamte Region Provence-Alpes-Côte d'Azur mehr zusammenzuführen. Bisher waren das zwei Welten. Was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass man von Marseille mit dem TGV in drei Stunden in Paris ist, in das nur 30 Kilometer entfernte Aix aber über eine Stunde braucht. Nun rückt langsam zusammen, was bisher zwar politisch, aber nicht mentalitätsmäßig zusammengehört hat.

Das Mittelmeer als Mittelpunkt

Von Marseille ist es auch näher nach Algier als nach Paris. Und so wurde der europäische Kulturhauptstadtgedanke über das Mittelmeer hinaus ausgedehnt. Das Mittelmeer als Mittelpunkt – auch im neu geschaffenen Mucem am Hafen, vis-à-vis von der Festungsinsel Château d'If gelegen, auf der der Graf von Monte Christo – fiktiv freilich – in Kerkerhaft saß. Dieses Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers, geplant vom Architekten Rudy Riccioti, ist mit seiner engmaschigen Betonnetzumrahmung ein neues Wahrzeichen der Stadt.

„Le Noir et le Bleu“ nennt sich die programmatische Ausstellung im Mucem. Das Schwarze und das Blaue, das Dunkle und das Helle – denn das Blau des Meeres und des Himmels strahlt hier tatsächlich heller. Zentrales Thema ist selbstredend das Mittelmeer, facettenreich variiert und auf die Anrainer aufgeteilt: Tourismuswerbung aus der Nachkriegszeit wechselt sich mit Bildern aus dem bürgerkriegszerbombten Beirut und Sarajewo ab. Die beiden Ruinenstädte sind dabei kaum voneinander zu unterscheiden. Sehr eindringlich zieht sich das Helle und Dunkle auch durch die „Philhellenismus“-Ecke: Da Theodoros Vryzakis' Gemälde, das den Dichter Lord Byron umringt von griechischen Freiheitskämpfern zeigt. Dort ein Leni-Riefenstahl-Film über die „weißen Griechen“, eine Heroisierung der Athleten der antiken Olympischen Spiele, die in eine der Spiele des Jahres 1936 in Berlin mündet. Auf der hellen Seite an anderer Stelle findet sich Joan Mirós „Blau II“, auf der dunklen Francisco Goyas „Los Caprichos“.

Wobei in der Stadt selbst das Dunkle nach wie vor überwiegt. Erst Anfang dieser Woche starben wieder zwei Menschen im urbanen Bandenkrieg. 18 waren es in diesem Kulturhauptstadtjahr bisher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2013)

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