Vor 100 Jahren: Der verrückte Diebstahl der Mona Lisa

FRANCE-MONA LISA
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Ein Anstreicher spaziert am hellen Tag mit der Mona Lisa aus dem Louvre und lebt zwei Jahre lang mit ihr: Vor 100 Jahren kam sie zurück.

Es wird heiß werden an diesem Augusttag, 34 Grad, aber in der Früh schon erhitzen sich in den Pariser Cafés die Gemüter beim Zeitunglesen. Der deutsche Kaiser hat vor Kurzem Schiffe ins marokkanische Agadir geschickt, eine Drohung, Deutschland will Frankreichs Herrschaft dort nur akzeptieren, wenn es dafür Kolonialgebiete von Frankreich bekommt. Wird es Krieg geben?

Nein, erst drei Jahre später, größer, länger und schrecklicher, als sich irgendeiner an diesem Tag vorzustellen vermag. Politisch wird dieser 21. August in Paris der Welt nicht in Erinnerung bleiben, sehr wohl aber durch das, was an diesem Morgen kurz nach sieben Uhr im Salon Carré des Louvre passiert. Da kommt ein kleiner Mann herein, hebt einfach die Mona Lisa von ihren zwei Haken an der Wand, lässt Rahmen und Scheibe auf einer nahen Hintertreppe und verlässt mit der nun nur noch acht Kilo wiegenden Dame, die er unter den Arbeitskittel gesteckt hat, den Louvre.

Ein Einbruch? Keineswegs. Es ist Montag, also Putztag, auch Handwerker gehen ein und aus, und mehr als 24 Stunden lang wundert sich niemand über die leere Stelle an der Wand – vermutlich ist die Dame wieder beim Fotografen. Erst als am Dienstag die Besucher kommen, werden Mitarbeiter nervös, und bald ist es schreckliche Gewissheit: La Joconde, wie sie in Frankreich genannt wird, ist weg. Als Besucher einen offenbar nicht so kunstbewanderten Wärter fragen, was das hektische Treiben soll, ruft der aus: „Wissen Sie nicht? Man hat die Venus von Milo gestohlen!“

Zwei Jahre später erst, am 12. Dezember, vor genau 100 Jahren, wird Mona Lisa wieder auftauchen. Ihr Verschwinden erregt die Weltmedien mehr als acht Monate später der Untergang der Titanic. Schon vorher hat sie mit ihrem sprichwörtlichen „geheimnisvollen Lächeln“ Künstler und Gelehrte betört und galt Gebildeten als vielleicht größter Schatz des Louvre. Aber erst in diesen zwei Jahren wurde sie zur Ikone, die wirklich jeder kennt.

Der französische Kunsthistoriker und Journalist Jérôme Coignard hat im Buch „Une femme disparâit“ (Eine Frau verschwindet“) in allen Details die Ereignisse rekonstruiert und sie in das vom Nationalismus aufgeheizte Zeitgeschehen am Vorabend des Ersten Weltkriegs eingebettet. „Die Juden“ wurden ebenso verdächtigt wie amerikanische Millionäre, Spitzel von Kaiser Wilhelm II. und Pablo Picasso. Auch aus Wien kam viel Anteilnahme, obwohl man betonte, dass die Kunstschätze dort im Allgemeinen besser bewacht und befestigt seien.

Männliche Verehrer

Tatsächlich erwiesen sich die Sicherheitsmaßnahmen des Louvre als lachhaft. Da half es auch nichts, dass man erst vor Kurzem eine Spezialüberwachung der Mona Lisa während der Besuchszeiten beschlossen hatte: aus Angst vor gewissen vor ihr verharrenden Verehrern, deren Emotion sich auch körperlich geäußert haben soll. La Joconde hatte auch Liebesbriefe erhalten, aus denen ein Psychologieprofessor schloss, der Täter sei ein psychisch kranker Sadist.

Tatsächlich tappte man im Dunkeln. Selbst der berühmte Kriminalist Alphonse Bertillon, von dem es bei Conan Doyle heißt, er übertreffe sogar Sherlock Holmes, konnte trotz seines bahnbrechenden Systems der anthropometrischen Personenidentifizierung mit dem gefundenen Fingerabdruck nichts anfangen, zumal er von der Daktylografie nichts hielt. Später stellte sich heraus, dass die Polizei die ganze Zeit einen Fingerabdruck des Täters auf einer Karteikarte gehabt hatte.

Der Anstreicher

Indessen hatte die Mona Lisa nicht einmal die Seine überquert. Sie wohnte in einer Holzkiste beim 29-jährigen lombardischen Anstreicher Vincenzo Peruggia. Er hatte im Louvre schon geholfen, Bilder ein- und auszurahmen. Und er wusste, dass der Louvre von Napoleon geraubte italienische Bilder beherbergte, wenn auch nicht genau, welche. Sein Traum: wenigstens eines davon seiner Heimat wiederzugeben. Warum er ausgerechnet die Mona Lisa nahm (ein Geschenk da Vincis an den König Francois I.)? Sie war so schön klein ...

Doch erst Ende November 1913 schreibt Peruggia unter dem Namen „Léonard V.“ zwei italienischen Kunsthändlern, er habe die Mona Lisa und wolle sie seiner Heimat Italien zurückgeben. Der Florentiner informiert den Direktor der Uffizien, erklärt sich zu einem Treffen bereit. Peruggia bringt das Gemälde, überlässt es dem Museum zwecks Echtheitsüberprüfung und spaziert noch ein paar Stunden ganz arglos in Florenz herum, bis er verhaftet wird.

Wie sich herausstellt, ist der berühmteste Kunstdieb der Geschichte ein sanfter Mann von sehr schlichtem Gemüt. Als er in der Haft hört, dass die Mona Lisa nach einer Triumphtour durch italienische Städte wieder an Frankreich zurückgegeben worden ist, meint er nur: „Man sieht, sie haben nichts verstanden.“

Auch durch den Louvre werden nun Massen geschleust, die sonst nie in Museen gehen, 15.000 Besucher an einem Tag. Viele Pariser zeigen sich danach enttäuscht – so viel Lärm zwei Jahre lang um eine Witwe mit gelblichem Gesicht und dicken Backen!

Größter Kunstbetrug aller Zeiten?

Ist es überhaupt die echte? Nach dem Diebstahl lautete die beliebteste Hypothese, dass die Mona Lisa gestohlen worden sei, um später eine oder mehrere Kopien als echte oder zusätzliche „Mona Lisas“ zu verkaufen. Den „raffiniertesten Kunstbetrug aller Zeiten“ vermutet auch ein neues Buch, „Das letzte Geheimnis des Leonardo da Vinci“. Es spekuliert kraus über einen Zusammenhang mit der 2012 in Genf präsentierten „Isleworth Mona Lisa“. Welches Geheimnis, fragt sich der Autor, hat der „1947 mit 66 Jahren verstorbene Täter“ wohl ins Grab mitgenommen? Peruggia starb allerdings nicht 1947, sondern 1925, eine alte Verwechslung. Schon einen Tag nach dem Attentat in Sarajewo wurde er freigelassen und beendete sein Leben so unbemerkt in einem Pariser Vorort, dass er später mit einem Mann gleichen Namens verwechselt wurde ...

Völlig übertönt vom Dröhnen des Ersten Weltkriegs wurde auch ein Artikel, der 1915 in einer französischen Zeitung erschien: „Die Bekenntnisse Peruggias“. Ein deutscher Agent habe Peruggia auf die Idee gebracht, die Mona Lisa für Italien zu stehlen. Der Mann habe Peruggia immer wieder in einem Lokal getroffen und ihm auch Geld gegeben, sich aber nach dem Diebstahl nicht mehr blicken lassen. Peruggia habe lange gewartet, in der Hoffnung, der Deutsche führe insgeheim Verhandlungen mit Italien und werde sich wieder melden.

Hintermann Otto Rosenberg?

Kriegspropaganda, Zeitungsente? Es würde immerhin erklären, warum Peruggia so lang untätig blieb. Und es gibt eine neue Theorie, wer der deutsche Hintermann sein könnte: Otto Rosenberg, perfekt Französisch sprechender Kölner Aristokrat und Gauner. 2008 wurde ein Akt zum Fall Mona Lisa im Berliner Archiv des Auswärtigen Amts entdeckt, die ihn u. a. als „Betrüger in Gemälden“ bezeichnet, den man auf großen Kunstauktionen treffe. Der Akt bescheinigt ihm auch Kontakte zur Gangsterbande „Bande de Pinon“, die nach dem Diebstahl im Visier der Ermittler stand. Die Ermittlungen könnten die Bande bewegt haben, sich zurückzuziehen.

Aber selbst dann bleibt eine Frage: Warum versuchten die Gauner nicht später, das Bild zu bekommen? Das kann auch Coignard nicht erklären.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2013)

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