Meese in Salzburg: Das totale Spiel wird fad

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Jonathan Meese, der aktuelle Bad Boy der deutschen Kunst, wird plötzlich ganz klassisch: Wenn man sein Alphabet des Tabubruchs allein von Leinwänden ablesen muss. Ohne von ihm dabei angeschrien zu werden.

Macht der das hauptberuflich? Kann man von so etwas wirklich leben?“ Entgeistert wäre zu viel Emotion für Oberstufenklässler beim Museumsbesuch. Aber zumindest verwundert sitzen sie vor den großen Leinwänden Jonathan Meeses im Museum der Moderne am Mönchsberg. Ist ja auch irre, was hier auf sie herunterglotzt: krampusartige Wesen, wie aus einem ganz bösen Science-Fiction-Spiel entfleucht. Die Dinge tun, die man sonst so gar nicht tun darf. Etwa mit erigiertem „Pimmel“, wie Meese sagen würde, den Hitlergruß machen und dabei eine Hakenkreuz-Bandage am Arm tragen. Spinnt der? Schwingt in den Fragen der Schüler mit. Ja, sollte die Museumspädagogin darauf antworten, aber das tut sie nicht, sondern druckst herum bei der obligaten Frage, wie viel so was denn koste.

Viel. Und ja, zu Recht, Meese ist einer der konsequentesten Spinner der heutigen Kunstszene. Jedenfalls spielt er ihn ziemlich perfekt. Ist darin mittlerweile aber so etwas von berechenbar. Nur, wo sonst darf es solche Existenzen geben als in der Kunst? Wo sonst muss es sie geben? Sie sind ein Ventil für das, was dräut in unserer Gesellschaft, ob uns das jetzt passt oder nicht. Die kokette, entideologisierte Vermischung von Pop und Extremismen – Faschismus, Sexismus, Pädophilie, Rechtsextremismus – kann zwar edelmütig verleugnet werden, ist aber ästhetischer Fakt, man braucht sich nur durch Facebook oder YouTube zu klicken.

Meese, die gelehrige Kunstfigur, brüllt diese postmoderne Verwahrlosung nur am wildesten hinaus in seinen litaneihaften Kaskadenreden, wie er sie etwa voriges Jahr auf der Wiener Kunstakademie gehalten hat. Seine Mission ist es, uns demokratieverweichlichte Konsenssucher auf die „Diktatur der Kunst“ einzuschwören. Um dieser Mission Kraft zu geben, gemeindet er ihr die Sprache und Symbole ein, die sich in unserem Kulturraum für derlei totalistische Zwecke bereits unmenschlich bewährt haben. Hakenkreuz, Hitlergruß, machistisches Gehabe – all das will Meese durch seine betont ideologiefreie Benutzung „neutralisieren“, sagt er, für seine „Kunst-Diktatur“ ausbeuten.

Dass das nicht funktioniert, ist das wohl kalkulierte Melodrama dieses 1970 geborenen deutschen Performancekünstlers, der sich so begierig wie eine Made in die deutsche Kulturgeschichte eingefressen hat. So ziemlich alles, was Meese für seine Inszenierung verwendet, ist schließlich entlehnt: Mit dem Hitlergruß hat schon der junge Anselm Kiefer experimentiert und skandalisiert – wobei seine Fotoserie um einiges seriöser daherkam und schließlich als typisch deutsche Selbstzerfleischung in den Kiefer-Mythos einging. An der Pflege des eigenen und allgemeinen Mythos arbeitet auch Meese wie besessen – lange schwarze Haare, Adidas-Streifen auf der Jacke, Wagner, Hitler und die im Konvoi mitreisende Meese-Mama – der Meese-Mythos steht. Der Gral, die Nibelungen, das „Erz“ überall – von Kiefer bis Schlingensief altbekanntes deutsches Kunst-Branding. Das wie gewohnt zum Unvermeidlichen führt – Meese inszeniert 2016 in Bayreuth „Parsifal“. Das Ausdehnen der Kunst ins Leben (was bis zum Design der Tischsets im Salzburger Museumsrestaurant reicht) – war da nicht schon einmal was?

Hitler gehört in Kunst, nicht ins Leben!

Wobei Meese immerhin einen Schritt weiter ist als die 1960er/70er-Jahre-Fantasten – er leugnet nicht das Spiel, die Rolle, die Maske, nein, er singt ihre Hymne: Alles muss gespielt sein, aber dafür wirklich gut. Die Bühne, die Kunst – dort soll wohl kathartisch das stattfinden, was im Leben nicht sein darf (wie Hitler zum Beispiel). Eine nette Idee, aber ähnlich naiv wie der Glaube, dass Kunst das Leben besser machen könne. Trotz allem hat Meese sich ein interessantes Konstrukt geschaffen, das es durchzudenken lohnt. Rein aus seiner Malerei heraus gelesen wirkt das von Meese durchbuchstabierte Gesamtkunstwerksalphabet in Salzburg aber seltsam holprig, ja lächerlich in seinem Willen, plötzlich als Klassiker in braver Hängung Eindruck schinden zu wollen.

Manche Bilder sind dabei durchaus gelungen, nicht allzu offensichtliche grusel-rockig. Dennoch fehlt viel von der nervigen Kraft, die Meese bei seinen Performances vermittelt. Es fehlt der schaurige Grad an Verstörung, der aus dem Rahmen fällt. Denn so ein (Keil-)Rahmen ist schließlich schon einiges gewohnt. Am schwächsten dabei ist die Balthus-Nummer, eine ganze Rauminstallation als anbiedernde Verneigung vor dem überdekadenten Lolita-Dandyismus, der an einem der letzten Tabus unserer Tage rüttelt, der Pädophilie. Aber er rüttelt verhalten, unentschlossen, fast ein wenig vorsichtig. Mehr als Tabu-Dropping ist das alles letzten Endes eben nicht. Vor dieser Kunst-Diktatur sollte man sich zu Recht fürchten.

ZUR PERSON UND AUSSTELLUNG

Jonathan Meese wurde 1970 geboren, hat sein „Hauptquartier“ in Berlin. Sein Ziel ist die „Diktatur der Kunst“, und er meint das wirklich ernst, sagt er.

In Salzburg wird Meese als reiner Maler ausgestellt, eine klassische Retrospektive. „Malermeese – Meesermaler“ läuft bis 9. März, es ist die letzte Ausstellung von Exdirektor Toni Stooss. Ab dann diktiert Sabine Breitwieser die Kunst am Berg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2013)

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