Albertina: Die mit den Augenblicken tanzt

(c) Katalog/Sonja Gangl
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Selten genug, dass eine Künstlerin hier eine Einzelschau bekommt. Und dann wird Sonja Gangl auf ihre Facette der klassisch-konzeptuellen Zeichnerin reduziert.

Nein, man möchte diesen Satz nicht schreiben müssen. Aber es macht nichts besser, auf ihn zu verzichten. Es gibt zu wenig Einzelausstellungen von Künstlerinnen. In Galerien, in Museen, international, in Österreich. Und in Wien in der Albertina im Speziellen. Das einmal in Zahlen gefasste krasse Missverhältnis – 2003 hatte Florentine Pakosta die letzte kleine Einzelausstellung einer Frau in der „neuen“ Albertina – verwunderte sogar den Verantwortlichen selbst, Direktor Klaus Albrecht Schröder, der seither unermüdlich „Besserung“ gelobte. Nur 2014 scheint es sich noch nicht auszugehen, da werden wieder ausschließlich Männernamen auf den Ankündigungstafeln über dem Aufgang zur Bastei prangen, einer nur zart bröckelnden Bastion des traditionell männlichen Künstlergeniekults.

Einer ihrer Götzen ist der deutsche Maler Georg Baselitz, der gern mit „Wahrheiten“ provoziert wie dem Sager, dass Frauen „nicht so gut malen. Das ist Fakt“. Zynisch, dass gerade er es ist, der sich in der Albertina jetzt erstmals etwas mit einer Künstlerin teilen muss, das unteilbar schien – die sich entrisch dahinwindenden Kahn Galleries im obersten Stock, bisher immer mit einer einzigen Ausstellung bespielt. Doch kaum ist eine Künstlerin im Spiel, muss zumindest „ex aequo“ gelten, könnte man ätzen. Oder sich schlicht freuen, dass Sonja Gangl trotz verdächtig misogyner Zwangsnachbarschaft erstmals eine museale Einzelpräsentation erhält. Und zwar ohne potente Galerie im Hintergrund, die Schröder deswegen seit Jahren auf der Brust kniet, alle Achtung, er übernahm sogar höchstselbst die Kuratorenrolle. Dabei konzentrierte er sich ganz aufs grafische Werk der 1965 geborenen Grazerin. Womit er sie auch darauf reduziert. Eine ambivalente Entscheidung – einerseits kann er sich dabei prächtig auf die ureigenste Rolle der Albertina als Grafikmuseum zurückziehen. Andererseits hat er bei anderen Anlässen und mit geringerer Motivation von dieser Rolle schon oft genug Abstand genommen. So weit, dass man hier ein paar Leuchtkästen mit pornografischen Motiven – diesmal aus Sicht einer Künstlerin, nicht etwa vom späten Picasso – ohne Weiteres verkraftet hätte.

In einer ihrer zentralen Werkgruppen spielt Gangl nämlich mit dem sinnmäßig verkehrten Zensurbalken – indem sie den Großteil des Standbilds aus einem Pornofilm verdeckt. Und nur den expliziten Streifen, der sonst in der breiten Öffentlichkeit so gern verdeckt wird, freilässt. Es ist so reizvoll, wie man es sich vorstellt. Zu sehen ist es – zumindest in der Albertina, beim ersten großen Auftritt der Künstlerin in der Öffentlichkeit – allerdings nicht. Dafür zeigt Schröder in elegischer Breite zwei Serien, die zwar nicht minder spannend sind. Deren Sinn man allerdings auch in strafferer Auswahl durchaus verstanden hätte.

Ein Abgesang auf das „Schlussbild“

In minuziöser Arbeit zeichnete Gangl Dutzende Schlussbilder von Kinofilmen ab, ein dramaturgisches Mittel des Abschieds, das seit den 1980er-Jahren schleichend verschwunden ist von den Fernsehschirmen und Kinoleinwänden. Man schreitet sie ab, diese von Gangl nahezu archäologisch dokumentierten Relikte einer Unterhaltungskultur, die noch Zeit hatte, ein „Ende“ zu finden, ein „Finis“ oder ein „The End“. Ähnlich sentimental der zweite ausgestellte Zeichnungszyklus, der ebenfalls im Film seinen Ursprung hat – und ins Private glitt. Erst aber zeichnete Gangl große Augenblicke der Filmgeschichte, also den Zoom auf Schauspieleraugen. Oft sind das Momente des Schreckens wie in „Psycho“. Es ist aber auch ein beliebter Trick, um den Betrachter darauf vorzubereiten, dass jetzt ein Rückblick, eine Erinnerung dieser Person folgt. Sucht Gangl auch bei den Zeichnungen von Augen ihrer Bekannten und ihrer selbst diesen Moment vor dem Sprung in eine andere Zeit? Es ist jedenfalls ein schöner Moment in Gangls Werk. Und es ist nicht der einzige. Man hätte gern mehr von ihnen gesehen.

Ausstellung

„Dancing with the End“ heißt die erste museale Einzelpräsentation der 1965 geborenen Grazer Künstlerin Sonja Gangl. Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder wählte dafür als Kurator zwei große Zeichnungszyklen aus.

Öffnungszeiten: Die Ausstellung wurde bis 12. Februar verlängert. Täglich 10–18 Uhr, Mittwoch 10–21 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2013)

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