Jüdisches Museum: Ungesäuertes für den Exodus

Arik Brauer
Arik Brauer Michaela Bruckberger
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Nach 35 Jahren hat Arik Brauer wieder die Haggada illustriert, das Handbuch zum jüdischen Seder-Mahl, bei dem der Auszug aus Ägypten gefeiert wird.

Am ehesten könnte man die Bedeutung der jüdischen Tradition des Lesens der Haggada mit dem Lesen des Lukasevangeliums im Christentum vergleichen. Denn bei den Juden ist das Seder-Mahl zu Beginn der Pessachwoche das wichtigste Familienfest des Jahres, wie Weihnachten für die Christen. Auch hier gibt es die (verschwindende) Tradition, dass der „Hausherr“ im Kreise seiner Familie aus der Bibel vorliest. Aus der „Hausbibel“, die wohl in den seltensten Fällen jene ist, die von Arnulf Rainer illustriert wurde, eher noch die Hundertwasser-Bibel, meist aber eine ganz schnöde, abgenutzte, nicht einmal mit kitschigen Bildchen versehen.

Ähnlich scheint es künstlerisch um die Haggada bestellt zu sein, von der es Ausgaben mit und ohne Illustrationen gibt, welche, die von Chagall gestaltet wurden oder eben von Arik Brauer. Der heuer 85-Jährige hat sogar schon zwei Haggadoth illustriert, vor 35 Jahren erstmals, jetzt auf Anregung des Unternehmers und Brauer-Fans Erwin Javor noch einmal. Die 24 Szenen in Tempera auf Karton werden ab heute im Jüdischen Museum ausgestellt, die Bilder sind diesmal leuchtender, heller, kräftiger als das erste Mal, allerdings nicht nur in manchen Einzelmotiven erstaunlich ähnlich, sondern auch stilistisch – der märchenhaft-narrative Stil Brauers eben, den man so leicht lieben kann.

Auf dem Kleid Jakobs, der weltumspannend seine Arme ausbreitet, lässt Brauer die Wörter „Goi Gadol“ erscheinen, „große Nation“. Zu einer solchen, so steht's geschrieben, war Jakob mit seinen Leuten gediehen, als er nach Ägypten hinabzog. Der versklavte Isrealit schuftet unter feuriger roter Sonne, mit Fußfessel und Gewicht. Das Meer teilt sich tatsächlich prächtig genau in der Mitte des Bildes, damit ein Strom bunten Volkes trocken hindurchziehen kann...

Die Haggada ist mehr als ein Auszug des biblischen „Auszugs“ – also des Buches Exodus, des 2. Buchs Mose. Die Haggada ist ein mit Thorastelle, Psalmen, Liedern, Kommentaren (und manchmal eben auch Illustrationen) versehenes Handbuch für das gesamte Ritual des Seder-Mahls, das Christen, meist ohne es zu wissen, als „Letztes Abendmahl“ kennen, das der jüdische Gelehrte Jesus mit seiner Familie, den Aposteln, feierte.

Ungesäuertes Brot und bittere Kräuter

Eine Woche lang wird im jüdischen Pessach an die Flucht der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei gedacht, der Seder-Abend („Ordnung“) leitet diese Woche am Abend des 15. des Monats Nisan ein. Erst wird in die Synagoge gegangen. Dann zu Tisch gebeten, der mit symbolischen Speisen gedeckt ist: u.a. mit einem Stück Lamm, das für die Opferung des Pessach-Lamms im Tempel steht, ungesäuertem Brot für die Eile, mit der man fliehen musste, mit Bitterkräutern für die Härte des Sklaventums, Salzwasser für die Tränen, einer braunen Masse u.a. aus Obst, Nüssen und Zimt für den Lehm, aus dem in Ägypten Ziegel hergestellt werden mussten. Dazu werden an bestimmten liturgischen Stellen vier Becher Wein getrunken.

Zu Beginn aber stellt das jüngste Kind dem ältesten Familienmitglied vier Fragen über das Ritual. Weil der „Seder ganz wesentlich eine Feier der Freiheit ist, und Freiheit beginnt mit dem Recht, alles infrage zu stellen“, schreibt Autor Joshua Sobol in seinem Nachwort zur neuen Brauer-Haggada. In dieser darf, nach 40 Jahren wieder, der Herausgeber Erwin Javor den Jüngsten „geben“ und Fragen zur Seder stellen. Ganze 30 sind es, die Antworten gibt ihm Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg. Es ist ein launiges Zwiegespräch, das orthodoxe Juden wohl weniger vom Kauf dieser Haggada überzeugen dürfte.

Doch da ist man im Judentum nicht so streng, zwischen 3000 und 4000 Versionen der Haggada soll es geben, von einer feministischen bis zu einer veganen bis zu einer Zehn-Sekunden-Haggada – und seit Kurzem gibt es auch eine, die Schriftsteller Jonathan Safran Foer herausgegeben hat: „New American Haggadah“ (Verlag Little, Brown and Company). Foer hat die Texte zusammengestellt, Nathan Englander hat ins Englische übersetzt, es gibt Kommentare von vier jüdisch-amerikanischen Intellektuellen. Wobei man übrigens auf eine „repräsentative“ Illustration verzichtet hat. Gestaltet wurde das Buch ziemlich experimentell und luftig vom Typografen Oded Ezer.

Ausstellung im Jüdischen Museum bis 25.Mai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2014)

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