Wien-Museum: Ein Chemiker und seine Experimente

Wien-Museum, Franz Sedlacek
Wien-Museum, Franz Sedlacek(c) APA
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„Chemiker der Phantasie“: Das Wien-Museum zeigt Bilder von Franz Sedlacek, einem lange vergessenen Künstler der Zwischenkriegszeit. Nun erinnert man sich an ihn – auch an seine Stellung im NS-Regime.

Kein anderer Künstler der österreichischen Kunstgeschichte hat in den vergangenen Jahren auf dem Kunstmarkt so rasant reüssiert: Jahrzehntelang hatte Franz Sedlacek ja als Geheimtipp für schrullige Sammler der wenig anerkannten österreichischen Kunst der Zwischenkriegszeit gegolten. So schrullig wie seine Motive: unheimliche, karikaturhafte Szenen eines scheinbar alltäglichen Wahnsinns, gemalt in feinster, altmeisterlicher Lasurtechnik, die er sich im Kunsthistorischen Museum von den Niederländern abgeschaut hat. Es sind Landschaften wie Seelenlandschaften, Räume wie menschliche Innenräume – in einem Eck des Zimmers ein Klavierspieler, im anderen nur eine Standuhr und ein phallischer, scheinbar außer Kontrolle geratener Gummibaum. Durch den weiten Raum dazwischen schwebt eine Fledermaus. „Lied in der Dämmerung“, 1931 gemalt. Eine Version dieses Hauptwerks wurde 2005 um 160.000 Euro versteigert.

Nur zwei Jahre später hatte sich der Preis verdoppelt. Für ein gruseliges Kabinett voller teils komisch-grotesk entstellter Köpfe fiel 2007 der neue Rekord für Sedlacek: 300.000 Euro war einem Sammler das Bild „Beim Moulagenmacher“ (1932) wert. (Eine Moulage ist die Nachbildung eines erkrankten Körperteils, bis in die Fünfzigerjahre hinein wissenschaftliches Anschauungsmaterial.)

Mitgliedschaft bei der NSDAP

Es folgte ein erstes großes Werkverzeichnis, eine erste große Retrospektive in der Linzer Landesgalerie 2012. Und jetzt, 20 Jahre nach der letzten Sedlacek-Einzelschau in Wien, im Technischen Museum, in dem Sedlacek ein Leben lang eine Beamtenkarriere verfolgte, eine Ausstellung im Wien-Museum.

Das große Comeback eines lange vergessenen Malers? Ja. Aber auch eines Mannes von deutschnationaler Gesinnung, der Mitglied bei der Vaterländischen Front und bei der NSDAP war. Kein Wort davon etwa auf der von einer Galerie betriebenen Seite (www.franzsedlacek.at). Die Gleichzeitigkeit der Ausstellungen von Emil Nolde (Antisemit, Nazi und „entarteter“ Künstler) und Sedlacek ist eine Art verschärfter Moraltest für Kunstliebhaber und -kritiker. Fehlt noch eine Otto-Muehl-Schau über seine Kommunenzeit. Wie wäre es einmal mit einer Ausstellung „Kunst und Verbrechen“ von einem Kurator, der sich noch zu polarisieren traut? Beginnend bei Caravaggio, dem Mörder?

Es sind wichtige Fragen: Kann man das Werk von der Gesinnung trennen? Muss man es? Man soll, solange der Künstler selbst es tat. In Sedlaceks Fall war das so, jedenfalls in seiner Malerei. Die Zeichnungen und Karikaturen wurden in der Wiener Ausstellung ausgespart, es existieren allerdings antisemitische Zeichnungen des 15-jährigen, erklärt Sedlacek-Spezialistin und Kuratorin Gabriele Spindler, Leiterin der Landesgalerie Linz. An denen könne man ablesen, in welchem Milieu der 1891 in Breslau (heute Wroclaw) geborene Künstler aufwuchs. Nämlich in einem klar deutschnational ausgerichteten.

Sein Vater Julius hatte in Breslau eine Kühlmaschinenfabrik gegründet. Als der Erstgeborene sechs war, ging man wieder zurück in die Heimat, nach Linz. Gleich nach der Matura wurde Franz zum Studium nach Wien geschickt, er entschied sich für Chemie. Gemalt wurde in der ersehnten Freizeit. Diese heute fast nicht mehr vorstellbare Schizophrenie wurde ein Leben lang aufrechterhalten. Auf der einen Seite das bürgerliche Leben als Kustos im Technischen Museum. Auf der anderen Seite die „Andere Seite“, wie der Roman seines Freundes Alfred Kubin hieß.

Ein Chemiker unterbricht, wie erstarrt, sein Experiment. Sein Blick schweift aus dem Fenster des geisterschlossartigen Labors hinaus, in die Ferne. „Der Chemiker“, ein Selbstporträt des zwischen Bourgeoisie und Boheme Zerrissenen? Ein Gelehrter in seiner raumfüllenden Bibliothek, ein Buch in der Hand. Sein Blick haftet an seinem einzigen Gegenüber, einem grellgelben Papagei am Fenster. Zwei Pole in einem Inneren?

Während Sedlaceks Beamtenkollegen von seiner Malerei nicht einmal gewusst haben sollen, stellte das New Yorker MoMA seine Bilder in den Dreißigerjahren aus. Das „Life Magazine“ nannte ihn 1937 „the world's craziest painter“. Da war Sedlacek bereits der „Nationalsozialistischen Betriebsorganisation“ im Museum beigetreten. Gleich nach dem Anschluss 1938 bewarb er sich um die Mitgliedschaft in der NSDAP, die ihm 1941 bewilligt wurde. In seinen Bildern merkt man davon nichts – sie wurden von vielen gesammelt, auch von jüdischen Sammlern. Heute sind sie in alle Winde verstreut, von 133 recherchierten Gemälden weiß man nur von etwa 85, wo sie sich befinden, so Spindler.

1938 hellte sich die Farbpalette auf

Dass sich just 1938 Sedlaceks sonst so dunkel-düstere Farbpalette aufhellte; dass er die Grotesken, die verzerrten Gesichter zusehends sein ließ und sich mehr und mehr den à la Caspar David Friedrich mit einzelnen menschlichen Stellvertretern nur ausgestatteten neoromantischen Landschaften zuwandte – das alles könnte purer Opportunismus gewesen sein. Vergleiche Nolde, den auch seine Überzeugung nicht davor bewahrte, künstlerisch verfemt zu werden.

Sedlacek blieb das erspart, er war nicht übermäßig, aber gut präsent im NS-Ausstellungsbetrieb. Mehr weiß man einfach nicht, sagt Spindler. Obwohl Sedlacek sehr schreibfreudig war, sind praktisch keine Korrespondenzen vorhanden, die politische Kommentare enthalten. Auch nicht von der Front, an die er sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg musste, in diesen ging er als Wehrmachtshauptmann, von der Ostfront kam er nicht mehr zurück. Seine Familie ist bis heute darauf bedacht, dass der Vater als unpolitischer Mensch und Künstler gesehen wird. Letzteres zumindest scheint zu stimmen.
Die Ausstellung im Wien-Museum verschweigt nichts, verurteilt nichts, kommentiert wenig. Auch künstlerisch, die 48 Gemälde bilden auf ihren schwarzen Wandelementen ein dichtes, dunkles Wäldchen, aus dem sie geheimnisvoll strahlen. Ein wenig kann man sich hier verlieren, nicht viel, die Raumgröße ist sehr bescheiden. In sieben thematischen Kapiteln werden u. a. Landschaften, Magisch-Surreales, Technikbegeisterung, religiöse Szenen und Stillleben vorgeführt, fast wie auf einer Puppenbühne, was an Sedlaceks Bekannten, den Puppenspieler Richard Teschner, erinnert. In der Beengtheit wird vielleicht auch die Ausweglosigkeit spürbar, die Sedlacek begleitet haben muss, persönlich, künstlerisch, ideologisch. So würde man sich das zumindest gerne vorstellen.

Wien-Museum, bis 21. April, Di.–So. 10–18h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2014)

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