Edith Kramer: Mutter der Kunsttherapie ist gestorben

Edith Kramer, 2006, in ihrer Ausstellung in der Wiener Galerie Kovacek.
Edith Kramer, 2006, in ihrer Ausstellung in der Wiener Galerie Kovacek.Die Presse (Clemens Fabry)
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Nachruf. Mit 97 Jahren starb Edith Kramer in Grundlsee. 1938 war die Malerin nach New York geflohen.

Sie wirkte wie aus einer anderen Welt, als die „Presse" sie 2006 in der Wiener Glas-Galerie Kocavek zum Interview traf - eine alte Wiener Dame, aber bodenständig, mit fast rustikal roten Backen, die jeden Sommer von New York auf eine Almhütte nahe dem Grundlsee zog. Um dort ohne Telefon, ohne Strom, nur eins zu tun, zu malen. „Ich muss irgendetwas Künstlerisches machen - immer, immer, immer", meinte sie. Ähnlich ihrer Malerkollegin Maria Lassnig merkte man Edith Kramer eine von der Jugendbewegung geprägte Kindheit an, ihre Verbundenheit zur Natur. Nur ging die in eine jüdische, von Kunst und Psychoanalyse geprägte Familie Geborene völlig andere Wege als die drei Jahre später geborene Kärntnerin.

Edith Kramers großer Verdienst liegt weniger in ihrer eigenen, naturalistischen Malerei (wie wohl diese bei ihr an erster Stelle stand), als in der Einführung der Kunsttherapie in den USA, in die sie 1938 auswandern musste. Mit 33 Jahren wurde sie dort in der Nachkriegszeit als „Kunsttherapeutin" in einer New Yorker Reform-Institution für Straßenkinder beschäftigt. Die Kombination ihrer Kenntnisse aus dem eigenen Künstlertum und von Sigmund Freuds Psychoanalyse ließen Kramer ihre Therapieform entwickeln, die sie 1958 erstmals festhielt („Art Therapy in a Children's Community"). 1975 erschien ihr in viele Sprachen übersetzter Klassiker „Kunst als Therapie mit Kindern", die 6. Auflage in deutscher Sprache ist gerade in Druck.

Kramer arbeitete viele Jahre in der Kinderpsychiatrie, 1976 gründete sie an der New York University den Lehrgang Kunsttherapie. Bis ins hohe Alter lehrte sie hier, hielt zuletzt immer noch zumindest Vorträge zu Aggression und Sublimierung. Ihre Klienten, ihre Schülerinnen und Schüler waren wie Kinder für sie. Selbst blieb die Nichte des Lyrikers Theodor Kramer kinderlos. Auch die Ehe schien ihr nicht gelegen, bzw. ihren Männern, erzählte sie in einem „Presse"-Interview: „Ich lebe gerne allein - es ist nicht so, dass ich nie jemanden gefunden hätte. Ich war ja nicht so schiach", sagt sie schmunzelnd. „Aber die Malerei war für mich immer die Hauptsache. Das hält ein Mann nicht aus, dass er nicht das Wichtigste im Leben einer Frau ist."

Selbst noch ein Kind bekam Kramer in Wien schon mit fünf Jahren Kunstunterricht, von einer Schülerin des Reformpädagogen und Kinderkunstschulen-Gründers Franz Cizek. Als Kramer zwölf war, lehnte Cizek sie aber ab, sie sei schon zu reif für seine Schule. So erst kam ein Kontakt zustande, der Kramer auch für ihre therapeutische Arbeit später prägen sollte: Sie bekam Unterricht von der kommunistischen Bauhaus-Absolventin Friedl Dicker-Brandeis. Die politisch engagierte Malerin und Designerin ist heute vor allem dafür bekannt, dass sie Kindern im Konzentrationslager Theresienstadt Zeichenstunden gab und ihnen so zumindest ein wenig ihr tägliches Überleben erleichterte.

Schon in Prag, wohin Dicker-Brandeis 1934 ins Exil gegangen war, begann sie mit Kindern politischer Flüchtlinge zu arbeiten. Das alles muss Kramer stark beeinflusst haben: „Kunst war immer am besten, wenn sie einer sozialen Funktion diente", daran hielt sie bis zuletzt fest. Mit gerade 18 war sie ihrer Lehrerin damals in die Tschechoslowakei gefolgt. Doch anders als Dicker-Brandeis, die 1944 im KZ ermordet wurde, schaffte Kramer die Flucht nach New York. Am 21. Jänner, wie erst jetzt bekannt wurde, ist die „Mutter der Kunsttherapie" in Grundlsee verstorben.

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