Wie Amerika die Coolness erfand

Missy Eliott
Missy Eliott(c) EPA
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Schwarze Jazzmusiker, Beat-Poeten, Patti Smith oder Missy Elliott: Zwei Fotoausstellungen in Washington beleuchten die Entwicklung der Coolness zum erfolgreichsten kulturellen Exportgut der USA.

An einer Straßenecke, stehen, auf niemanden, warten, das ist Power: Dieser schöne Satz stammt vom Beat-Poeten Gregory Corso, und er bringt geschliffen die Coolness auf den Punkt. Wer cool ist, lässt sich nicht von den Umständen antreiben, bewahrt im Trubel der Zeit seine Haltung, hält die Realität stets eine Handbreit von sich.

So könnte man auch einen Aristokraten beschreiben: Wem per Geburtsrecht die Welt zu Füßen gelegt ist, der kann mit dem nonchalanten Blick des Anspruchsberechtigten auf sie herabblicken. Doch irgendwann um 1945 entstand in New Yorks Jazzkellern ein neues, revolutionäres Menschenbild: Die Ikonen des „American Cool“ kamen mit wenigen Ausnahmen aus der Arbeiter- oder Mittelschicht, und sie schufen sich ihren Status mit Talent, Einsatz, Mut und Zuversicht. Wie „American Cool“ zum erfolgreichsten kulturellen Exportgut der USA wurde, ergründet eine neue Ausstellung in der National Portrait Gallery in Washington.

Da wäre zunächst die Frage zu klären, woher das Wort „cool“ überhaupt kommt. Der Jazzsaxofonist Lester Young begann es in den 1940-Jahren als Erster zu verwenden, um einen bestimmten Seelenzustand zu erfassen. Wenn er „I'm cool“ sagte, meinte er: Ich bewahre Haltung, trotz all des Wahnsinns, der um mich tobt. Young war der erste Musiker, der auch in finsteren Lokalen mit Sonnenbrille auftrat; bald taten es ihm zahllose Jazzer gleich, darunter auch Miles Davis.

Eine Schöpfung der Schwarzen

Doch das nächtliche Sonnenbrillentragen war für die schwarzen Musiker nicht bloß eitle Geckengeste. Es war eine symbolische Selbstbehauptung gegenüber einer Gesellschaft, die ihre schwarzen Bürger zwar in zwei Weltkriegen hatte kämpfen und sterben lassen, ihnen in Bussen und Zügen aber trotzdem nur die billigen Plätze zuwies. „Es gibt keinen Schwarzen, der nicht diesen Zorn in seinem Blut hat“, brachte der Schriftsteller James Baldwin die Seelennöte der Afroamerikaner in der rassistischen Gesellschaft der frühen Wirtschaftswunderjahre auf den Punkt. Baldwin war als Schwarzer und Homosexueller doppelt ausgegrenzt.

Wer solche Demütigung täglich ertragen muss, braucht eine Maske, hinter der er seinen Zorn zähmen kann. Der Kulturwissenschaftler Joel Dinerstein von der Tulane University in New Orleans weist im hervorragenden Katalog zur Ausstellung auf den Umstand hin, dass es in 35 west- und zentralafrikanischen Sprachen Ausdrücke für „cool sein“ oder „cool machen“ gibt. Das Volk der Gola in Liberia zum Beispiel definiert „cool“ als „die Fähigkeit, im richtigen Moment nonchalant zu sein und keine Emotion in Situationen zu zeigen, in denen Aufregung und Sentimentalität erlaubt wären“.

„American Cool“ ist also eine Schöpfung der Schwarzen – wenngleich die Ausstellung der Porträts der 100 coolsten Amerikaner mit dem weißen Dichter Walt Whitman beginnt. Denn Whitmans Appell, persönliche Erfahrung über angelernte Erziehung zu stellen und sich seinen eigenen Weg im Leben zu suchen, sollte bis in die Gegenwart wesentlich für all die wirklich Coolen sein. „Ohne Originalität bist du nirgends“, sagte Lester Young. Die Beat-Poeten verehrten die Jazzmusiker. Jack Kerouac, ihr Berühmtester, vergötterte Young und rief dazu auf, so zu schreiben, wie Bebop-Musiker improvisierten. „Charlie Parker ist wie Buddha“, schwärmte er. Cool zu sein war auch eine Antwort auf die Beschleunigung durch Autos, Flugzeuge, Telefone und Fernsehgeräte.

In den 1960ern entwickelte sich der Begriff weiter. Cool zu sein hieß nun, man selbst zu sein, sich von den Zwängen der Verbrauchergesellschaft freizuspielen. Cool konnte jetzt jeder sein – und, vor allem, jede. Die 1960er brachten die ersten weiblichen Ikonen der Coolness, die sich ihr Image abseits des Klischeebogens zwischen Femme fatale und Sexbombe schufen: Man denke an die Musikerin und Dichterin Patti Smith, die Schriftstellerin Susan Sontag oder – eine Generation später – die Hip-Hop-Künstlerin Missy Elliott.

Die Straße als großes Theater

Die Zeit, in der all dies stattfand, hat kaum ein anderer amerikanischer Fotograf besser eingefangen als Garry Winogrand. Es trifft sich günstig, dass die National Gallery of Art ihm nur ein paar Straßen von der Portrait Gallery entfernt die größte Werkschau seit seinem Tod vor drei Jahrzehnten widmet. „In den 1960ern wurden die Straßen der Städte zu einer Art Improvisationstheater, in dem jeder ein Darsteller werden konnte“, hat der 1928 in der Bronx geborene Sohn ungarischer und polnischer Juden gesagt. In diesem Theater war er zu Hause: bei den Protesten gegen den Vietnam-Krieg im Central Park ebenso wie beim Rodeo in Dallas. Jedes Detail konnte bedeutsam sein, jedes Gesicht erstaunlich; eine namenlose Frau an einer Straßenecke in Los Angeles war, im richtigen Moment erwischt, so reizvoll und stolz, so unnahbar und cool wie ein Filmstar.

Viele der Menschen auf Winogrands stets spontanen Bildern erwecken diesen Eindruck. Woher kommt das? „Ein Foto ist nicht die Realität“, sagt Leo Rubinfien, der Kurator der Ausstellung, der als junger Mann bei Winogrand studierte, der „Presse“. „Es hat Form, Eleganz, immense Konzentration auf Details. All dieser Aufwand lässt ein gutes Foto außergewöhnlich erscheinen. Und dann denkt man sich: ,Wow, das ist cool.‘“

DIE AUSSTELLUNGEN

„American Cool“ läuft bis 27. September in der National Portrait Gallery in Washington, D. C. (Näheres unter npg.si.edu). Der Katalog ist bei Prestel erschienen.

„Garry Winogrand“ ist bis 8. Juni ebenfalls in Washington in der National Gallery of Art zu sehen (www.nga.gov). Der Katalog ist bei Yale University Press erschienen. Beide Ausstellungen gehören zur Smithsonian Institution und sind somit für jedermann bei freiem Eintritt zu besuchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2014)

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