Wenn ein Kind aus einem Bruegel-Gemälde flieht

(c) Clemens Fabry
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Bekannte Schriftsteller wie Péter Esterházy, Josef Winkler, Maja Haderlap oder Franz Schuh haben Texte zu Gemälden im Kunsthistorischen Museum verfasst: zu erleben bei "Ganymed goes Europe".

Die knarzenden Böden des Kunsthistorischen Museums sind der Sammlung nicht förderlich, der geistigen Sammlung angesichts der musealen. Sammlung braucht es aber viel, wenn man einem der ungewöhnlichen und bemerkenswerten Abende im Kunsthistorischen Museum etwas abgewinnen will, die das Projekt „Ganymed goes Europe“ bietet. Nach den offiziellen Öffnungszeiten öffnet sich das Museum für ein Stationentheater, bei dem an jeder Station etwas völlig anderes zu sehen und zu hören ist.

Es sind Texte von zehn Schriftstellern. Sie haben sich je ein Gemälde ausgesucht und darüber geschrieben. Schauspieler sprechen und spielen diese Zwiegespräche zwischen Literatur und Malerei vor den betreffenden Gemälden, gleichzeitig und immer wieder, sodass die Zuseher, die von Raum zu Raum wandern, alles nacheinander hören können. Dazu kommen musikalische Bilddeutungen u.a. von Johanna von Doderer. Und man braucht nur die Schauspielerin Mercedes Echerer kurz erzählen zu hören, um fast unwiderstehlich in ein Bild hineinzudriften.

Wie sie als einsame „Saalaufsicht“ (so heißt der Text von Lajos Parti Nagy) auf ein Mädchen aus „Jäger im Schnee“ von Pieter Bruegel d. Ä. aufmerksam wurde, hört man da, wie dieses Mädchen anfing, sie anzublicken, Kontakt zu knüpfen, wie es nach einem Jahr aus dem Bild herauskam. „Frau Direktor, wissen Sie, wer der Vater meiner Tochter ist?“, sagt die Saalaufsicht nach ihrer Kündigung. „Sie ist 31, und ihr Vater ist Pieter Bruegel der Ältere.“ Und ob Frau Direktor etwas Besonderes auf dem Gemälde sehe? „Sie verneinte, doch wurde sie leichenblass dabei.“

Unheimlich gute Echerer

Das alles schildert Echerer so nachdrücklich und stier nach innen gerichtet, dass einem unheimlich dabei werden kann – unheimlich real. Auch Franz Schuh hat sich ein flämisches Bild ausgesucht, „Hölle“ von Herri met de Bles. Schuhs Hölle ist die Notaufnahme eines Patienten verdauenden und ausspuckenden Spitals, grausig-witzig erlebt aus der Sicht einer „der Altersarmut entgegensausenden“ Frau (Sona MacDonald). Diese Hölle ist ein vernetztes Unternehmen mit Göttern in Weiß, wo der Teufel nur ab und zu erscheint, wenn er auf Kur bei den Barmherzigen Brüdern ist.

In der stillen „Apfelschälerin“ des Holländers Gerard der Borch, die zu Hause mit Kind und verlöschter Kerze gezeigt wird, sieht Milena Michiko Flasar eine Witwe. Bei der Nachricht vom Tod des Mannes „hat sie bereits begonnen, einen von vielen Äpfeln zu schälen“; das Kind sieht in seiner Fantasie den in Schalen begrabenen mütterlichen Körper vor sich. „Aus Sicht des Kindes fiel Vater mehrere Male“, und das Geräusch des Fallens ist jenes zu Boden fallender Apfelschalen. Ein schlichter, ergreifender Text über den Kriegstod von Vätern.

Die Putzfrau tötete Holofernes

Eine unerwartete Geschichte erzählt auch Carlo Saracenis Bild „Judith mit dem Haupt des Holofernes“ dem Autor Doron Rabinovici. Aus der treuen Alten (links unten im Bild) wird eine Putzfrau, die den Kopf des Feldherrn im Müllsackerl trägt und sehr wienerisch erzählt, wer den Mord wirklich begangen hat: Nicht die schöne saubere Judith hat sich die Hände schmutzig gemacht, sondern die Gehilfin. „Wer, wenn nicht sie, hätt' den Mord auf sich nehmen können? Sie war die Heldin...Was wär ich hingegen, hätt ich mich zum Attentat bekannt? Eine Mörderin, eine Terroristin, eine Bestie!“ (sim)

„Ganymed goes Europe“ im KHM: noch am 19. März, 2., 9., 23., 30. April, 7., 14., 21.,
28. Mai, 19–22 Uhr, Einlass ab 18.15 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2014)

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