Ai Weiwei in Berlin: Zu Kunst geronnener Widerstand

Weltweit gr��te Ausstellung von Ai Weiwei
Weltweit gr��te Ausstellung von Ai Weiwei(c) APA/dpa/Kay Nietfeld (Kay Nietfeld)
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In seiner bisher größten Ausstellung setzt sich der chinesische Superstar als politischer Märtyrer in Szene. Die Schau wird gestürmt, Kritiker rümpfen die Nase.

Die Reliquie liegt in einem Schrein aus Plexiglas. Die Besucher der Ausstellung in Berlin stehen andächtig davor. Ein Paar Handschellen, gleich jenen, mit denen Ai Weiwei an einen Stuhl gefesselt war, als Chinas Geheimpolizei ihn für 81 Tage wegsperrte. Sie sind mehr als ein Readymade des Gefängnisalltags, das sich durch Isolierung in die Höhen der Kunst erhebt. Sie wirken wie Armreifen, sind aus kostbarer Jade, dem edelsten Material im Reich der Mitte.

Der politische Künstler, so scheint es, erhöht sich selbst zur Ikone der Rebellion. Er inszeniert seine PR-Auferstehung nach der Passion. In Peking steht der 56-Jährige immer noch unter Hausarrest. Das Regime hat vergeblich versucht, ihn mundtot zu machen, nun schweigt es ihn zu Hause tot. Der ästhetische Aktivist aber klagt weltweit umso lauter an, in der Universalsprache der Konzeptkunst. Er lässt sich weder biegen noch beugen. Er zeigt Werke im Westen, wo man ihn verehrt, liebt und feiert, als Symbol des Widerstands, als Fanal der Freiheit.

Alles nur „Dissidentenfolklore“?

Das Publikum steht begeistert Schlange. Schon nach vier Tagen sind über 10.000 Besucher zur bisher größten Werkschau von Ai Weiwei in den Martin-Gropius-Bau gepilgert. Das Allerheiligste: die getreue Nachbildung seiner Zelle. Lehrer treiben ihre Schüler vor sich her und sind froh, dass sie keine Frage aus der Herde überfordert. Gleich neben den Mauerresten und der „Topografie des Terrors“ wird hier, mit den Mitteln der Kunst, eine dritte Diktatur zur Schau gestellt – so schlicht und plakativ, dass sich die Schande mit ein paar anekdotischen Hinweisen vom Audioguide rasch jedem eröffnet und wie von selbst erklärt.

Das Feuilleton der deutschen Leitmedien aber wittert die Falle. Von einer „Gefängnisshow“ berichtet die „Süddeutsche“, über „Dissidentenfolklore“ ätzt die „Zeit“. Das Kunstmagazin „Monopol“ rümpft die Nase über „brachialen Mainstream“. Um Welten böser noch die „Welt“: Die „Musealisierung des eigenen Leids“ wirke „von Raum zu Raum impertinenter“. Ai Weiwei erweise sich als „Künstler mit überschaubaren Fähigkeiten“. Charmant zieht sich die „FAZ“ aus der Affäre: Kritik an Ai wirke „kleinlich bis herzlos“, „als hätte man an Nelson Mandela bemängelt, dass seine Anzüge nicht sitzen“.

Es ist aber in Wahrheit noch heikler. Denn dass der Verfemte ein schwacher Künstler sei, der die komplexe Wirklichkeit Chinas simplifiziere, dem Westen nach dem Maul rede und zu Hause ohne Bedeutung sei – das ist genau die Propaganda der chinesischen Führung. Ein Dilemma für Rezensenten, aber mehr noch für Ai selbst. Kein Künstler kann sich wünschen, dass ihn politische Korrektheit gegen Kritik immunisiert.

Er kann sich nur in seinem Werk beweisen. Und er tut es, auch in Berlin, mit einigen eindrucksvollen Arbeiten. Die rostigen Armierungseisen, die sich wie in Schmerzen verkrümmt ineinander winden, erinnern an die 5000 Schüler, die das Erdbeben von Sichuan unter sich begrub – weil ihre Schulen schlecht gebaut waren und korrupte Funktionäre sich daran bereicherten. Freilich ist auch dieses Bild schlicht. Aber stark.

Höhepunkt der Schau ist die große Installation im Lichthof: tausende Holzhocker aus Bauernstuben alter Zeiten, in Reih und Glied aufgereiht. Eine routinierte Klage über den Verlust an Tradition in der rasanten Modernisierung des Landes. Aber zugleich ein Friedensangebot im Diskurskampf zwischen westlichem Individualismus und fernöstlichem Gemeinschaftsgeist: Das meditative Muster ergibt sich aus der Masse – und hängt doch daran, dass jeder Schemel in Form und Farbe auf seine Weise einzigartig bleibt.

Mit ausgestrecktem Mittelfinger

Aber die Selbstinszenierung des Meisters? Er bewahrt seinen grimmigen Witz, wenn er die „Souvenirs“ seiner Unterdrückung in Szene setzt. Freilich ist ihm die Kunst ein Mittel des Kampfes geworden. Ohne Zweifel geht dabei viel Subtiles und Kreatives verloren. Wie frech und irritierend Ai einst war, zeigt eine ältere Fotoserie: seine Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger vor allem, was Ehrfurcht gebietet – Regierungssitze, religiöse Stätten und Kulturgüter in aller Welt. Wer heute in China an der Front steht, kann sich Selbstironie nicht leisten. Aber man darf Ai Weiwei etwas wünschen: Er möge bald wieder frei genug sein, um seinen Mittelfinger auch gegen die eigene Ikonisierung auszustrecken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2014)

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