Die Ikonen der Maidan-Revolution

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Eine außergewöhnliche Momentaufnahme im Wiener Künstlerhaus: ukrainische Kunst, die in Zusammenhang mit der jüngsten Revolution in Kiew entstand.

Wie ein absurdes Mobile des improvisierten Grauens hängen sie in einer Reihe an Schnüren von der Decke: die Artefakte, die ein Kiewer Museum und eine Galerie geistesgegenwärtig von der Maidan-Revolution eingesammelt haben, die ganze selbst gebastelte Bewehrung des ukrainischen Volksaufstands, geflickte Gasmasken, seltsame Helme, Äxte, eine Art Dornenkrone.

Exakt unter dieser nahmen gestern, Donnerstag, ein älterer Herr und eine junge Dame im oberen Stock des Wiener Künstlerhauses Platz, die zwei Kuratoren einer eilig in fünf Wochen zusammengestellten Ausstellung, die sein musste. „Wir folgen einer emotionalen Reaktion, die viele Ukrainer haben“, sagt Konstantin Akinsha. „Die Situation in der Ukraine macht uns verrückt.“ Der in der Ukraine geborene Kurator für Klassische Moderne ist zwar US-Staatsbürger, lebt in Europa und hat sich vor 20 Jahren von der zeitgenössischen Kunst abgewandt. Doch jetzt, durch die aktive Rolle vieler Künstler in der Revolution, habe sie für ihn wieder Sinn bekommen.

So war Künstlerhaus-Direktor Peter Zawrel überwältigt von dem Foto eines Malers, der mitten im Granatenhagel an seiner Staffelei stand und malte. Ein Foto, das Akinsha ihm im Februar schickte, als er ihn spontan um Unterstützung bat. Das Künstlerhaus stellte sofort Räume zur Verfügung. Und half bei der Suche nach Sponsoren, die in diesem Fall einmal erwähnt werden sollten: Erste Bank, Wiener Städtische und Schwechater Kabelwerke erklärten sich kurzfristig bereit, Geld zur Verfügung zu stellen für diese Momentaufnahme einer exzeptionellen Bewegung, die eine Kunstszene quer über alle Genres und Altersgruppen miteinander verband.

Barrikaden aus Eis als Kunstwerke

Das zeigt auch die Zusammensetzung des Kuratorenduos, Ko-Kuratorin ist die junge ukrainische Kunstkritikerin Alisa Lozhkina. Die aus Schnee auch in durchaus künstlerischer Absicht errichteten Barrikaden der Demonstranten seien die beeindruckendsten Kunstwerke gewesen, die sie je gesehen habe, sagt sie. Fotos davon sind leider nicht zu sehen, auch keine vom Präsidentenpalast, über dessen hohlen Prunk Ende des Monats in Kiew eine Ausstellung eröffnet wird.

Nachwehen gibt es bereits. In Wien sieht man, was „Künstler im Ernstfall tun“, wie Zawrel es beschrieb. Posters entwerfen zum Beispiel, wie Andriy Yermolenko es tat, der mit einem Sujet den jüdisch-orthodoxen Revolutionären des Maidan ein Denkmal setzte, oder die Facebook-Gemeinschaft Strike Posters – der blutende Christbaum wurde zu einer Ikone der Revolution. Genau wie die ironischen Bilder, die eine Gruppe anarchistischer Künstler mitten auf dem Maidan in einer aus Brettern provisorisch errichteten Galerie ausstellte. Oder ein kleines Ölbild, das den Ex-Präsidenten mit Nikolohaube bei der Schweinejagd zeigt: „Frohes Neues Jahr“ wünschte man sich damit 2013/14 auf Twitter und Facebook.

Diese Revolution war eben eine digital angetriebene: Ein Video aus Internet-Streams erinnert an die als Helden angesehenen Menschen, die die Kämpfe live ins Internet übertrugen. Zwar gingen auch einige Fotos von Performances wie der von Markiyan Matsekh, der sein Klavier vor der Polizistenphalanx aufstellte und Chopin spielte, durch die internationalen Medien. Ansonsten dachte sich die ausländische Kunstszene oft: Was sagt zu all dem eigentlich Oligarch Victor Pinchuk, der einzige internationale Player der Ukraine im Kunstbetrieb, der in Kiew ein Museum mit großen Namen betreibt? Nicht viel, bestätigen die Kuratoren, er wartet sichtlich ab.

Also muss bzw. darf man neue Namen lernen: den von Roman Minin etwa, der rustikale hölzerne Sarkophage für die in Donezk aus Kohle unbeabsichtigt Pyramiden bauenden Oligarchen gestaltete – das Gebiet ist zurzeit von russischen Separatisten besetzt.

Künstler mit Vorahnung finden sich nach Katastrophen immer: Myroslav Vayda etwa, der schon vor Beginn der Unruhen einen „Wald“ aus rauchenden Autoreifentürmen baute. Ein anderer Künstler baute schon zuvor das Modell eines mittelalterlich anmutendes Katapults, das letztendlich in Originalgröße tatsächlich eingesetzt wurde. Vasily Tsagolo begann 2012 eine Serie, die Kämpfe zwischen Bevölkerung und Polizei zeigte.

Einige Polizisten aus der schärfsten Einheit erlagen übrigens der eigenen Eitelkeit: Sie posierten für inszenierte Fotos des jungen Künstlers Nikita Shalennyi in ihren Vermummungen. Ohne selbst zu erkennen, dass sie nicht nur Rembrandts „Die Anatomie des Dr.Tulp“ nachstellten, sondern auch rund um eine zivile Leiche posierten. „Wo ist dein Bruder?“, heißt diese Serie. In manchen Situationen ist er tatsächlich auf der Kunstakademie. Oder gerade auf den Barrikaden.


Künstlerhaus, bis 23. Mai. Di.–So. 10–18h, Do. bis 21h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2014)

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