Graphic Novel: Gentechnik-Requiem

Verbrecher Verlag
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Dietmar Daths und Oliver Scheiblers gelang mit „Mensch wie Gras wie“ ein visionärer Wurf.

Den Autor kennt man – Dietmar Dath ist schließlich so produktiv, dass sein Spitzname „Die Schreibmaschine“ lautet. Als Journalist publiziert er seit 1990, war zwischendurch u.a. Chefredakteur der Musikzeitschrift „Spex“ und ist jetzt wieder als Redakteur bei der „FAZ“, wo er zu fast jedem Thema die Art von gelehrten Abhandlungen produziert, die nur aus langer und obsessiver Beschäftigung mit der Materie entstehen – ein Ausnahmefall in Zeiten, da sich solche Texte immer öfter wie schön geschriebene Wikipedia-Zusammenfassungen lesen.

Die Schriftstellerei hat Dath daneben nicht weniger arbeitswütig betrieben: Zwischen Popkultur und Politik (bevorzugt aus marxistischer Perspektive), zwischen Wissenschaft und Kunst hat er seit gut 20 Jahren tausende von Seiten in Roman-, Gedicht-, Essay-, Theater- und anderer Form gefüllt. Sein Fantasy-Epos „Die Abschaffung der Arten“ kam 2008 gar auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Zweischneidige Zukunftsmusik

Nun kommt zu dem überbordenden Dath-Konvolut eine neue und irgendwie überfällige Form – Dath beschäftigt sich schließlich schon lange auch mit Comics: Seine verblüffende Graphic Novel „Mensch wie Gras wie“ bietet nun keine Überraschung in den Themen: zweischneidige Zukunftsmusik mit den kritischen Schwerpunkten auf Gentechnik, Liebeswirren, Identitätskrisen, Macht- und Arbeitsverhältnissen. Aber das Werk betritt dennoch Neuland, dank des Mitschöpfers: Zeichner Oliver Scheibler, den man (bisher) nicht kennt, aber dessen grafisches Talent sofort begeistert. Viele seiner oft seitengroßen Illustrationen können sich mit Kapazundern wie Robert Crumb und Maurice Sendak oder Spitzenwerken ernsthafter japanischer Manga-Produktion beziehungsweise deren Holzschnitt-Vorläufern messen und wirken schon für sich genommen visionär.

Besondere Bedeutungen entfalten sie im freien Zusammenspiel mit Daths Texten, wobei längere Erzählpassagen immer wieder von reinen Bildstrecken unterbrochen werden – Träume und Rückblenden, rätselhafte, surreale, gar schockierende, aber stets überzeugende optische Metaphern. Die deutsche Pflanzenbiologin Elin Elwert will in Japan über das Scheitern ihrer ungewöhnlichen Beziehung zu einem Transsexuellen hinwegkommen: Sie tröstet sich mit einem deutschen Informatiker, der ihr das Angebot aus Frankfurt unterbreitet, ihre revolutionären Genexperimente unter besten Bedingungen weiterzuführen. Für einen sinistren Großinvestor züchtet sie ein Gras, das überall wachsen kann.

Von Brahms bis Fukushima

Das erklärt den Titel dieses Comics, der sowohl die Bibel wie deren Brahms-Bearbeitung in „Ein deutsches Requiem“ paraphrasiert: „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras und alle Herrlichkeit wie des Grases Blumen.“ Auf die Vergänglichkeit, die da beschworen wird, steuert auch das Finale des Buchs in bewährter Science-Fiction-Tradition hin – im Gegensatz zur üblichen Lesart sieht das Dath allerdings nicht unbedingt anti-utopisch. Überhaupt lädt der Comic zur freien Interpretation, indem er seine unkonventionell erzählte, aber eigentlich süffige Story – halb Thriller, halb Entdeckungsreise – mit vielschichtigen Einschüben zum Weiterspinnen in alle Richtungen freigibt – nicht zufällig zählen Spinnennetze neben Go-Brettspielen (mit Spielstein-Anordnungen vom Smiley bis zum schwarzen Loch) und Graswucherungen zu den Zentralmetaphern, die ästhetische, emotionale und politische Parallelen beschwören. Nicht weniger kühn werden blitzartig mit Fukushima-Aufräumarbeiten oder einem Pizza Hut im Weltraum ganz andere Bezüge geöffnet.

Im 14 Seiten langen Nachwort – er ist halt die Schreibmaschine – erzählt Dath nicht nur, welche ungeahnten Bereicherungen sein Entwurf durch Scheibler erfahren hat, sondern stellt auch bereichernde Überlegungen zum Comic und seiner Ästhetik an: „Mensch wie Gras wie“ bietet so praktisch wie theoretisch ein Anschauungsobjekt für das Potenzial der Comic-Kunst.

„Mensch wie Gras wie“ ist soeben erschienen: Verbrecher Verlag, 206Seiten, 24Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2014)

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