Maria Lassnig, die große Malerin, ist tot

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Kunst. Die bedeutendste Malerin Österreichs des 20. Jahrhunderts starb gestern in Wien im Alter von 94 Jahren.

Wien. Natürlich ahnte man, dass es bald zu diesen Zeilen kommen würde. Dass es ihr schlecht ging. So schlecht, dass sie voriges Jahr nicht mehr nach Venedig reisen konnte, um sich abzuholen, was sie so verdient, verdient, verdient hatte: Den Goldenen Löwen der wichtigsten Kunstbiennale der Welt für ihr Lebenswerk.

Doch Maria Lassnig wollte nicht mehr, konnte nicht mehr. Sie blieb in Österreich, in Wien, in ihrem Zimmer, in ihrem Bett. Alles Orte, die sie nicht mochte. Sie mochte London, wo sie in den vergangenen Jahren gefeiert wurde, als „Entdeckung des Jahrhunderts“, als Grande Dame der Malerei, als zweite „warrior queen“ neben Bildhauerin Louise Bourgeois. Oder nach New York, wo dieser Tage noch in der schicken, jungen Dependance des Museum of Modern Art eine umwerfende Retrospektive Lassnigs läuft. Immerhin erlebte sie diese Triumphe noch, wenn auch aus der Ferne. Sie war müde. Sie war 94 Jahre alt.

Man wusste, dass es bald zu diesen Zeilen kommen würde. Gestern, Dienstag abend, war es soweit. Maria Lassnig ist gestorben. Die bedeutendste Künstlerin Österreichs des 20. Jahrhunderts. Die bedeutendste Malerin Europas des 20. Jahrhunderts. Und man hofft natürlich, dass es letztendlich so war, wie sie es sich gewünscht hat in einem der letzten Gespräche: „Na sanft natürlich, einschlafen, damit man nix spürt.“

Schonungslose Selbstbeobachtung

Sie hatte genug gelitten, viel in den letzten Jahren und schrecklich bewusst. Ihr Körper, ihre „Body Awareness“ war es schließlich, was ihre Malerei seit 1949 ausmachte. Schonungslose Selbstbeobachtung, hunderte Selbstporträts, die sie „wie mit geschlossenen Augen“ auf die Leinwand bannte. „Ich habe damals entdeckt“, so Lassnig, „dass ich das malen möchte, was ich spüre.“

Gleichsam nackt trete sie jedes Mal vor die Leinwand, ohne Hilfsmittel, ohne Spiegel. Dafür mit den „Urzustandswerkzeugen“, mit Pinsel und Stift. Bestimmte Farben wählte sie nach bestimmten Zuständen aus, erfand so Krebsangstfarben, Schmerzfarben, Druckfarben, Spannungsfarben, Dehnungsfarben, Kälte- und Wärmefarben etc. Ob abstrakt oder gegenständlich, das variierte. Das konnte sanft, ironisch, aber auch richtig hart werden, vor allem im Alter: Wenn sich da ihr ausgemergelter Körper quer über eine Leinwand spannte, die Beine von Gewichten nach unten gezogen. Ein Wiesel hielt sie bei diesem Überlebenskampf dennoch beschützend in Händen.

Kinder hatte sie nie, das ging sich nicht aus, nicht mit der Kunst, nicht mit den Männern. Sie blieb allein. Sehr alleine manchmal, so schien es, öffnete die gebrechlich wirkende Dame ihre Ateliertüre. Aber das Schicksal war selbstgewählt, leicht war es wohl weder für sie noch für andere mit dieser starken Persönlichkeit, zwischen extremer Weltoffenheit und extremem Misstrauen schwankend. Ihre Mutter, die sie 1919 als uneheliches Kind im Kärntner Dorf Kappel am Krappfeld geboren hatte, war ihr die nächste, „eigentlich immer meine einzige Verwandte auf der Welt“. Taucht die 1964 Verstorbene auf in manchen Bildern, als Schatten der Tochter etwa, dann bohrt sich diese Erinnerung schon einmal wie ein Pfahl durch die Brust der dargestellten jungen Frau im Vordergrund.

Glücklich war sie schon in ihrer Jugend nicht, die „dumme Ridi“ wurde sie genannt in der Klosterschule, erinnerte sie sich, sie zeichnete unter der Schulbank Dürer aus dem Lehrbuch ab, porträtierte im Wirtshaus Bauern auf Servietten. Viel später noch, in ihrem Atelier in einer alten Schule in ihrem Heimatdorf, wird sie das wiederholen und ihre Landsleute zeichnen in einem wunderschönen, leichthändigen Zyklus. Doch erst einmal musste sie weg aus der Natur, von den Tieren.

1980 Rückkehr aus New York

Mitten im Krieg radelte sie nach Wien, wurde auf die Akademie aufgenommen, besuchte 1941 bis 1943 die Meisterklasse von Wilhelm Dachauer, der sie schließlich hinauswarf, weil sie die anderen Schüler „verderbe“. Sie studierte bei Ferdinand Andri und Herbert Boeckl weiter. 1951 ging es ins Zentrum der Moderne, nach Paris, wo sie Paul Celan kennenlernte. Er ermutigte sie, den nächsten Schritt zu tun – nach New York, 1968. Sie war alleine, fand keinen Anschluss - „aber ich war sicher furchtloser als viele andere“. Wie ein weiblicher King Kong malte sie sich riesenhaft durch die New Yorker Häuserschluchten wandern.

In ihrer Isolation belegte sie einen Kurs für Zeichentrickfilm, ein Wissen, das sie schließlich mit nach Wien nahm, wohin sie 1980 zurückkehrte. Eigentlich schon fast als alte Dame, Anfang 60, wurde sie Professorin für Malerei und Trickfilm an der Angewandten. Sie war eine schwierige Lehrerin, streng und liebevoll, verteilte Süßigkeiten und verlangte Bescheidenheit und Handwerk und von Frauen immer mehr als von Männern. „Ich hab' kein feministisches Engagement“, betonte sie. „Sicher habe ich auch gelitten als Frau, aber ich habe keine Zeit dafür, für diese Sache zu kämpfen.“ In den Trickfilmen wie „Kantate“ (1992) waren die kämpferischen Töne dann doch versteckt. „Aber ich war sicher keine Aktionistin und keine Feministin. Das ist beides Politik, und ich war nie eine Politikerin. Ich habe nie irgendwo dazugehalten. Weil ich eine Einzelperson bin, bitte. Eine ganz seltene Einzelperson.“

Man hat es gewusst, dass diese Zeilen bald nötig werden. Jetzt ist es soweit. Jetzt ist sie nicht mehr, diese ganz seltene Einzelperson. Diese ganz seltene, große Malerin.

ZUR PERSON

Maria Lassnig wurde am 8. September 1919 in Kappel am Krappfeld in Kärnten geboren. 1941 wurde sie an der Wiener Akademie der bildenden Künste aufgenommen, aus der sie schließlich hinausgeworfen wurde, weil sie die Schüler verderbe. 1980 kehrte sie nach Wien zurück, wo sie eine Professur für Malerei antrat. 1980 vertrat sie auch mit Valie Export Österreich bei der Biennale in Venedig. Als erste bildende Künstlerin erhielt sie 1988 den Großen Österreichischen Staatspreis.

("Die Presse", Printausgabe vom 7.5.2014)

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