LaChapelle: „Was regt die Leute auf? Ein Penis, ein Busen?“

David LaChapelle
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David LaChapelle findet die Debatten über sein Plakat zum Life Ball „erschreckend“. Er glaubt, dass die Welt am Abgrund steht, speziell seine Heimat Amerika.

Die Presse: Was dachten Sie über die Kritik an Ihrem Plakat für den Life Ball?

David LaChapelle: Ich kam von Hawaii nach Los Angeles, um ein Musikvideo zu drehen. Dann sah ich auf meinem Computer diese Oma mit der Spraydose und wie stolz sie auf ihre Aktion war. Wir lachten. Es kommt öfter vor, dass Leute auf meine Plakate was draufschreiben. Aber dann habe ich mehr über die FPÖ gelesen und dass sie den Life Ball und Gery Keszler klagen, das fand ich erschreckend. Sind diese Leute gewalttätig? Worüber regen sich diese Menschen so auf, über einen Penis, einen Busen? Ich verstehe nicht, was an diesem Plakat so provozierend ist. Wenn Sie den Fernseher aufdrehen, sehen Sie nichts als Gewalt: Das ist eine Industrie, mit der sehr viel Geld verdient wird! Nehmen Sie all diese Krimis und Krimi-Dokumentationen. Und dann die Horror-Filme und Folter-Pornos. Da wird einem Mädchen 30 Sekunden lang das Auge rausgeschnitten. Wir leben in einem neuen Mittelalter. Damals war alles, was mit dem Körper zu tun hatte, beschämend, obszön; und Folter war Entertainment.

Wie hat das mit Ihrer Leidenschaft für die Fotografie begonnen?

Die erste Kamera bekam ich mit 17. Ich war in einer High School für Kunst. Ich habe immer gemalt und gezeichnet, vor Fotografie hatte ich Angst. Dann belegte ich einen Fotokurs. Meine Freunde waren Tänzer, sie haben nackt posiert, ich habe sie fotografiert.

Ihre Kompositionen sind fantasievoll, aber sie wirken auch sehr strikt. Gibt es da überhaupt Raum für Spontaneität?

Für mich war die analoge Fotografie sehr prägend. Ich habe es geliebt, in der Dunkelkammer zu sein! Andererseits: Die digitale Fotografie ist so ökonomisch und so klar. Es ist leicht, große Fotos zu machen, aber ebenso Schnappschüsse mit dem Handy – und dann noch das Fotoshop-Verfahren. Ich schaue schon, dass Raum für Spontaneität bleibt und für die Magie des Moments, wenn z.B. in Hawaii ein Frosch durchs Bild hüpft. Wenn man Personen aufnimmt, kann sowieso alles passieren. Manchmal dirigiere ich die Leute, manchmal bringen sie selber wundervolle Posen. Sehr wichtig ist Musik.

Ein Bild wie „Deluge“ mit so vielen Menschen, war das schwierig aufzunehmen?

Welche Musik hatten wir? Ah, „Halleluja“ in der Version von Jeff Buckley. Mit Musik bringst du Gefühle in Fluss – wie beim Film.

Ihre Blumenfotos sehen teilweise aus wie jene des Blumen-Brueghel. Sie lassen sich von bildender Kunst inspirieren, oder?

Ich liebe alte Meister! Das können Sie bereits an meinen frühen Aufnahmen feststellen. Ich habe mit Fotos für Galerien begonnen, dann für Magazine gearbeitet und ... sehen Sie hier, diese Aufnahmen mit den Engelsflügeln. Da muss ich Ihnen etwas erzählen. Ich konnte die passenden Federn nicht finden. Ich lernte einen Mann kennen, der Flügel herstellen konnte. Ich fragte ihn, was die kosten würden, er sagte: 2500 Dollar. Ich war praktisch pleite und sagte: Ich habe nur 2000 Dollar. Er gab mir vier Paar Flügel, sie sind ganz toll, ich habe sie aufbewahrt und später für das Foto mit Michael Jackson benutzt.

Sie haben Michael Jackson öfter fotografiert. Wie haben Sie ihn erlebt?

Jeder glaubte Michael zu kennen, keiner kannte ihn wirklich. Er blieb immer geheimnisvoll. Sehen Sie das Foto, Christus hält Michael Jackson wie die Mutter Gottes Jesus: die Pietà. Ich liebe dieses Motiv. Die Leute waren schockiert. Michael war ein sehr religiöser und spiritueller Mensch. Er hat 400 Millionen Dollar für Kinder gespendet. Als er beim Drehen des Pepsi-Spots 1984 schwer verbrannt wurde, hätte er Pepsi klagen können. Stattdessen schlug er vor, dass er und Pepsi gemeinsam eine Klinik für Brandverletzungen bei Kindern gründen. Durch den Brand fielen ihm die Haare aus, er musste eine Perücke tragen, durch den Schweiß bei den Konzerten bekam er eine Infektion. Dann hatte er Vitiligo, diese Krankheit, bei der die Haut weiß wird. Was dieser Mann in seinem Leben gelitten hat, das ist biblisch.

Michael Jackson wurde sexueller Belästigung Minderjähriger verdächtigt.

Er liebte Kinder auf eine reine Weise. Er wurde gejagt und verhöhnt. Wäre ich er gewesen, ich hätte mich umgebracht. Michael war ein Held. Am Ende seines Lebens war er glücklich mit seinen Kindern. Aber diese Tour war zu viel für ihn, erst 10, dann 50 Konzerte! Er konnte nie schlafen, speziell nicht auf den Touren, es war schwer für ihn runterzukommen nach den Konzerten. Sein Leben geriet völlig aus den Fugen. Es war nicht seine Schuld, und er wollte nicht sterben. Es war ein Unfall.

Auch Sie haben viel Hektik. Was machen Sie um „runterzukommen“?

Ich fliege nach Hawaii. Ich hatte auch eine Weile so ein Leben wie Michael, viel Druck, Geschwindigkeit. Viele Jahre dachte ich, dass ich sterben würde. Alle meine Freunde starben an Aids, auch mein damaliger Boyfriend, mein Studio-Manager. Er war 17! Ich war sicher, dass auch ich Aids hatte. Aber ich ging nicht zum Arzt, weil ich wusste, die Medizin, die die Ärzte verschreiben, ist auch Gift.

Ihr Anwesen auf der Hawaii-Insel Maui ist ein ehemaliges Nudisten-Camp.

Stimmt. Das hat einen Österreich-Bezug. Die früheren Besitzer waren ein Paar, der Mann stammte aus Hawaii, die Frau aus Amerika. Sie reisten durch die Welt und befassten sich mit der Freikörperkultur in Deutschland und Österreich. Das war nicht so was Perverses, sondern weltanschaulich fundiert. Der Mann starb. Die Frau betrieb das Camp weiter, aber dann wurde es ihr zu viel, weil die Touristen ruinierten alles. Sie war sehr schön, noch mit 65 Jahren. Sie hat uns öfter besucht.

Hawaii gilt als spiritueller Platz.

Die Natur ja. Aber ein spiritueller Platz kann überall sein, auch mitten im Chaos.

Glauben Sie an Gott?

Ja! Ich wurde katholisch erzogen. Heute denke ich, dass alle Religionen Flüsse sind, die in dasselbe Meer münden.

Sind Sie Optimist oder Pessimist?

Amerika bricht zusammen, da kann man förmlich zuschauen. Wir wissen nicht, was danach passieren wird. Wir erleben einen Wandel wie es ihn nie zuvor gegeben hat. Die Welt steht am Abgrund.

War das nicht immer so?

Es gibt heute einen so starken Materialismus, Besitzgier, Kriege um Ressourcen, Energie. Was kaum thematisiert wird: Die Überbevölkerung. Wir sind einfach doppelt so viele Menschen auf diesem Planten im Unterschied zu der Zeit, als ich geboren wurde. Wir müssen uns auf einen großen Bruch vorbereiten. Wir müssen uns um Erleuchtung bemühen, meditieren, elektronische Geräte abschalten, allein sein, Wege zum inneren Frieden suchen. Jeder einzelne Tag ist kostbar. Wir müssen jeden Tag so leben, als hätten wir gerade die Krebs-Diagnose bekommen.

Was würden Sie tun, wenn Ihnen das widerfahren würde?

Wahrscheinlich würde ich tun, was ich immer getan habe, nach Hawaii gehen und fotografieren – solange ich kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2014)

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