Hubert Scheibl: "Bilder sind Löcher in die Realität"

Hubert Scheibl
Hubert Scheibl(c) Michele Pauty
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"Je schöner die Landschaft, desto ignoranter die Menschen", so die These des österreichischen Malers Hubert Scheibl. Er ist in Gmunden geboren. Ein Ort, zu dem er eine ambivalente Beziehung hat.

Sie leben in Wien. In Gmunden am Traunsee sind Sie geboren. In wenigen Tagen wird dort Ihre Ausstellung „Echo Lake“ eröffnet. Welche Verbindung haben Sie zu Ihrem Heimatort?

Hubert Scheibl: Es ist eine Hassliebe. Das Salzkammergut ist ein irrsinnig schöner Platz, an dem die Leute aber ignorant sind.

Das klingt so, als gäbe es eine Wechselwirkung zwischen der schönen Landschaft und der Ignoranz ihrer Bewohner.

Das ist meine These. Speziell in sehr schönen Gegenden entwickeln die Menschen einen hohen Grad an Ignoranz. Sie definieren sich über die schöne Landschaft und glauben, das Schöne sind sie.


Eine interessante These. Wie haben Sie diese Ignoranz wahrgenommen?

Dass vieles, was neu oder anders war, dort schnell abgelehnt worden ist. Als wir jung waren, haben Christoph Ransmayr (Anm.: Der Schriftsteller stammt auch aus der Gmundner Gegend.) und ich lange Haare gehabt. In manchen Gasthäusern haben wir deshalb Lokalverbot bekommen. Wenn wir dort rausgeschmissen worden sind, war das nur eine Bestätigung der Aggression, die ich ohnehin schon die ganze Zeit untergründig wahrgenommen habe.


Heute sind Ihre Haare kürzer. Verbringen Sie noch Zeit in Gmunden?

Immer wieder. Aber lange halte ich es trotzdem nicht aus. Dabei ist es mir sehr schwergefallen, nach dem Tod meines Vaters alles aufzulösen. Denn es gibt ja in mir auch das Bedürfnis, meinen Kindern zu zeigen, wo ich aufgewachsen, wo ich herumgerannt bin.

Erleben Sie Wien als toleranteren Ort?

In Wien gibt es eine hochkultivierte Form von Entwertung und Ablehnung. Ich will nichts verallgemeinern, aber in Italien gilt doch eher die Devise: „Leben und leben lassen.“ Das steht mir näher als die in Wiener Schmäh verpackte Abwertung.

„Stadtluft macht frei“ – das würden Sie nicht unterschreiben?

Doch schon. Ich habe ja auch jahrelang in Bologna und New York gelebt. Deshalb ist es auch möglich gewesen eine Identität zu entwickeln, die nicht nur mit Heimatlichem zu tun hat.

Sie sind aber doch wieder nach Österreich zurückgekommen. Weshalb?

Ich glaube, ich bin schon sehr von meinen Freunden abhängig.

Kennen Sie das Gefühl, sich irgendwo zu Hause zu fühlen?

Das Gefühl „Heimat“, damit fange ich nicht viel an, was aber sicherlich damit zu tun hat, dass ich meine Mama so früh verloren habe. Ich war damals erst neun Jahre alt.

Können Sie heute abschätzen, was dieser Verlust mit Ihnen gemacht hat?

Ich habe mich ausgegrenzt gefühlt. Plötzlich fehlt ein Teil von dir?! Ich fühle mich auch heute immer wieder als Einzelgänger. Dieses Gefühl bekommt man auch ein Leben lang nicht los. Es ist besser, man freundet sich irgendwann mit dieser Prägung an.

Wie sind Sie eigentlich zum Malen gekommen?

Ich habe ein Semester Philosophie und Geschichte studiert. Dann bin ich auf die Akademie der bildenden Künste, weil ich selber etwas tun wollte. Aber das ist eigentlich gar nicht der Grund fürs Malen gewesen.

Sondern?

Man spürt so einen inneren Druck. Dann muss man sich etwas suchen, weil man mit Dingen kämpft, die sich in Sprache nicht ausdrücken lassen. In meinem Fall hatte das mit meinen familiären Umständen zu tun. (Pause)Ich sehe meine Arbeit als Umgang mit meiner defensiven Sprachlosigkeit.

Defensive Sprachlosigkeit?

Ja. Sprache und Bild sind für mich zwei entgegengesetzte Pole. Ich kämpfe immer um den Ausdruck. Mich interessiert der Zustand vor dem Begriff. Die Phase, bevor der Baum zum Baum und das Haus zum Haus wird. Das ist in der Bildsprache der spannendste Moment. Aber das ist kompliziert zu erklären. Die deutsche und viele andere Sprachen haben für diese Phase, bevor das Ding einen Namen kriegt, kein Wort. Im Hebräischen gibt es angeblich eines.

Wenn Sie das so erzählen, frage ich mich umso mehr, wieso Sie ihren Bildern Titeln geben? Es kommt mir nämlich kein Begriff in den Sinn, wenn ich Ihre Bilder betrachte. Dann lese ich einen Titel wie „Plants and Murders“, und schon gibt es die Assoziation mit dem Konkreten. Wollen Sie das denn?

Ich glaube, ich will einen Fluss, der in zwei Richtungen fließt. (Lacht) Ich weise den Bildern einen Titel zu. Der spricht das limbische System an. Mein Bild aber spricht einen komplett anderen Teil an, den emotionalen nämlich. Das ist das Paradoxe. Aber Bilder sind für mich Löcher in die Realität. Wenn ich arbeite, merke ich ja selber, wie schnell das geht: Du malst, und das Gehirn beginnt schon, alles zusammenzustoppeln.

Stört Sie das bei Ihrem Schaffen?

Schon. Aber abstrakte Kunst ist immer schwieriger zu dechiffrieren. Ich finde, Bilder werden auch an dem Widerstand, geknackt zu werden, gemessen.

Wieso muss man ein Bild überhaupt knacken?

Muss man nicht. Ich glaube nur, man tut es aus dem Bedürfnis heraus, die Welt in den Griff zu kriegen. So funktionieren unsere Gehirne. Wir gehen spazieren und unser Gehirn entschlüsselt automatisch, was wir wahrnehmen. Sonst würden wir wahrscheinlich sofort wahnsinnig werden.

Gehört Malen zu Ihrem Alltag?

Nicht immer, es gibt Perioden, da mache ich wenig, zeichne nur oder brüte vor mich hin. Über den Winter arbeite ich wenig an Ölbildern – im Atelier mit der Heizung und die Dämpfe, und dann trocknet die Farbe nicht. Pausen sind ganz wichtig, finde ich, weil sich mit ihnen so eine Spannung für das Nächste aufbaut. Und schließlich wird man ja auch an der Reflexion seiner eigenen Arbeit gemessen.

Welche Phase ist jetzt?

Jetzt ist Pause, es ist ja auch gerade Schulschluss. Arbeit ist ohnehin der Hauptteil des künstlerischen Lebens, aber wenn man Kinder hat, wird einem radikal abgewöhnt, dass man sich zu wichtig nimmt. Es ist den Kindern auch ganz egal, ob du heute etwas zusammengebracht hast oder nicht. Das ist das Schöne! Irgendwie sind die Kinder meine Rettung.

Sie sind spät Vater geworden. War das für Sie eine große Umstellung?

Am Anfang ist man schon überrascht, wie massiv sie ist. Aber es ist so wichtig, dass sich nicht alles nur um einen selbst dreht. Von Geniekult halte ich nämlich gar nichts. (Schweigen) Es erstaunt mich übrigens immer wieder, wie genau meine Kinder über mich Bescheid wissen. Sie merken genau, wenn ich leer bin oder mich bei der Arbeit völlig ausgeblutet habe. Sie respektieren dann, dass ich still bin. Und sie spüren auch, wenn ich stabil bin. Dann fordern sie mich, weil sie wissen, jetzt geht das auch.

Schön, dass Ihre Kinder mit Ihren Schwächen so gut umgehen können.

Ja, denn eigentlich ist Schwachsein nicht zeitgemäß. Der Mensch heute muss sich optimal ausbeuten, effizient sein, alles muss sich im Maximalbereich abspielen. Ich habe vor einiger Zeit eine Ausstellung in Südkorea gehabt und war überrascht, wie ehrgeizig die dort sind. Unsere Kinder werden sich einmal sehr warm anziehen müssen, denn die Asiaten geben so viel vor.

Diese Entwicklung besorgt Sie?

Ja, ich finde es schrecklich, wenn eine Gesellschaft alles nur mehr unter die Doktrin der Wertschöpfung stellt. Wenn es überhaupt keinen anderen Parameter als Geld mehr gibt, dann kann man damit rechnen, dass das Besteck auch bald abgeschafft wird.

Ihr Vorschlag?

Wirtschaftlich können wir mit Asien nicht mithalten. Europa ist aber mit seinen Kulturformen für die Asiaten und den Rest der Welt jedenfalls symbolisch sehr wichtig. Ich finde, es ist Zeit, neue Impulse zu setzen.

Welche?

Man kann ja mit ein bisschen weniger auskommen. Es gibt auch unter den Künstlern welche, die den Hals nicht voll genug kriegen können. Das soziale Leben macht doch nur Sinn und Spaß, wenn wir teilen. Ich glaube, Geld und Kapital werden irgendwann an Bedeutung verlieren. Und Zeit wird sich zu einem neuen Wert entwickeln.

Steckbrief

1952
wurde Hubert Scheibl in Gmunden geboren. Er lebt in Wien und hat zwei Kinder.

1976 bis 1981
Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Max Weiler und Arnulf Rainer.

1980
Mitglied der Gruppe der Neuen Wilden.

1985
Biennale von São Paulo.

1987
Biennale von Venedig.

2013
Ausstellung im Museum der Moderne in Salzburg „Plants and Murders“.

2014
Goldenes Verdienstzeichen der Stadt Wien.

12. Juli Beginn der Ausstellung „Echo Lake“ in der Galerie 422 in Gmunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2014)

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