Gödels Tiefe und Weltfremdheit

Kurt Gödel
Kurt Gödel(c) Wikipedia
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Vienna Summer Of Logic. Zur Versammlung von 2500 Wissenschaftlern in Wien gehört eine interessante Ausstellung über Kurt Gödel: Sie zeigt auch einen Prototypen der Nerds.

Über Wien befragt, habe Kurt Gödel knapp geantwortet: „Der Kaffee ist erbärmlich.“ Das schrieb Gödels Freund Oskar Morgenstern ins Tagebuch – und kommentierte: „Er ist sehr spaßig in seiner Mischung aus Tiefe und Weltfremdheit.“

Es ist nicht zu hoffen, dass die 2500 internationalen Wissenschaftler, die derzeit beim Vienna Summer Of Logic in der Stadt zu Besuch sind, alle den Kaffee schlecht finden. Es scheint auch nicht, als seien sie alle besonders weltfremd: Beim Empfang im Festsaal des Rathauses beeindruckte eher ihre Kunst (und Geduld), sich in mehrfach gewundenen Schlangen beim Buffet anzustellen.

Aber Kurt Gödel, der große Mathematiker und Logiker aus Brünn, ist unbestritten die – um das Wort einmal frech umgangssprachlich zu verwenden – logische Galionsfigur des Ereignisses. In der Akademie der bildenden Künste ist bis 24.Juli die Ausstellung „Kurt Gödel und die Ursprünge der Logik in Wien“ zu sehen. Bei der Eröffnung erinnerte Peter Weibel wieder einmal daran, wie vergessen Gödel und der Wiener Kreis im Österreich der Siebzigerjahre waren. Die Vertreibung der Vernunft durch den NS-Terror war nachhaltig gewesen.

Weibel, der Mathematiker Werner Schimanovich und später das Institut Wiener Kreis haben einiges dafür getan, dass Gödel – und mit ihm die Logik – in Österreich wieder zur Geltung kommen. Doch die internationale Gödel-Renaissance wurde durch ein populärwissenschaftliches Buch katalysiert: „Gödel, Escher, Bach“ von Douglas R. Hofstadter, erschienen 1979. Es war nicht nur daran schuld, dass in den Achtzigerjahren in jeder zweiten Studentenwohnung die Stiegen und Spiralen des Zeichners M.C.Escher hingen, sondern auch daran, dass plötzlich alle wussten, was eine seltsame Schleife ist. Der Satz „Ein Kreter sagt, dass alle Kreter lügen“ zum Beispiel. Man kann ihn drehen, wie man will, er widerspricht sich selbst.

Aus Cantors Paradies vertrieben

Kurt Gödel war von diesem Lügnerparadoxon inspiriert, als er 1931 seinen berühmten Unvollständigkeitssatz aufstellte, der sagt: Man kann sich noch so sehr bemühen, das Rechnen mit natürlichen Zahlen auf Axiomen (grundlegenden Aussagen, die nicht bewiesen werden) aufzubauen, es gibt stets Aussagen, die in diesem Axiomensystem weder bewiesen noch widerlegt werden können.

Damit zerstörte Gödel ein stolzes Projekt, das vor allem David Hilbert betrieben hatte: die Mathematik von Grund auf logisch aufzubauen. „Aus dem Paradies, das Cantor uns geschaffen, soll uns niemand vertreiben können“, sagte Hilbert (und meinte die Mengenlehre von Georg Cantor). Gödel hat, pathetisch gesagt, gezeigt, dass es dieses Paradies gar nicht gibt. Eine Desillusionierung, vergleichbar mit jener, die ein paar Jahre vorher die Quantentheorie der Physik gebracht hat: Man kann nicht zugleich genau wissen, wo und wie schnell ein Teilchen ist.

So ist Gödel als großer Enttäuscher eine Figur, die bestens in die Postmoderne passt. Auch in seinem Gefühl, nicht verstanden zu werden. (Das oft, etwa im Fall von Ludwig Wittgenstein, zutraf.) Und in seiner Rätselhaftigkeit, seiner Schwäche. Mit sieben erkrankte er an rheumatischen Fieber und litt fortan sein ganzes Leben, vor allem an seiner Hypochondrie, die im Alter zum Verfolgungswahn wurde. Er nahm täglich ein Arsenal von Medikamenten, von Magnesiummilch über Metamucil bis zu Mandelamin, hatte Angst, vergiftet zu werden, aß nur, was seine Frau Adele vorgekostet hatte. Als sie nach einem Schlaganfall im Krankenhaus bleiben musste, verfiel er, starb an Entkräftung.

In seinen letzten Jahren in Princeton ging Gödel am liebsten mit Albert Einstein spazieren. Ein seltsames Paar: der heitere, stets zu Scherzen aufgelegte Einstein und der steife, ängstliche, pessimistische Gödel.

Einstein ist ja längst in die Populärkultur eingegangen, das Foto, auf dem er die Zunge zeigt, ziert schätzungsweise so viele T-Shirts und Kaffeetassen wie Garfield. Von Gödel gibt es zwar keine so zwingenden Bildmotive, aber er eignet sich ebenso gut als Popfigur. Und passt womöglich besser ins Heute. Wo Einstein als Vorbild der sympathisch verschrobenen, aber weltoffenen Hipster gelten mag, ist Gödel der in seine (Computer-)Systeme versunkene Nerd, der manisch danach trachtet, die Welt zu ordnen, und daran notgedrungen scheitert. Aber dabei einiges weiterbringt.

Symptomatisch ist, wie die beiden über Gott sprachen. Einstein war zwar definitiv kein Theist, sondern höchstens Deist, verwendete Gott aber ohne Scheu, nannte ihn amikal „den Alten“ und unterstellte ihm, dass er nicht würfle, Gödel sprach nicht über den Glauben, erst nach seinem Tod erzählte seine Frau, er habe jeden Sonntag in der Bibel gelesen. Doch er entwarf – im Ernst – einen ontologischen Gottesbeweis: In der Tradition von Leibniz, den er sehr schätzte, leitete er aus der Definition eines Wesens, das alle positiven Eigenschaften enthält, schließlich ab, dass dieses notwendigerweise existieren muss. Vor zehn Monaten berichteten Computerwissenschaftler aus Wien und Berlin, sie hätten diesen Beweis mit einem Computerprogramm für logische Operationen geprüft und für richtig befunden.

Kongress und Ausstellung (in der Akademie am Schillerplatz, Eintritt frei) bis 24.Juli, Programm unter vsl2014.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2014)

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