Wachauer Nase: Im Sommer riecht sie nach Sumpfwasser

KUeNSTLERGRUPPE GELATIN ERRICHTETE BEGEHBARE NASE IN DER WACHAU
KUeNSTLERGRUPPE GELATIN ERRICHTETE BEGEHBARE NASE IN DER WACHAU(c) APA/GELATIN
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Die Wiener Künstlergruppe Gelatin hat eine begehbare Nase an die Fährstation St.Lorenz gestellt. Sie ist aus sorgsam verarbeitetem Beton und so tief im Erdreich verankert, dass sie auch Hochwassser trotzen soll.

„Abnormer Kunstgeschmack“, „Kulturunfug“, „Werteverfall“ – die Chance für eine medienwirksame Aufregung ließ sich der niederösterreichische Kultursprecher der FPÖ nicht entgehen. Dabei ist der Stein des Anstoßes eigentlich gar nicht provokant: Fährt man mit der Rollfähre von Weißenkirchen hinüber nach St.Lorenz, meint man, dort läge Gulliver vergraben. Denn eine vier Meter hohe Nase ragt am Donauufer aus dem Boden. Deutlich sind die Nasenlöcher zu sehen, die Nasenhöhle ist groß genug, um hindurchzugehen. Auf dem Nasenrücken kraxeln Kinder hinauf. Die Aussicht auf die Wachau oben von der Nasenspitze aus ist grandios.

Der Lokalpolitiker muss enttäuscht gewesen sein, dass die „Wachauer Nase“ der Wiener Künstlergruppe Gelatin seiner Schimpftirade keinen echten Anlass bietet. Denn eigentlich sind Wolfgang Gantner, Ali Janka, Florian Reither und Tobias Urban für Provokanteres berühmt. In ihren oft frivolen Performances treten die vier gern nackt auf, sie bauten in Japan einen Zen-Garten aus nackten Popos oder malten in Italien mit ebendiesen Körperteilen Porträts. „Unser Ausgangspunkt ist eine Sehnsucht, die wir mit Marmelade anfüllen. Daraus entsteht dann eine Treppe aus Würsten oder ein Eiffelturm aus Zucchini“, wehrte Tobias Urban in einem Interview wunderbar metaphorisch die Frage nach „verdrängten Hedonismen“ ab.

In der Wachau treten sie jetzt nahezu traditionell auf. Die Nase ist weder improvisiert noch in einem ihrer beliebten, anarchistisch-kollektiven Prozesse gebastelt, nicht provokant, sondern eine wunderbare Skulptur. Die ersten Vorbereitungen fanden im Oktober 2012 statt. Über einen Aufruf in der Lokalzeitung suchten sie die perfekte „Wachauer Nase“. 70 Menschen kamen zum „Nasencasting“ in Schloss Rossatz und ließen Gipsabdrücke ihres Riechorgans anfertigen. Später beriet die Künstlergruppe lange, welches die typische Form für diese Region sei und kam zu der Lösung, zwei Nasen zu kombinieren. Für die Skulptur musste dann eine enorme Konstruktion gebaut werden, denn die Fährstation St.Lorenz wird mindestens dreimal im Jahr überschwemmt. Knapp sieben Meter tief ist die nicht sichtbare Verankerung im Boden, um absolut hochwassersicher zu sein.

„Wein, Erbrochenes, Urin“

Für die Nase fanden sie eine Firma, die mit einem aufwendigen Verfahren arbeitete: Der Beton ist nicht in eine Verschalung gegossen, sondern in mehreren Schichten übereinander aufgetragen, um eine perfekte, glatte Form zu erhalten. „Wir wollten nicht, dass die Nase aussieht wie eine Grottenbahn im Prater“, erklärt Ali Janka. „Im Sommer, wenn es heiß ist und sie noch nicht ganz ausgetrocknet, riecht ihr Atem nach Sumpfwasser“, schreiben sie zu ihrer Nase: „Nach einem Volksfest kann sie auch manchmal ein wenig nach Wein, Erbrochenem und Urin riechen. Gott sei Dank wäscht sie der baldige Regen wieder rein.“ Nach einigen Jahren sollen aus den Löchern Büsche und Gräser wie Nasenhaare wachsen, hoffen sie. Zur Eröffnung am 12.Juli zogen sie mit vereinten Kräften und nur in Unterhosen erst einen riesigen Nasenpopel aus der Höhle heraus, überzeugend aus allerlei Materialien mit einer ekligen, gelb-schleimigen Substanz gebaut.

Jetzt aber steht die Nase wieder friedlich an der Donau. Warum aber dieses Organ? Rund 90Prozent der Sinneseindrücke während eines Essens entstehen nicht auf der Zunge, sondern stammen ausschließlich von Geruchssignalen. Man kann das bei Weinverkostungen beobachten: Nach dem Schwenken des Glases wird erst einmal die Nase für einen guten Geschmackseindruck hineingesteckt. „Nasen werden unterschätzt“, begann Tex Rubinowitz seinen Vortrag während der Eröffnung. Hier in der Wachau ist diesem Organ jetzt ein wunderbares Denkmal gesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2014)

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