Kunsthalle Krems: Der Künstler als Fantômas

Aus der Serie „My Life as Monsieur Surrealist“ (2004): Fantomas, das Sinnbild des Künstlers.
Aus der Serie „My Life as Monsieur Surrealist“ (2004): Fantomas, das Sinnbild des Künstlers. Gregor Schmoll
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Gregor Schmoll untergräbt in seiner großen Einzelausstellung höchst analytisch das kulturelle Bildgedächtnis – bis wir nicht mehr wissen, was wir sehen.

Ein Dandy, ein Surrealist? Nein, diese Rolle weist Gregor Schmoll weit von sich. Es gäbe zwar Bezüge, aber auch sehr vieles, was dagegen spricht. Den Surrealismus benutze er nur als Referenzsystem, aus dem er schöpfe. Seine Bildtitel und -motive legen Spuren, wenn er eine Serie mit Selbstbildnissen „Die Abenteuer des Monsieur Surrealist“ nennt und mit der Figur des Fantômas arbeitet. Fantômas war ein genialer Schurke in einem französischen Serienkrimi Anfang des 20. Jahrhunderts. Der als Bürgerschreck angelegte Charakter inspirierte Surrealisten in den 1920er-Jahren. Warum aber greift der 1970 geborene österreichische Künstler Gregor Schmoll die Figur gut hundert Jahre später auf? Will er den Geist der damaligen Zeit heraufbeschwören, liebt er die Verkleidungen, oder will er nur mit berühmten Motiven der Kunstgeschichte spielen?

150 Werke zeigt er in seiner großen Einzelausstellung in der Kunsthalle Krems. Die in Serien entstandenen Fotografien machen schnell eines deutlich: Surrealist ist Schmoll tatsächlich nicht. Bis zu zwei Jahre benötigt er, um die Bildmotive zu finden, perfekt zu arrangieren, die Tontemperatur und das Licht zu setzen. Abzug um Abzug probiert er aus, sein Verfahren erinnert an einen Bildhauer, der eine Form modelliert, und keineswegs an das rauschhaft-unbewusste Arbeiten der französischen Avantgardisten. Surrealismus sei „Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder ethischen Überlegung“, schrieb Louis Aragon 1926. Schmolls Fotografien dagegen entstehen durch höchst kalkulierte, rationale Überlegungen. Die Bildmotive kommen uns häufig bekannt vor, und das ist Absicht.

Verfremdete Zitate der Kunstgeschichte

Schmoll will unser Bildergedächtnis aktivieren. In seiner Polaroid-Serie „Aus der Privatsammlung“ findet er Zitate der Kunstgeschichte von Donald Judds Skulpturen bis zu Monets Seerosenbildern. In Krems zeigt er die kleinen Bilder mit einem Möbelstück, das im 19.Jahrhundert für die bürgerlichen Salons erfunden wurde und ein museales Ambiente im Privatraum simulieren sollte.

Ähnliche komplexe Bezüge in Kunst- und Kulturgeschichte bestimmen sein gesamtes Werk – bisweilen bis zur Überforderung. „Orbis Pictus“ nennt er seine Ausstellung ganz unbescheiden, in Referenz auf ein Buch, das vom 17. bis 19.Jahrhundert die sichtbare Welt als eine Art Bilderlexikon vermittelte. Mit seinem Werk sucht er den umgekehrten Weg: Alle Bilder, die wir in Kunst, Kultur und im Alltag sehen, seien durch unser kulturelles Bildgedächtnis vorstrukturiert. Das gelte auch für die Selbstwahrnehmung und die des Künstlers ganz besonders: Der Künstler sei ein Fantômas, ein antibürgerlicher Held, der in das Klischee hineingedrängt werde und zugleich damit kokettiere. Schmoll seziert die Bilder, will die Motive mit bildlichen Mitteln zum Verschwinden bringen, als Klischee oder Konstruktion enthüllen und so weit auflösen oder überladen, dass wir unsere intuitive Sicherheit verlieren und nicht mehr wissen, was wir sehen. Mit einer surrealen Traum- und Rauschhaftigkeit hat das tatsächlich gar nichts zu tun.

Warum aber wird dieses analytische Werk ausgerechnet mit dem berühmtesten surrealistischen Film ausgestellt, mit dem „Andalusischen Hund“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí? Das sei nicht seine Entscheidung gewesen, erklärt Schmoll. Aber abgesehen davon, dass man dieses Meisterwerk aus dem Jahr 1928 nicht oft genug sehen kann, passt es perfekt. Buñuel und Dalí hatten sich ihre Träume erzählt und daraus eine wunderbar absurde, bildintensive Welt ohne kausale Zusammenhänge und logische Handlung geschaffen. Just das Gegenteil präsentiert Schmoll mit seinen scharf konstruierten und präzise entwickelten Fotografien. Beides schauen wir ähnlich bewundert-verloren an, verunsichert im Bemühen, uns einen Reim aus dieser Flut von Bildwirklichkeiten zu bauen.

„Orbis Pictus“: Kunsthalle Krems, bis 2.November.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2014)

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