Albertina: Joan Mirós Himmel ist voller Monster

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Eignen sich Werke von Miró am besten zur Dekoration von Hotelzimmern? Hat er zu viel gemalt? Und war er wirklich ein Surrealist? Die Ausstellung „Von der Erde zum Himmel“ überrascht mit der Vielschichtigkeit des Spaniers.

Als Dekoration in Hotelzimmern und Arztpraxen sind die Kunstdrucke von Joan Miró unschlagbar. Jeder mag diese Bilder, in denen merkwürdige Formen in einem diffusen Farbraum schweben. Oft sind rote Punkte dick schwarz umrahmt, manches erinnert lose an Figuren, Vögel, Sterne, Stricke. „Schnecke Frau Blume Stern“ nannte der Spanier einmal ein Bild, thematisch weit angelegt, inhaltlich sehr offen. Stilistisch sind die Bilder nahe an der Welt der Kinderzeichnungen, was wohl den enormen Erfolg dieses Werkes begründet. Zudem ist der Wiedererkennungseffekt dieser Malerei hoch – was dazu führt, dass Mirós Werk nicht nur auf Postern beliebt ist, sondern auch auf Auktionen beachtliche Preise erzielt. 2012 wurde „Blauer Stern“ bei Sotheby's in London für 29Millionen Euro zugeschlagen. Aber Miró fertigte stolze 2000 Gemälde, 500 Skulpturen, 400 Keramiken und 5000 Zeichnungen an, dazu ab den späten Fünfzigerjahren Mengen von druckgrafischen Serien – ist da nicht eine gewisse Redundanz zu erwarten, wenn die Albertina eine Auswahl von 100 Werke zeigt?

Nein! Im Gegenteil, diese Ausstellung überrascht mit unerwarteter Vielschichtigkeit. Joan Punyet Miró nannte sie bei der Pressekonferenz sogar die Miró-Ausstellung schlechthin. Er ist der Stiefbruder von Mirós Enkel Emilio Fernandez, der 2012 mit 54 Jahren auf Mallorca ertrunken ist. Auch der Kurator der Ausstellung, Jean Louis Prat, betonte, dass hier 100 Meisterwerke zusammengekommen seien. Prat, der bereits 2010 die große Miró-Ausstellung „Die Farben der Poesie“ für das deutsche Museum Frieder Burda zusammenstellte, war mit dem Maler in dessen letzten 15 Lebensjahren befreundet und kennt dessen Werk so gut wie kaum ein anderer.

Leichtigkeit geht auf Postern verloren

„Von der Erde zum Himmel“, so der Titel in Wien, ist tatsächlich beeindruckend. Nicht nur kann man hier den künstlerischen Weg Mirós von der frühen figurativ-naiven Malerei zur konsequenten Abstraktion verfolgen. Vor allem ist hier in den vielen verschiedenen Formaten und strahlenden Farben die Leichtigkeit von Mirós Bildwelt erlebbar – die in den allgegenwärtigen Postern verloren geht.

Den Auftakt der Ausstellung stellt Mirós „Bauernhof“, 1921 begonnen und 1922 nach seinem Umzug nach Paris fertiggestellt. Als Sohn eines Goldschmieds und Uhrmachers in Barcelona aufgewachsen, musste Miró zunächst als Buchhalter arbeiten. Wegen seiner Typhuserkrankung zog er dann auf den neu erworbenen Bauernhof seiner Familie und durfte als 19-Jähriger drei Jahre lang eine Kunstschule besuchen. Bald lernte er Francis Picabia kennen, der ihn in den Kreis der Dadaisten einführte. 1918 hatte er seine erste große Einzelausstellung in Barcelona mit Landschaftsgemälden und Stillleben. Diese frühe Phase ist nur mit dem Bild „Kirche und Dorf“ von 1919 in der Albertina vertreten, ein recht rosafarbenes Bild. 1920 zog er nach Paris, und dort änderte sich sein Stil radikal. Zuvor aber malte er den „Bauernhof“ aus seiner Erinnerung heraus. In dieses Bild packte Miró alles, was er an dem Hof liebte, „vom großen Baum bis zur kleinen Schnecke“ (Miró). 1925 lieh sich Ernest Hemingway Geld aus, um dieses Werk zu kaufen.

Unter dem Einfluss seiner Pariser Malerfreunde entwickelte Miró eine neue, ganz eigenwillige, naiv-abstrakte Bildsprache. Aber: „Für mich ist eine Form nie etwas Abstraktes, sie ist ein Zeichen für etwas“, erklärte er – und sei es nur eine Emotion. Sein Ateliernachbar 1921 war der Maler André Masson, durch den er 1924 die Surrealisten kennenlernte. 1925 kaufte André Breton, Initiator des berühmten Surrealistischen Manifests, ein Bild Mirós – obwohl er zuvor dessen „intellektuell begrenzte Kunstvorstellung“ kritisiert hatte.

Aber war Miró überhaupt je ein Surrealist? Er sei ein „Leuchtfeuer des Surrealismus“ gewesen, sagt Schröder sogar. Denn darin liegt die Begründung für diese Ausstellung: Seit Ende 2011 präsentiert die Albertina immer wieder zentrale Positionen des Surrealismus, zunächst druckgrafische Werke aus einer Privatsammlung mit Werken von Max Ernst, Salvador Dalí, Joan Miró, Pablo Picasso und anderen. Dazu eine Ausstellung mit Magritte – der sich zeitlebens gegen die Kategorisierung als Surrealist wehrte. 2013 folgte eine Soloschau von Max Ernst, jetzt eben Miró, von dem das Haus drei „Hauptwerke“ in der Gemäldesammlung besitzt, darunter eines mit der so typischen roten Sonne, die Miró laut Schröder als „anti-impressionistisches Licht“ verstand.

„Ein Poet, der Gedichte malte“

So ganz aber will das Werk Mirós nicht in diese Kategorie passen. Tatsächlich beweist „Von der Erde zum Himmel“ sogar das Gegenteil, denn Mirós Bilder sind Meilen entfernt von der Bildwelt seines Landeskollegen Dalí, der weit näher an unserer Gegenstandswelt blieb, oder von Max Ernsts fantastischen Landschaften. Zwar schöpfte er aus Traumbildern und der Welt des Unbewussten, aber nie gab er die Kontrolle über Bildaufbau und Komposition ab, im Gegenteil, er fertigte Skizzen und Vorstudien auf Papier an. Viel eher war er ein ewiger Einzelgänger, „ein Poet, der Gedichte malte“, wie es Joan Punyet Miró so schön umschrieb. Und diese Gedichte handeln von Träumen – und Albträumen.

Dies ist auch ein großer Verdienst dieser Ausstellung, die Miró nicht nur als fröhlichen Traummaler mit teilweise herrlich absurden Bildtiteln zeigt: „Wassertropfen auf rosafarbenem Schnee“ (1968) etwa ist wie eine amüsante Reaktion auf die Freude an psychedelischen Erfahrungen – weder sehen wir Schnee noch die Farbe Rosa, der Bildgrund ist leuchtend orange. Es kommen daneben die düsteren Werke in den Blick, die in Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg und die Franco-Diktatur (1939–1975) entstanden sind, mit Monstern als Vorboten einer dunklen Zeit, die ihm „als einzig adäquater Ausdruck für das erschienen, was Spanien drohte“ (Schröder) – diese Werke gehören zu den Höhepunkten der Ausstellung.

Bis 11.Jänner 2015, täglich: 10–18 Uhr, Mi: bis 21 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2014)

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