Künstlerische Fußnoten zu Freud

Freud 21er Haus
Freud 21er Haus(c) Belvedere - Ulrich Dertschei
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21er-Haus. Joseph Kosuth arrangiert Eigenes und Werke von Kollegen, um sich Sigmund Freud zu nähern. Das Ergebnis ist eine so sinnliche wie intelligente Ausstellung.

Es gibt einen fehlenden Text und eine Übersetzung, es gibt eine Ordnung, eine Liste, es gibt ein Bild und einen Ort, von wo aus es zu lesen ist.“ Diesen kryptischen Satz schrieb Joseph Kosuth auf eine ansonsten leere, weiße Leinwand, fügte sechs farbige Kreuze hinzu – und fertig. Entstanden 1985, kann dieses Werk als Schlüssel für Kosuths Ausstellung „Sigmund Freud und das Spiel mit der Bürde der Repräsentation“ im 21er-Haus genommen werden. Im oberen Stockwerk aufgebaut, zeigt der 1949 geborene Pionier der Konzeptkunst – er schrieb 1969 das bahnbrechende Manifest „Art After Philosophy“ – eine „kuratierte Installation“. So nennt Kosuth seine Ausstellungen, in denen er Werke anderer Künstler integriert.

Dieser Begriff ist ihm wichtig, denn er sei kein Kurator, sondern Künstler: „Was bedeutet dieser Unterschied? Von Beginn meiner künstlerischen Tätigkeit an habe ich keinen Zweifel daran gelassen, dass meiner Ansicht nach Bedeutung (selbst in ihrer Negation) das primäre Material eines Künstlers ist. Daher kommt sprachlichen Beziehungen zwischen Gegenständen und Bildern und der Sprache selbst die Hauptrolle in meiner Arbeit zu. Formen und Farben beispielsweise sind ziemlich verbrauchte Zugänge zur Produktion von Kunst. Aus diesem Ansatz resultiert, dass der Kontext selbst das Material der Arbeit geworden ist“ – und die Werke der anderen Künstler die Formen und Farben seiner Kunst, kann man ergänzen.

Dicke schwarze Balken

Aber von vorne: Vor 75 Jahren starb Sigmund Freud. Aus Anlass dieses Jubiläums plante 21er-Haus-Chefkurator Mario Codognato eine Ausstellung – zunächst mit der Sammlung des Wiener Freud-Museums. Er sprach Kosuth an, um ihn einzubinden – und der übernahm schließlich das gesamte Projekt.

Nur in einem kleinen Raum sehen wir Werke von Kosuth, in denen er sich direkt auf Freuds Texte bezieht. Nahezu sämtliche Wandflächen der übrigen Architektur sind mit einer Tapete versehen, auf der Texte aus Freuds Schriften mit einem dicken, schwarzen Balken durchgestrichen sind. An machen Stellen sind Nummern hinzugefügt, einiges ist dünn unterstrichen. „Zero & Not“ nennt Kosuth dieses „räumliche Element“, das er erstmals 1985 ausstellte. Diese Tapete passt fantastisch in das 21er-Haus, nimmt den Balken des Geländers, die Struktur der Decke, die Intervalle der verschachtelten Architektur auf und erinnert an „ein Buch, das man durchblättert“, wie Codognato anmerkt.

Und ebenso brachial wie genial platziert Kosuth – zusammen mit den Hauskuratoren Codognato und Luisa Ziaja – Werke von Rudolf Schwarzkogler oder Adriana Czernin; ein kleiner Raum ist Clegg & Guttmanns Bibliothek-Projekten gewidmet, ein anderer enthält ausschließlich Fotografien von Cindy Sherman und Francesca Woodman. Manches kann man direkt auf Freuds Texte beziehen wie Shermans Spiel mit Identitäten oder die Ecke mit bedrohlich wirkenden Frauen, darunter Paul McCarthys „Fear of Mannequins“ (1971). Anderes ist formal arrangiert wie die schwarz-weißen Werke, darunter auch das schwarze Bild Heimo Zobernigs – der überhaupt in einem auffälligen Stilpluralismus hier vertreten ist.

Großteils aus Wiener Sammlungen

Ursprünglich sollten nur 40 Werke über die Tapete verteilt werden. Aber Kosuth kam bereits vor zwei Wochen und expandierte die Installation langsam und drastisch. Jetzt sind es 145 Werke, die großteils aus dem Belvedere und Wiener Sammlungen wie dem Freud-Museum stammen. Die Werke sind wie Fußnoten arrangiert, fügen bestehenden Geschichten weitere Deutungen hinzu – ähnlich wie die Kreuze in seinen frühen Werken. Indem Kosuth Werke vermischt, ältere Position in unerwartete Zusammenhänge stellt, entsteht ein Raumbild, das auf einer nicht didaktischen Ordnung basiert. Wir müssen keine vorgegebene Bedeutung finden, sondern unsere eigenen schaffen. „Es gibt einen fehlenden Text und eine Übersetzung, es gibt eine Ordnung, eine Liste, es gibt ein Bild und einen Ort, von wo aus es zu lesen ist“ – zu lesen ist also ein Raumbild, aber auch im übertragenen Sinn die Überlegungen zum Thema Repräsentation – ein Wort, das man auch durch „Darstellung“ ersetzen kann. Die im Titel genannte „Bürde der Repräsentation“ sei eine „Notwendigkeit der Kunst“, „mit den tradierten Bedeutungen von Repräsentation, die gegenwärtig Teil unserer Sehgewohnheiten sind, zu brechen. Und dies nicht nur im Hinblick auf die Vergangenheit, sondern auch in ihrer jeweils eigenen Zeit.“ Klingt kompliziert, ist aber eine wunderbar sinnliche Ausstellung!

www.Joseph Kosuth, „Sigmund Freud und das Spiel mit der Bürde der Repräsentation“, 21er-Haus, bis 11. Jänner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2014)

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