Museum Gugging: Das Universum des Adolf Wölfli

(c) Museum Gugging
  • Drucken

Vor 150 Jahren wurde der Künstler geboren – eine Schau mit 50 Werken erinnert an den ersten und wohl berühmtesten Vertreter der Art brut.

Nichts weniger als eine neue Schöpfungsgeschichte schrieb er, benannte sich zuletzt sogar in Skt. Adolf II. um. Insgesamt 25.000 Seiten umfasst das Gesamtwerk, in dem Adolf Wölfli seine eigene Geschichte neu erfindet, einmal um die Erde reist, von fremden Ländern erzählt und ein kommendes Universum entwirft. 1600 Zeichnungen und ebenso viele Collagen gehören dazu, in denen der Schweizer Künstler Schrift, Bild und Musik in einzigartiger Weise verbindet. Mit diesem Werk wurde Wölfli zum ersten und berühmtesten Vertreter der Art brut: ein Begriff, den Mitte der 1940er-Jahre der französische Künstler Jean Dubuffet erfand. Es bezeichnet Kunst von Menschen, die keine künstlerische Ausbildung besitzen und deren Werk spontan und unreflektiert entsteht, sinngemäß „rohe, unverbildete Kunst“. Wölflis gesamtes Werk entstand während seiner Jahre in der psychiatrischen Heilanstalt Waldau bei Bern. 150 Jahre nach seinem Geburtstag hat jetzt Daniel Baumann eine Ausstellung von 50 Werken für das Museum Gugging in Klosterneuburg zusammengestellt.

Die höchste Zahl nannte er „Zorn“

Ausgangspunkt von Wölflis Kunst sind seine Erfahrungen: 1864 wurde er als jüngstes von sieben Kindern geboren, seine Familie verarmte, und er musste schon als Kind unter entwürdigenden Bedingungen bei Bauern als Knecht arbeiten. Als knapp 30-Jähriger wird er 1895 in der Waldau interniert und bleibt dort bis zu seinem Tod 1930. Hier entstehen die fünf Hefte und die auf dem Kunstmarkt begehrten Einzelblätter. Die ältesten erhaltenen Zeichnungen sind von 1904 – damit setzt auch die Ausstellung im Museum Gugging ein. Schon hier ist die ganz eigenwillige, künstlerische Sprache des Außenseiters erkennbar: In einer symmetrisch-ornamentalen Grundstruktur sind Mengen von Details wie Erzählungen eingefügt.

Dieser Aufbau eines klaren Gerüsts mit vielen, bisweilen kryptischen Szenen ist bis zuletzt typisch für sein Werk, in dem immer wieder Vögel und die von ihm als „Schnecken“ bezeichneten Formen vorkommen. 1907 folgen erste Farbzeichnungen: Sein Psychiater hatte das Talent erkannt und ihm die damals sündteuren Farbstifte geschenkt. „Sommer-Wirtschaft. Zehnder-Mätteli“ ist eines der ersten und ganz seltenen dieser Blätter, bis vor Kurzem noch unbekannt und jetzt in Gugging erstmals ausgestellt.

In „Geographischen und Allgebräischen Heften“ (1912–16) beschreibt er dann die Gründungsgeschichte seiner fiktiven „Skt. Adolf-Riesen-Schöpfung“ und entwickelt hier auch seine Zahlenbilder. Sein Faible für Zahlen ließ ihn neue Begriffe erfinden, Milliarden und Trilliarden waren ihm nicht genug. Die allerhöchste Zahl heißt „Zorn“. Ab 1916 signierte er mit Skt. Adolf II. und begann mit den Einblattzeichungen, die Ärzte, Pfleger und Besucher kauften und die heute auf Auktionen um die 20.000 Euro kosten. Kurz vor seinem Tod entwarf Wölfli den „Trauer March“ (1928–30), die rund 8000 Seiten enden mitten auf einer Seite – bis zu seinem Tod durch Magenkrebs arbeitete er daran.

Danach wurde sein Werk nahezu vergessen, bis Jean Dubuffet es auf einer Reise durch die Schweiz entdeckte. Erste Ausstellungen folgten, der Durchbruch kam in den 1970er-Jahren, als der Schweizer Documenta-Leiter Harald Szeemann Wölfli entdeckte. Vier Jahre tourte eine große Wanderausstellung durch Europa, später unter dem Titel „The Other Side of the Moon“ durch die USA. Es seien immer wieder „Wellen“, in denen das Interesse an Wölfli aufflackert, erzählt Gastkurator Baumann. Er ist seit 1996 Konservator der Adolf-Wölfli-Stiftung im Kunstmuseum Bern und jüngst zum neuen Leiter der Kunsthalle Zürich berufen worden. Seine Beschäftigung mit Wölfli habe ihn geprägt, bekennt Baumann, häufig messe er die Qualität eines zeitgenössischen Künstlers an dem außergewöhnlichen Werk dieses „Pioniers einer Kunst jenseits von Kunst“.

Adolf Wölfli: „Universum.!“, Museum Gugging, bis 1. März 2015 .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.