Kunsthalle Wie: Das erquickende, das erstickende Blau

(c) Kunsthalle Wien./ Stephan Wyckoff
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Warum ist Blau die letzte Farbe? Wieso steht es für Arbeiter, nicht aber für die Linke? Was macht es in der EU-Flagge? Können Blue Jeans auch schwarz sein? Das und viel mehr fragt „Blue Times“, eine kluge Themenausstellung.

Blau müsse die Grundfarbe der europäischen Flagge sein, schrieb Richard Coudenhove-Kalergi, Gründer der Europäischen Parlamentarier-Union, im Jahr 1950. Seine Begründung war pragmatisch: Alle anderen Farben seien vergeben, die rote Flagge stehe für den Bolschewismus, die grüne für den Islam, die gelbe für Quarantäne, die schwarze für Trauer, die weiße Flagge schließlich für Kapitulation.

Blau war also nicht nur so gut wie in allen Kulturen die letzte Grundfarbe, die einen Namen erhielt – Homer etwa kannte kein Wort dafür –, sondern auch die letzte Farbe, die politisch frei war. Heute ist sie vergeben, meist an Liberale, manchmal an Rechtspopulisten.

Der holländische Künstler Remco Torenbosch hat sich das europäische Blau genau angesehen, hat aus allen 28 EU-Staaten blaue Stoffe zusammengetragen, die für die Flagge gewebt wurden. Sie sollten alle dieselbe standardisierte Farbe – Pantone Reflex Blue – haben, das haben sie aber ganz und gar nicht. Was Verfechter des Europagedankens als schönes Bild für Vielheit in der Einheit sehen werden. Man kann vor Torenboschs Arbeit aber auch über den Niedergang der europäischen Textilindustrie nachdenken: Die meisten blauen Tücher, auch für Flaggen, kommen heute aus Ostasien.

Wohl auch die meisten Bluejeans und die meisten Stoffe, die man für die in Deutschland „Blaumänner“ genannten Arbeitsoveralls verwendet: Jonathan Monk hat aus solchen Materialien – und Leuchtwesten – eine derbe Weltkarte geschneidert: „The World In Workwear“.

Links und rechts und rot und blau

Blau als die Farbe der Arbeit, daher auch der Arbeiterbewegung, der linken Parteien? Stimmt nicht, wie wir wissen. Zumindest nicht in Europa. In den USA gilt ungefähr seit 2000 Blau als Farbe der Demokraten, während Rot für die Republikaner steht. Mit der in Europa (und früher auch in den USA) gängigen Farbordnung spielt eine Skulptur namens „Problems That Arise From Continually Confusing Left & Right“ von Derek Sullivan: Auf einem in sich geschlossenen Set von Stellwänden sind abwechselnd rote und blaue Linien, man schaut von rot nach blau, von links nach rechts und gerät in zyklische Verwirrung. Ähnliches kann man vor den zugleich gewichtigen und zerbrechlichen Vasen des Libanesen Raed Yassin erleben. Sie wurden in China produziert und zeigen, im antikisierenden Stil, Bilder aus dem libanesischen Bürgerkrieg. Sie sind kreisförmig aufgestellt, die Geschichte kennt kein Ende.

Das sind nur zwei der vielen klugen Arbeiten in dieser Ausstellung, die den Besuchern nicht die Existenz einer ästhetischen oder soziokulturellen Theorie über die luftigste und wässrigste Grundfarbe vorgaukelt. Auch die Komplementärfarbe kommt vor: Das holländische Duo De Rijke/De Rooij projiziert 81 monochrome Dias nacheinander an die Wand, die alle mehr oder weniger orange sind. Im gängigen Material der analogen Fotografie, erklärt ein Künstler, sei Orange eine problematische Farbe, zu viel davon lasse nämlich weiße Haut unnatürlich aussehen.

Ob sich diese Assoziation auch ohne Beschriftung erschließt? Manche Arbeiten legen solche Bedenken nahe. Bei Peter Friedels blau lackierten Sperrholzplatten etwa versteht man die laut Pressetext vorhandenen Anspielungen auf Rudolf Steiners „Vision“ nicht wirklich. Und Liam Gillick sieht in seiner Wandarbeit „Renovation Filter Lobby“ aus dem Jahr 2000 Bezüge zur damaligen britischen Politik, der naive Betrachter sieht nur das klassisch-griechische Mäandermuster. Und an einer Stelle darauf ein Ultramarinblau, das man kennt: „Monochrome Bleu“ von Yves Klein, ausgeborgt vom benachbarten Museum Moderner Kunst. Eine hübsche Respektlosigkeit, dieses Bild einmal nicht auf weißer Wand zu zeigen – und ein weiterer Anlass, über die Arten von Blau zu sinnieren.

Das kann man auch im als „Blauer Salon“ eingerichteten Nebenzimmer tun, etwa vor einem alten Set von Faber-Castell-Buntstiften, die – wie heute noch ihre Jolly-Pendants – Farbnamen tragen: Lichtblau, Bergblau, Cobaltblau, Ultramarin, Pariserblau, Preußischblau, Delfterblau, Indigo. Was für ein Reichtum! Dazu kommen mehr oder weniger blaue Objekte aus der Kultur, etwa das Album „Sticky Fingers“ von den Rolling Stones – wohl wegen des schönen Songs „I Got The Blues“? Nein, wegen des Covers, das eine Blue Jean zeigt, sagt die Kuratorin. Aber ist die nicht eher schwarz? So verschwimmt, wie einst bei Homer, der Begriff vom Blauen.

„Blue“, der völlig monochrome letzte Film des zuletzt erblindeten Filmemachers Derek Jarman (1942–1994) läuft in einem anderen Nebenraum; man kann dazu Jarmans widersprüchliche Betrachtungen über die Farbe lesen: „Blau ist feuriger als Gelb“, „Blau ist kalt“, was ist wahrer? Und wieso bleibt Blau wieder als letzte Farbe?

„Do not think of the colour blue for thirty seconds“, fordert indessen an einer Wand des Hauptraums eine Leuchtschrift von Sylvie Fleury. Dieser paradoxen Intervention will und kann man nicht folgen in dieser geistreichen Konzeptausstellung.

Bis 11.Jänner. Reiches Begleitprogramm, u.a. mit einer Lesung von Thomas Meinecke („Hellblau“, 18.12.) und einem Vortrag von Claudia Reifberger über Blue Jeans (6.11.). Info: www.kunsthallewien.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2014)

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