21er-Haus: Aus den Lebenskisten des Peter Weibel

PRESSEFÜHRUNG - ´ PETER WEIBEL - MEDIENREBELL. WARNUNG! DIESE AUSSTELLUNG KANN IHR LEBEN VER�NDERN´: WEIBEL
PRESSEFÜHRUNG - ´ PETER WEIBEL - MEDIENREBELL. WARNUNG! DIESE AUSSTELLUNG KANN IHR LEBEN VER�NDERN´: WEIBEL(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
  • Drucken

„Warnung! Diese Ausstellung kann Ihr Leben verändern“ ist der Untertitel: Die erste große Weibel-Personale in Wien fordert u.a. zum Gesetzesbruch auf und zeigt den Künstler mit Erdbeeren.

Wie kann man ein Werk ausstellen, das es nicht gibt? Diese Frage zielt nicht auf einen fiktiven Künstler, sondern meint Peter Weibel, den Medienrebellen, wie ihn das Belvedere nennt. Dort findet jetzt die erste große museale Ausstellung des „Medienkünstlers, Schauspielers, Kunsttheoretikers und Museumsleiters“ statt. Die Aufzählung kann ergänzt werden: Professor an der Universität für angewandte Kunst, Sänger (Hotel Morphila Orchestra), Direktor des ZKM in Karlsruhe – der 1944 geborene Österreicher tanzt auf vielen Festen.

Am wenigsten bekannt ist dabei sein künstlerisches Werk, für das er zwar heuer den Kokoschka-Preis erhielt. Aber zu sehen war es kaum. Denn es besteht vor allem aus Skizzen: „Weibel geht es nur um die Idee“, betont Alfred Weidinger, Vizedirektor des Belvederes. Auf die Idee folge das Experiment, manchmal entstehe daraus ein Werk, das aber oft anschließend zerstört wurde. So existiert heute kaum noch etwas. Hauptleihgeber der Ausstellung im 21er-Haus ist Weibel selbst. So sichtete Weidinger zusammen mit dem Künstler „mindestens 150 Lebenskisten“, die überall verstreut gelagert würden.

Courage, Age, Rage, Cage

Aus einigen Kisten zogen sie bisher nie umgesetzte Ideen wie die „Musikausstellung“, skizziert 1975, ausgeführt 2014: An den Wänden hängen Porträtfotos von Nazis, gegenüber Fotos von Opfern des Nationalsozialismus. Die Nazis vereinnahmten die Musik für ihre Propagandazwecke, töteten sie damit, darum liegen auf dem Boden Instrumente und ein Notenständer aus leblosem, grauen Beton. Von der Decke hängen Käfige mit Singvögeln: Nur die Tiere singen noch, sind aber eingesperrt. Diese Arbeit ist allerdings eher untypisch für Weibel. Die meisten seiner Werke basieren auf Wortspielen. Da leuchtet „Courage“ als Neonschrift auf, einzelne Buchstaben verlöschen, übrig bleibt „Age“, „Rage“, „Cage“. In einem Video sieht man die Buchstaben „Ist das Kunst“, davor eine Schreibmaschine. Mit jedem Anschlag kippt ein Buchstabe um – eine paradoxe Tautologie. Später geraten die Wortspiele eher etwas banal, wenn Weibel z.B. 2006 Barhocker mit Kopfhörern kombiniert und die Installation „Hörbar“ nennt.

Von der Sprache über Fotografie und Film zu den neuen Medien probierte Weibel vieles aus, manches wie seine Phase der interaktiven Computerkunst Ende der 1980er-Jahre wird hier – zu Recht – ausgespart, anderes ist schön ausführlich präsentiert, etwa seine Aktionen und frühen Filme. Berühmt etwa ist sein „Nivea“-Film, ein „Film ohne Film“, wie er es nennt: „Ich stellte mich vor eine weiße Leinwand und ließ mich vom Filmprojektor beleuchten. Dadurch geschahen gewissermaßen die Filmaufnahme und die Projektion zeitgleich. Das Geräusch der Kamera wurde von einem Tonbandgerät abgespielt.“ Medien seien „Landkarten, die die Welt nicht abbilden, sondern das Land selbst sind“, erklärte er bei der Pressekonferenz.

Dank Weidingers gründlicher Recherche können auch einige bisher nicht bekannte Fotografien gezeigt werden, neue Aufnahmen von Valie Exports „Tastkino“ vom österreichischen Experimentalfilmer Hans Scheugl. Und nur drei Tage vor Ausstellungseröffnung, erzählt Weidinger, sei Weibel mit einem Reisekoffer gekommen, in dem sie Fotonegative entdeckten – die im Expresstempo noch gedruckt werden konnten und jetzt zu sehen sind. Darauf hält der Künstler ein Schild vor seinen Körper, einmal steht „Erdbeeren mit Sahne“ vor seiner Stirn, einmal auf Schritthöhe – der Kontext bestimmt das Verständnis.

Oft sind es Wiederaufführungen wie der alte Mercedes, dessen Sitze mit der österreichischen Nationalflagge überzogen sind. „Das Privatauto als Staatskarosse“ nannte er diese Aktion 1972. Laut einer noch heute gültigen Verordnung ist es verboten, sich auf die Nationalfahne zu setzen. Also setzte sich Weibel mit seiner Freundin so lange in das Auto, bis sie endlich entdeckt und bestraft wurden. Ein solches Auto steht jetzt auch im 21er-Haus, jeder Besucher darf Platz nehmen und das Gesetz brechen.

„Es ist verboten zu verbieten“

Überhaupt ist die Ausstellung weitgehend „interaktiv“ angelegt. Mit diesem Modewort der 1980er-Jahre wurde eine Rolle des Betrachters bezeichnet, die in einer vorgegebenen Aktion bestand – wie nun auch im 21er-Haus: Schon im Eingangsbereich werden wir Teil der Ausstellung, wenn wir über das Wort „Recht“ gehen, das vielfach mit Kreide auf den Boden gemalt ist und das wir damit mit Füßen treten. Mehrere Kameras sind installiert, die uns aufnehmen und auf Monitoren widerspiegeln, einmal im Zusammenhang mit den Worten „Jeder ist jeder“. Ein Schild verkündet: „Es ist verboten zu verbieten“.

Wie aber finden all diese verschiedenen Medien aus unterschiedlichen Zeiten in dem einen großen, offenen, lichtdurchfluteten Raum zusammen? Wie können Originalwerke, erstmalige Ausführungen und reproduzierte Arbeiten gleichwertig vermischt, wie die teilweise uralten Apparate und nagelneuen Materialien versöhnt werden? Dafür hat Kurator Weidinger eine kongeniale Architektur gefunden. Ähnlich wie Weibels Werk, das einem modularen System gleicht, sind im Raum lose zehn große Schiffscontainer und fünf Regalgruppen aufgestellt – alte, rostige Container, Regale im Kellerchic. So wirkt die Ausstellung wie eine Gesamtinstallation, was dem Werk des „Medienrebells“ absolut entspricht.

Ähnlich radikal ist auch der Katalog. Wer kann dem wortgewaltigen Weibel mit seinen fantasievollen Thesen und freizügigen Beweisführungen schon einen passenden Text schreiben, ohne in die Irre zu rennen? Weidingers Lösung: Er führte 35 Gespräche mit Weibel, in denen dieser seine Kunst perfekt erklärt – und im Extrakapitel „Valie Export“ die ganze Wahrheit über seine damalige Rolle als Ghostwriter erzählt: ein Rebell, bis heute.

„Medienrebell“: Bis 18.Jänner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.