Leopold Museum: Die Narbe der Femme Fatale

Christian Schad Der Meister der Neuen Sachlichkeit
Christian Schad Der Meister der Neuen Sachlichkeit(c) Nationalgalerie Berlin
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Christian Schad war der Maler der Frauen der Zwischenkriegszeit. Sein Spätwerk aber enttäuscht.

Es war für die Frauen eine kurze Zeit des nervösen Aufbruchs, sie trugen die Haare kurz à la Garçon, gingen alleine in die Cafés, frönten dort öffentlich ihren Lastern, den Zigaretten am langen Spitz, der Liebe zum eigenen Geschlecht. Zwischen den Kriegen scheinen sich Frauen Freiheiten genommen zu haben, die sie sich in den 50er- und 60er-Jahren erst wieder mühsam erkämpfen mussten. Jedenfalls scheint es uns (zu) Spätgeborenen wie eine im umliegenden Dunkel verlockend schimmernde goldene Zeit – exzentrisch, grenzüberschreitend, lasziv.

Ein Maler, eine Malerin haben dieses durch die Jahrzehnte sicher geschönte Bild der neuen starken Frau geprägt wie keine anderen: der Deutsche Lebemann Christian Schad (1894–1982) und die in Polen oder Moskau, was weiß man bei ihr schon, geborene, in Paris zur malenden Diva avancierten Tamara de Lempicka. Ihrer beider Hauptmotiv war die Femme fatale der 20er-, 30er-Jahre, die kühle Dame von (Halb)Welt, die abgebrüht, emotionslos und wunderschön aus den in altmeisterlicher Perfektion gemalten Gemälden blickt. Sowohl Lempicka wie Schad waren für ihre renaissance-würdigen Oberflächen berühmt, beide waren vor allem in ihren Anfängen vom Kubismus inspiriert, beide hatten keine gesellschaftskritischen Absichten, beide lebten, was sie malten, ein ausuferndes Leben in der Bohème.

Schad eroberte 2007 New York

Lempicka hatte ihren ersten fulminanten Wiener Auftritt erst posthum, 2004 im BA-Kunstforum. Christian Schad dagegen hatte bereits 1928 das Vergnügen, in Wien auszustellen, in der Galerie Würthle, allerdings alles andere als fulminant – Schad verließ danach frustriert seine kurzzeitige Wahlheimat, in der er ein feudales Atelier am Graben 16 sein Eigen nannte. Es ist das Leopold Museum, das diesem Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit jetzt auch in Wien den verdienten Respekt zollt. Anfang 2007 hatten seine Porträts zwar schon in der Gruppenausstellung „Glitter and Doom“, Porträts der 20er-Jahre, New York erobert. Die Kuratoren Rudolf Leopold und Michael Fuhr traten jetzt aber an, nicht nur sein bestechendes Hauptwerk vorzustellen, sondern auch seine kubistische und expressionistische Frühzeit und sein angeblich „oft verkanntes“ Spätwerk.

Wie so oft zeigt sich aber zweierlei, dass es weniger Sensationen zu entdecken gibt, als sich Kuratoren wünschen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den er, bestens vernetzt durch seine bürgerliche Münchner Herkunft, als Leiter einer Bierbrauerei und Produzent harmloser deutscher Mädchenporträts für Magazin-Cover überlebte, brauchte sein Realismus dringend eine Pause. Schad griff in die Ismen der Kunstgeschichte, derer er sich bediente wie Pinsel und Farbe, wie er erzählt. Es entstanden Holzschnitte, die an Ernst Ludwig Kirchner erinnern, doppelgesichtige Zeichnungen nach Picasso und auf Umrisse beschränkte Zeichnungen nach Jean Cocteau und Henri Matisse. Schad begann wieder zu experimentieren, wie er es in seiner Frühzeit tat. Und da ist schon das Zweite, was wir nicht so gerne hören: Genau dieses Experimentieren, dessen Ergebnisse uns heute ästhetisch lange nicht so ansprechen wie seine Frauenporträts der 20er-Jahre, sind es, die spätere Künstler verehren. Gerhard Rühm etwa, erzählt Kurator Michael Fuhr, war ganz begeistert, dass seine Collagen neben den dadaistischen von Schad hängen sollten. Die Wiener Gruppe, man staune, verehrte Schad, und zwar wohl nicht wegen seiner ikonischen Porträts.

Auch in den USA war Schad schon in den 50er-Jahren als Dadaist bekannt, ja berühmt. Und seine Fotogramme („Schadografien“), für die er schon 1918/19 Alltagsgegenstände auf Tageslichtauskopierpapier legte und so schwarz-weiße Wunder-Collagen erzeugte, gelten ebenfalls als Meilensteine. Dada und Fotokunst, all das war bereits in Schads Frühwerk angelegt. In seiner Spätzeit griff er dann auf diese frühen Errungenschaften zurück, es entstanden weitere Schadografien, Collagen und auch wieder magisch-realistische Gemälde. Allerdings derart symbolüberladen, dass es schmerzt, die bestechende Klarheit der älteren Bilder gerade noch vor Augen.

Collage der idealen Schönheit

Schon das erste Porträt seiner zweiten Frau, der Schauspielerin Bettina Mittelstädt, seine Mona Lisa, ist nur ein Nachklang früherer Stärke. Eigentlich war es ein Halbakt, das Magazin, dem es als Cover dienen sollte, verlangte 1942 aber Zucht und Ordnung, Schad streifte ihr nachträglich ein Gazé-Hemdchen über. Ein ähnlich transparentes Teil hatte er 1927 schon sich selbst auf die dadurch umso nackter wirkende Haut gezaubert, in einem der wichtigsten Künstlerselbstporträts seiner Zeit, „Selbstbildnis mit Modell“. Die Leihgabe aus der Tate Gallery hat zu Recht einen Ehrenplatz im Leopold Museum. Es entstand noch in Wien, kurz bevor Schad nach Berlin weiterzog. Dargestellt ist eine „Après-Situation“, hinter dem Maler blickt das halbliegende Modell in die Ferne. Sie ist ein Fantasiegeschöpf, Schads Schönheitsideal: Das Gesicht malte er aus der Erinnerung an eine schöne Wiener Hausfrau, die langen Finger steuerte ein Schießbuden-Mädchen aus dem Prater bei. Und die Narbe auf der Wange stammt aus Schads in Neapel gesammeltem Erfahrungsschatz, es ist ein sfregio, das süditalienische Männer ihren Frauen verpassten, wenn sie fremd gegangen waren.

Bei Schad dient es als Symbol der Verwegenheit. Wie seine Charakterstudien überhaupt immer Komposition, Umfeld und Accessoires einbeziehen. Die Blüte oder die schwarze Katze sind Zeichen des weiblichen Geschlechts, die oft im Hintergrund eingepasste Pariser Dachlandschaft steht für ein frivoles Lebensgefühl. Und seine Geliebte Maika scheint sich ihm derart verschrieben zu haben, dass er ihr seine Signatur sogar als Tattoo in die Armbeuge zeichnete.

26.9.–6.1., tägl. 10–18h, Do. 10–21h

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2008)

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