Boom: Die Blue Chips der Fotografie

Andreas H. Bitesnich
Andreas H. Bitesnich "Giulla & Maria" 2006(c) bitesnich / westlicht
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Während der Kunstmarkt infolge der Finanzkrise abwärtsgleitet, erleben Cartier-Bresson, Man Ray & Co. einen Aufschwung. Doch das Angebot wird knapp.

Ein Matrose küsst eine Krankenschwester auf dem Times Square in New York, das Bild strahlt Euphorie aus. Man schreibt das Jahr 1945. Der II. Weltkrieg ist zu Ende: Alfred Eisenstaedt (1898–1995), einer der wichtigsten Fotoreporter des 20. Jh. fing die Stimmung ein. Das Bild ist heute im Bestand des Art Photography Fund (APF) der Anlegerfirma Merit. Der Fonds ist spezialisiert auf Vintage Prints der Klassischen Moderne. Er besitzt Arbeiten von Henri Cartier-Bresson, Man Ray oder Edward Steichen. Von Steichen stammt das teuerste Bild der Welt: „Moon Rise oder der Teich“ wurde für 2,9 Mio Dollar versteigert.

Beraten wird der APF bei seinen Erwerbungen vom Wiener Foto-galeristen Johannes Faber: „Mit Fotos ist es wie mit alten Meistern oder Zeitungen. Man muss sie lesen können. Wenn man das beherrscht, ist es einfach“, sagt er.

Nur Abzüge, die unmittelbar nach der Entstehung der Bilder gemacht wurden, sind wirklich etwas wert. Das sind eben die Vintage Prints. Z. B.: Zwischen Helmut Newtons „Betty“ von 1972 und 1985 ist wertmäßig ein gewaltiger Unterschied.

Wertsteigerung 15 Prozent

Newton, Annie Leibovitz, Robert Mapplethorpe oder Richard Prince gehören nicht mehr zur Klassischen Moderne, obwohl sie als Klassiker betrachtet werden. Der APF sammelt bis ca. 1960. Anleger können sich Fotos ausborgen und aufhängen. Sie können auch, wenn sie ihre Beteiligung auflösen, dafür ein Foto haben. Der Fonds besitzt derzeit ca. 350 Aufnahmen, die in Safes in Wien und der Schweiz liegen. Rund 70.000 Euro muss man auf den Tisch legen, um sich zu beteiligen, man kann aber auch für 5000 Euro bei einigen Banken zeichnen. Dort heißt es, dass Fotofonds ebenso wie Kunstfonds ein Minderheitenprogramm sind, obwohl es einige internationale gibt.

Dass APF Wertsteigerungen bis zu 15 Prozent in Aussicht stellt, mag in Zeiten der Finanzkrise seltsam klingen. Merit-Geschäftsführer und APF-Verwalter Friedrich Kiradi verweist auf den offiziellen Foto-Index, der seit über 30 Jahren Wertsteigerungen auf der Basis von 25 wichtigen Arbeiten der Klassischen Moderne erhebt: Demnach beträgt das durchschnittliche Wertplus jährlich 14 Prozent. Die Schätzungen, wie gewichtig der Fotomarkt ist, schwanken stark. Kiradi spricht von einigen hundert Mio. Dollar pro Jahr, die nur bei Auktionen umgesetzt werden; dazu kommen Geschäfte zwischen Privaten. In New York gibt es allein 200 Galerien, die auf die Klassische Moderne der Fotografie spezialisiert sind.

Bei Sotheby's bestätigt man zwar, dass Fotos boomen, insgesamt aber ist ihre Bedeutung noch immer gering. Mit Fine Arts (bildender Kunst aller Bereiche) wurde 2007 bei Auktionen der Rekordwert von 9,2 Mrd. US-Dollar umgesetzt, 43,8 Prozent mehr als im Jahr davor. 75 Prozent davon entfallen auf Malerei, es folgen Zeichnungen, Aquarelle (elf Prozent), Skulptur (7,9), Druckgrafik (2,6) und erst an letzter Stelle mit zwei Prozent Fotografie. Diese lag aber noch vor wenigen Jahren im Promillebereich. Die Nachfrage steigt stark, weil sich immer mehr Museen Fotosammlungen zulegen: jüngere Fotografen, die sich zu „Blue Chips“ für Anleger entwickeln könnten bzw. schon haben. Sotheby's nennt Andreas Gursky oder Thomas Struth. Beim APF wird man sich Jüngeren nicht zuwenden, weil die Preisentwicklung nicht sicher absehbar ist.

Interessant ist, dass Experten, auf die technischen Umwälzungen im Bereich der Fotografie angesprochen, meinen, man sollte diese nicht überbewerten. Die Qualität eines Fotos hänge letztlich nicht von digital oder nicht digital ab, sondern einzig und allein von der Fantasie und Meisterschaft des Künstlers.

Nackte und Freunde

Der laufende Europäische Monat der Fotografie in Wien bietet viele Gelegenheiten, sich einen Überblick über verschiedenste Tendenzen zu verschaffen bzw. einfach schöne Bilder zu genießen. Die originellsten Nackten bietet die Galerie Westlicht: „More Nudes“ vom Wiener Andreas H. Bitesnich (44), der vorzugsweise Tänzer, Sportler, Akrobaten wie Skulpturen abbildet (bis 7. 1. 2009). Erstaunlich, welche Funken man in diesen mit nackten Tatsachen überfluteten Zeiten aus entblätterten Personen in interessanten Posen schlagen kann: Da ballen sich Frauenleiber wie Schlangenmenschen im Zirkus zusammen oder schweben elegant verschlungen auf Zehenspitzen. Ein nackter Schwarzer hält ein weißes Kind mit schwarzem Strubbelhaar (2700–5000 Euro).

Gleich mehrere Ausstellungen bietet das Künstlerhaus, wobei ein wichtiger Schwerpunkt die ganz persönlichen Ansichten sind: Erinnerungen in der Schau „Traces“, zeitgeschichtliche Themen (Erich Lessing) oder „Künstler/Freunde“ (Didi Sattmann); Letzterer erwischte z. B. Olga Neuwirth beim Komponieren – mit einem Gesichtsausdruck, erleuchtet wie Daniel Düsentrieb, oder den Schriftsteller Christoph Ransmayr, selber mit der Kamera im „Anschlag“.

ERÖFFNUNGEN HEUTE 19 UHR

Secession: Sharon Lockhart. Galerie Insam (1. An der Hülben 3): „Uniformed Landscapes“ von Mateo Maté. Wolke7 vorOrt (7. Kaiserstraße 41): „glimpses of beauty“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2008)

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