Aus Liebe kopiert: Der traurigste Plagiatsstreit seit Langem

(c) Beat Schweizer
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Wenn das ein Verbrechen ist, dann ein wunderliches: Der Schweizer Autor Urs Mannhart muss vor Gericht, ein Österreicher fühlt sich bestohlen. Dieser könnte recht bekommen. Aber wem wäre damit gedient?

Glaubst du, man könne in Bewunderung mit etwas verkehren, ohne es nachzuahmen?“, liest man in Platons Werk „Politeia“. Verehrung erzeugt oft Nachahmung, und die fällt je nach Fähigkeit eher frei oder sklavisch aus.

Urs Mannharts Roman „Bergsteigen im Flachland“ neigt eher zur sklavischen Variante. Der 39-jährige Schweizer schildert darin die Reisen des fiktiven Reporters Thomas Steinhövel durch Osteuropa. Es ist ein Roman über Europa, aber auch über die verschwindende Kunst des Reportagenjournalismus. Diese Kunst hat Urs Mannhart beim Österreicher Thomas Brunnsteiner bewundert. Und weil er als Grundlage für „Bergsteigen im Flachland“ nicht nur eigene Reisen verwenden wollte, hat er auch Material aus Brunnsteiners Reportagen verarbeitet.

Mannhart sah es als Hommage. Nun muss er dafür endgültig vor Gericht. Mit der „Presse“ unterhält sich der Schriftsteller via Internet, am Computer eines Dorfcafés sitzend. Nicht einmal ein Mobiltelefon habe er. „Weil ich mich vielen Dingen verweigere, die heute als normal gelten, sehen mich viele als eine Art lebendes Fossil.“ Auch von den immer härteren Urheberrechtsschlachten rund um die Literatur hat er offenbar nichts mitbekommen.

„Hatte gehofft, er freut sich“

Kann man so ahnungslos, so arglos sein? Mannhart kann. „Ich habe gehofft, Brunnsteiner würde sich freuen, dass jemand seinen doch eher in Vergessenheit geratenen Arbeiten noch Aufmerksamkeit schenkt“, erzählt er; „dass jemand sagen würde: Früher gab es noch die Wochenendbeilagen mit diesen Reportagen, es ist ein Jammer, dass Reporter wie Brunnsteiner da nicht mehr publizieren können.“ Im Dankwort wird diesem unspezifisch gedankt, ein Zitat von ihm dient als Romanmotto. „Ich hielt das Motto naiverweise für einen ausreichenden Hinweis, dass seine Reportagen mir als Inspiration und Zeitdokumente gedient haben.“

Für Thomas Brunnsteiner dagegen ist auf Anfrage der „Presse“ klar: „Ich wurde bestohlen. Und der Dieb hat den verbrecherischen Akt schon lange zugegeben.“ Mindestens menschlich hat der Autor allen Grund zur Klage. Da schreibt er beeindruckende, aufwendige Reportagen und findet Jahre später Figuren, Beobachtungen, ja fast ganze Sätze daraus in einem fremden Buch wieder, ohne dass die Leser wissen, wie viel Brunnsteiner da drinsteckt. Dieser schreibt etwa „und weit draußen steht ein dunkles, schönes Mädchen mit schwarzem Haar bis zu den Hüften in der sanften Brandung“, bei Mannhart wird daraus „hundert Meter weiter vorne, im gleißenden Licht des Nachmittags, stand ein dunkles Mädchen mit schwarzem Haar bis zu den Hüften in der Brandung“. Besonders fahrlässig: Den vor Milošević nach Russland geflohenen Serben Aca Mandić lässt Mannhart unter demselben Namen auftreten, erdichtet ihm gar eine Familiengeschichte.

Aber ist er ein Dieb? Wenn ja, dann ein höchst merkwürdiger. Einer, der Spuren legt, statt sie zu verwischen. Einer, der keine Ahnung hatte, dass seine Art zu arbeiten Diebstahl ist: „Ich war der Meinung, dass ich als Künstler Dinge, die ich in der realen Welt vorfinde, die mich beschäftigen, mich sogar berühren, frei weiterverarbeiten dürfe“, sagt er. Naiv? Unglaublich – aber glaubwürdig.

Vergleichbar? Der Fall Hegemann

Helene Hegemann dachte das offenbar auch. Vor vier Jahren wurde sie für ihren Debütroman „Axolotl Roadkill“ in Deutschland als Literaturwunderkind gefeiert; bis sich herausstellte, dass die 18-Jährige zum Teil wörtlich Passagen aus dem Blog eines Berliners verarbeitet hatte. Der „Tatbestand“ ist mit dem jetzigen Fall in mancher Hinsicht vergleichbar, die Reaktionen der Beteiligten sind es nicht. Statt sich zerknirscht zu zeigen, bemühe Hegemann „das Vokabular der Postmoderne, als hätte sie ihre ganzen 17 Jahre im Foucault-Seminar verbracht“, ärgerte sich damals der „Zeit“-Herausgeber Josef Joffe über die hochmütige Reaktion der Autorin. Mannhart dagegen gab sofort einen „großen Fehler“ zu und schrieb an Brunnsteiner: „Ich wollte Sie nicht verletzen, ich wollte Ihnen nichts wegnehmen, ich wollte das Gegenteil!“

Und wie hat der von Hegemann „bestohlene“ Blogger Airen reagiert? Ihr Roman „wäre auch ohne meine Stellen cool gewesen“, sagte er. Ihm fehle nichts, seine Geschichte sei immer noch seine. Allerdings wurde er später trotzdem vom Verlag entschädigt und der Roman durch ein Quellenverzeichnis ergänzt. An dieses Muster erinnern auch Brunnsteiners Forderungen: Während der Secession Verlag für die Restauflage ein ausführliches Vorwort zu Mannharts Arbeitsweise und zu seinen Quellen anbot, will Thomas Brunnsteiner Quellenangaben für jede einzelne betroffene Textpassage und zusätzlich noch 30.000 Schweizer Franken.

Fahrrad- und Ideendiebe

Hätte man ihm Fahrräder gestohlen, würde er auch die Polizei rufen, erklärt er der „Presse“. Und Gutachter Thomas Antonic zitiert im „Standard“ einen Amazon-Rezensenten: „Auf jedem Joghurtbecher muss bis ins Kleinste aufgedruckt werden, was drin ist. Warum sollte das bei Literatur anders sein?“ Weil Sätze eben keine Fahrräder sind und Bücher keine Joghurtbecher. Dass Mannhart seine Quellen deutlicher nennen hätte müssen, steht außer Frage. Aber im Grunde wird weder Brunnsteiner durch Mannhart ärmer, noch Mannhart durch Brunnsteiner reicher. So wie „Axolotl Roadkill“ mit oder ohne Plagiat ein gutes Buch bleibt, bleibt „Bergsteigen im Flachland“ mit oder ohne Brunnsteiner ein mediokrer Roman. Der Prozess macht alles nur trauriger, als es schon ist: Mannhart, der keine Bestseller-Chancen hat wie Hegemann, darf aufgrund einer Verfügung keine Lesungen halten, sein dicker Roman, in dem ein bisschen Brunnsteiner, aber vor allem mehrjährige selbstständige Arbeit steckt, darf weder verkauft noch beworben werden. Ein Sieg des Klägers ist wahrscheinlich.

Allerdings würde dieser Sieg ein wenig nach dem schmecken, was sonst Plagiate so schmerzhaft macht: fehlende Integrität, und Missbrauch eines fremden Textes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2014)

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