Retrospektive zum 85er: Die Mythen des Arik Brauer

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Der 85. Geburtstag des Phantastischen Realisten wird mit einer Retrospektive gefeiert – mit Werken, die zum Teil noch nie öffentlich zu sehen waren.

Es sind zwei Bildchen – und man kann sie sehr leicht übersehen in dieser 270 Werke fassenden Ausstellung: Zurückhaltende Arbeiten, kleiner als ein A4-Blatt. Das erste zeigt eine schon ergraute hagere Frau mit weißem Kragen, das zweite einen wesentlich jüngeren, blassen Mann, den Blick in die Ferne gerichtet. Es sind die Eltern des Künstlers. Arik Brauer hat sie 1950 gemalt, da war der Vater schon sechs Jahre tot, ermordet in einem KZ in Lettland. Das Porträt entstand offenbar nach einem Foto. Darum ist dieser Vater jung, für immer.

Eine Ausstellung mit Werken Arik Brauers bedeutet auch, in Geschichten einzutauchen. Denn Brauer, ein Vertreter des Phantastischen Realismus, der sich nie im rein Dekorativen verloren hat, ist ein Erzähler: Seine Bilder berichten von alten Mythen, von modernen Katastrophen, von öffentlichen Ereignissen und privaten Momenten und Erinnerungen. Sein Vater etwa wird uns in einem anderen Raum noch einmal begegnen: Da steht er allein im Schnee, eine blaue Decke um die Schultern gewickelt, würdevoll und nicht mehr ganz in dieser Welt, und die Geschichte dazu erzählt Hausherrin Elisabeth Leopold bei einem Rundgang durch die Ausstellung. Als Arik Brauers Vater auf seinen Tod wartete und fror, gab ihm ein österreichischer SS-Mann eine Decke. Ein Funken Humanität im Ungeheuerlichen. Darüber spreche man, so Elisabeth Leopold, zu selten.

Sagen, Erinnerungen, Katastrophen

Arik Brauer, 1929 in Wien geboren, hat in einem Schrebergarten versteckt überlebt. 1945 wurde er in die Akademie der bildenden Künste in Wien aufgenommen: Seine Palette ist zunächst dunkel, seine Technik an den Alten Meistern geschult. „Mädchen im Bombentrichter“ erinnert an Cranach, der „Mann im Gas“ an Leonardo da Vincis „Hieronymus“ – und schon hier setzt er ein, was er später zum Prinzip erheben sollte: Auf den ersten Blick wirken die Bilder nämlich harmlos. Spätere Werke, in denen er dann in Blau und Rot und Orange schwelgt, spielen uns ähnliche Streiche: Man sieht eine prächtige Blüte – und muss erkennen, es ist der Reaktor von Tschernobyl, der da explodiert. Man glaubt, Zeuge eines rauschenden Fests zu sein – und dabei sterben Menschen im Krieg. Krieg und Unterdrückung gilt ein eigener Raum im Leopold-Museum, ein anderer der Umwelt, ein dritter ist mythologisch aufgeladen: Arik Brauer malt den Brudermord von Kain an Abel, den Marsch der Juden aus der Wüste, er schreibt jüdische Geschichte, bedient sich dabei christlicher Bildmotive, die er neu interpretiert: Wer kennt nicht die brutalen Darstellungen des heiligen Laurentius auf dem glühenden Rost? Arik Brauer zeigt einen Juden, den die spanische Inquisition auf dieselbe Weise foltert.

Wer mit den großformatigen, bunten Gemälden weniger anfangen kann, dem sei empfohlen, sich länger im ersten Raum aufzuhalten: Dort finden sich die frühen kleinformatigen Bilder, aber auch spätere Arbeiten, in denen Brauer sich mit den griechischen Götter- und Heldensagen auseinandersetzt: Eine Keramik-Figur zeigt Hades, im Maul die armen, flehenden Seelen. Auf Bleistiftzeichnungen sieht man Kassandra mit baumelndem Brüsten und grotesk zu Berge stehendem Haar. Ein Gemälde mit byzantinisch wirkendem Goldhintergrund stellt Pan mit seiner Flöte dar, was uns daran erinnert, dass Arik Brauer uns als Musiker mindestens so nahe ist wie als Maler. Wobei „nahe“ ein wichtiger Begriff ist: Arik Brauer war immer auch ein Künstler fürs Volk, dessen Lieder man auf der Gasse pfiff. Ab 23. November wird er jeden Sonntag einen von Gustav Peichl im Museum errichteten Pavillon bemalen. Das Motiv: die Schöpfungsgeschichte. Das Publikum darf zusehen.

Wer dann noch Muße hat, kann sich in Details verlieren: Egal, in welcher Schaffensphase, immer finden sich kleine Tiere in Arik Brauers Werk – riesige Grillen, winzige Hündchen, Ameisen, Fische, viel Undefinierbares. Eine entzückende, ganz und gar fremde Welt.

Leopold-Museum: „Arik Brauer – Gesamt.Kunst.Werk“, bis 16. Februar. Brauer malt an sechs Sonntagen vor Publikum (23. 11., 7. und 14. 12., 18. 1. sowie 1. und 8. 2. 2015, von 10 bis 13 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2014)

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