Secession: Katastrophe, Schwester der Utopie

(c) Secession/Oliver Ottenschläger
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Was tun? Das fragt die russische Künstlergruppe Chto Delat schon mit ihrem Namen. Ihre neue Wiener Ausstellung gruppiert sich um eine zerstörte Skulptur.

Über Nacht war der sechs Meter große „Unbekannte Soldat“ vollständig abgebrannt. Die Skulptur hatte ein Schild mit der Aufschrift „Antifaschistische Aktion“ getragen und war Teil eines Projekts für die Berliner Festspiele heuer im Sommer. Unbekannte hatten es vernichtet. „Wir waren fassungslos“, erzählt Dmitry Vilensky. Er ist eines der vier Mitglieder der russischen Künstlergruppe Chto Delat, die gerade in der Wiener Secession ausstellt. Der Name bedeutet soviel wie „Was tun?“ – und ist zugleich auch Programm. Denn die Chto-Delat-Künstler möchten sich nicht mit dem Gefühl von Ohnmacht angesichts katastrophaler Entwicklungen abfinden. Diese Einstellung bezog sich eigentlich auf Politisches, in Berlin traf es plötzlich auch ihr eigenes Projekt.

Seit 2003 inszenieren sie theaterähnliche Projekte, die anfangs noch im Stil der politischen Propaganda laut und plakativ waren, den Kommunismus hochgehalten, den Kapitalismus verteufelt haben. Davon ist in der aufrüttelnden Installation in der Wiener Secession nichts mehr zu finden. Die Gruppe, die heuer auch im Sommer mit einem Projekt auf dem Schwarzenbergplatz an den Wiener Festwochen teilgenommen hat, hat stattdessen das persönliche Erlebnis in eine gesellschaftliche Erfahrung übersetzt: „Zeitkapsel, Künstlerischer Report über Katastrophen und Utopia“. Die zerstörte Skulptur ist der Ausgangspunkt. Jetzt stehen im Hauptraum der Secession Pappkulissen, auf die in den Medien veröffentlichte Bilder aufgeklebt sind: zerbombte Häuser, Feuer, IS-Kämpfe, ein kleiner afrikanischer Junge, der von Männern in Schutzanzügen abtransportiert wird: Ebola. Armut, Krieg, ein LKW-Konvoi als symbolisches Bild für den Ukraine/Russland-Konflikt. Dazwischen sind rote Stoffbahnen wie Blutspuren ausgelegt, oben an der Decke ist ein Textfries aufgetragen: die Geschichte der verbrannten Skulptur, aus der Ich-Perspektive erzählt. In vier Episoden aufgeteilt, erleben wir den langsamen Tod der Figur, die Attacke durch „liquid vampires“, das Austrocknen, das Zerfallen. Es endet so: „I became something else.“

Zentrale Organe: das Ohr, das Herz

Katastrophen als Chance auf Neubeginn, als Schwester der Utopie – darum kreist diese Ausstellung. Wie können wir in dieser Welt handlungsfähig bleiben? Ihre eine Antwort besteht in der Gruppenbildung: Sich als Teil einer Gemeinschaft zu verstehen bedeutet Verantwortung für das Ganze zu übernehmen – ursprünglich eine Grundposition unserer Gesellschaften, die fatalerweise immer mehr verloren geht. Die zweite Antwort sind die Bilder. Im Mittelpunkt der Inszenierung steht ein „Zombie-Engel“, daneben eine Zeitkapsel: ein Herz mit einem angewachsenen Ohr. Es sind die zentralen Organe der Gesellschaft. Das Ohr: die Verantwortung – das Herz: Mitgefühl. Der „Zombie-Engel“ sei noch eine ganz neue Form, sie wüssten noch nicht genau, was damit alles einhergeht, sagen die Künstler. Der Engel resultiert aus dem zerstörten Soldaten, ist also eine Art Auferstehungsfigur, ein Bild für Neubeginn, der allerdings traurig deformiert und derangiert ausfällt. Versteht man diese Skulptur als Bild für Utopia, dann sieht es ziemlich düster aus mit unserer Welt, dann bleibt vom alten Traum einer idealen Gesellschaft nicht mehr übrig als ein kopfloser Engel, dessen Körper hohl ist, dessen einer Flügel lahm herabhängt.

Aber Chto Delat belässt es nicht bei dieser düsteren Stimmung. Dahinter wartet die Videoinstallation „The Excluded. In a Moment of Danger“ auf uns. Darin lassen sie Absolventen der „Schule für engagierte Kunst“ über die politische Situation in Russland sprechen. Die „Schule“ wurde als dritte Antwort auf Katastrophen von Chto Delat letztes Jahr gegründet. In den beiden, durch schwarze Tücher abgetrennten Seitenflügeln des Raumes ergänzen Poster, Filme und kleine Objekte die Hoffnung auf Utopia.
Hier kommt eine kleine Retrospektive ihrer elfjährigen künstlerischen Praxis zusammen, die wie ein großer Hoffnungsschimmer wirkt. Jedes ihrer Projekte beginnt mit einer Unzufriedenheit, einem Aufschrei gegen gesellschaftliche Zustände. Und jedes Projekt gibt mit der Bildung von kollektiven Körpern kleine Antworten auf die zentrale Frage unserer katastrophengeprägten Zeit: Was tun?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2014)

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