Sieben Tage "Visionen für den Kunststandort Wien"

Eine Samurai-Katze kämpft gegen den Tsunami: Takashi Ohnos außergewöhnliche Holzschnitte im Verein 08.
Eine Samurai-Katze kämpft gegen den Tsunami: Takashi Ohnos außergewöhnliche Holzschnitte im Verein 08.Marcello Farabegoli
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"Running Minds" war heuer das Motto der Vienna Art Week: Sie zeigte, wie vital und vielseitig die Kunstszene in dieser Stadt ist.

Eine nennenswerte Kunsterziehung erhalten nur Menschen aus wirtschaftlich erfolgreichen Familien – das sei eine „Verschwendung von nationalem Talent“, schrieb jüngst Sir Anthony Seldon im Arts-Council-Magazin „Create“. Mit dieser drastischen These liegt der Schulleiter eines britischen College voll in dem Trend, die Kreativität als einzig mögliche Zukunftsperspektive unserer Gesellschaft zu sehen.

Die Zahlen geben ihm recht: Die Kunstmarktexpertin Claire McAndrew publizierte heuer, dass 2013 weltweit 2,5 Millionen Menschen in 308.000 Firmen in den Art Industries arbeiteten und 3,2 Milliarden Dollar für Werbung und Marketing ausgegeben wurden. Die Künste sind zum beachtlichen Wirtschaftsfaktor geworden und zum Vorbild jener Entwicklung, die man mit dem Schlagwort „Resilienz“ bezeichnet, was so viel bedeutet wie erfolgreiche Krisenbewältigung oder das Stehaufmännchen-Prinzip – im Leben von Künstlern eine Selbstverständlichkeit. Voraussetzung dafür ist allerdings Freiheit im (kreativen) Denken.

Wo kann man die lernen? Seldon sieht die Schulen in der Verantwortung – ein nahezu aussichtsloser Wunsch. Was das Schulsystem verabsäumt, kann aber in Eigeninitiative nachgeholt werden. Denn die Kunstinstitutionen übernehmen mehr und mehr die Aufgabe der Wissensvermittlung, punktuell mit einzelnen Veranstaltungen und zunehmend erfolgreicher als Festivals mit dichtem Programm wie die Viennale (Film), die Festwochen (Theater), die Lange Nacht der Museen und eben die Vienna Art Week (Kunst).

Museumsnächte. Diese Formate basieren auf der Bündelung vieler Institutionen zu einer gemeinsamen Veranstaltung, was den Besuchern ein individuelles Hineinfinden ermöglicht. In der Kunst war das Erste die Lange Nacht der Museen, 1997 in Berlin. Damals startete sie mit zwölf Häusern, heute sind es in Berlin 125 Museen, die mit einer einzigen Eintrittskarte besucht werden können. Solche Museumsnächte finden heute in über 120 Städten statt, seit 2000 auch in Österreich. Heuer nahmen hier 700 „Kulturtempel“ teil, davon gut 90 in Wien. 421.424 Besucher wurden gezählt, 207.705 davon in Wien, 39.712 in Salzburg und 38.889 in der Steiermark. Das Interesse an Kunst ist offensichtlich sehr groß – sobald die Schwelle gesenkt wird, was über ein günstiges Kombi-Ticket und ein breit gefächertes Angebot geschieht.

Da setzt auch die Vienna Art Week (VAW) an, die Dorotheum-Direktor Martin Böhm vor zehn Jahren als Art Cluster gründete. Die Wiener Festwochen seien sein Vorbild gewesen, erklärt Böhm. Daher läuft die VAW auch anders als die Lange Nacht der Museen nicht nur einen, sondern sieben Tage lang, und umfasst Eröffnungen in Galerien und nicht kommerziellen Projekträumen, Führungen durch laufende Ausstellungen bis zu offenen Ateliers, wo jeder individuell das Gespräch mit Künstlern führen kann – vielleicht auch über Resilienzstrategien. Sie wollten nicht eine „zweihundertste Biennale“ gründen, betont Robert Punkenhofer, der künstlerische Leiter der VAW, sondern „das auf die Bühne heben, was schon vorhanden ist“. Waren es 2005 nur elf Mitglieder in dem Art Cluster und 80 Veranstaltungen für 400 geladene Gäste, so gehören heuer 26 Mitglieder dazu, heuer bieten 70Programmpartner 200 Veranstaltungen an. Eingeladen ist jeder, der sich interessiert, 2013 waren das 35.000 Menschen. Das Dorotheum ist dabei zwar Hauptveranstalter, lässt aber den Partnern alle Freiheiten. „Wir greifen nicht in die Projekte ein“, beteuert Böhm, man wolle „die große Vitalität der Stadt zeigen“, in der sich in den letzten zehn Jahren viel verändert habe. „Die Kunst hat in der Stadt und auch in den Medien heute einen größeren Stellenwert.“

Anders als auf einer Kunstmesse geht es in der Vienna Art Week nicht um Verkäufe, sondern darum, Aktivitäten zu vernetzen, um Neugierde zu erzeugen, Interesse zu verstärken und nicht zuletzt mit über 50 Führungen durch Ausstellungen und 50 Podiumsdiskussionen darum, Einblicke zu geben wie „Visionen für den Kunststandort Wien“ (Dorotheum) oder, wie an der Akademie, als „Plädoyer für Freiheit und Vielfalt der Kunstausbildung“.

„No More Fukushimas“. Einige Ausstellungen wurden eigens für die Vienna Art Week organisiert, wie „No More Fukushimas“ zu den Folgen der verheerenden Atomkatastrophe in Japan 2011 im Verein 08 in der Piaristengasse 60. Im Mittelpunkt stehen Takashi Ohnos außergewöhnliche Holzschnitte einer Samurai-Katze, die zornig gegen die Katastrophe kämpft. Im Architekturzentrum Wien läuft bis 29.11. die Ausstellung „Through Maidan and Beyond“ mit Werken von 23 Künstlern, die auf die politischen Ereignisse in der Ukraine reagieren. Dort hat Zhanna Kadyrova eine große Mauer aufgebaut, die auf der einen Seite mit hübscher Tapete von einem gutbürgerlichen Leben erzählt, auf der anderen Seite schwarz, wie vom Feuer verbrannt, ist. Die Mauer droht einzustürzen – ein intensives Bild für den gesellschaftlichen Zustand der Ukraine.

Auch im Chinesischen Kulturzentrum Wien geht es bis 10.12. um gesellschaftliche und soziale Veränderungen einer Nation, die sich in den Porträts von 19 chinesischen Künstlern widerspiegeln – ein spannender, enorm verdichteter Einblick in die chinesische Kunst der letzten Jahrzehnte. Die Werke stammen aus der Yellow-Mountain-Contemporary-Art-Privatsammlung Mit „Parallelspuren“ stellt die Akademie der bildenden Künste Wien bis 11.1.2015 das gemeinsame Projekt mit der Akademie in Budapest zur Erforschung der urbanen Realität in beiden Städten vor. Überschrieben sind all die Veranstaltungen mit dem Motto „Running Minds“, also der Rastlosigkeit als Teil künstlerischer Schaffensprozesse – auch eine Methode für Resilienz? Jedenfalls konnte man während der heurigen Vienna Art Week das gebündelte kreative Potenzial Wiens bestens spüren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2014)

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