Wien-Museum: Das Leben der Roma und Sinti

(c) Wien Museum/Birgit und Peter Kainz
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Seit dem Mittelalter in Europa zu Hause, fast ebenso lang verfolgt und diffamiert: Die Ausstellung „Romane Thana“ macht mit einer reichen Kultur vertraut.

Manuela Horvath war zehn Jahre alt, als sie sich fragen musste, „warum wir von jemandem so sehr gehasst werden, dass er vier unschuldigen Roma das Leben nimmt“. Zwei ihrer Cousins waren am 4. Februar 1995 unter den vier Todesopfern des Bombenanschlags von Oberwart. Er war rassistisch motiviert. Unter der Tafel „Roma zurück nach Indien“ war eine Sprengfalle angebracht gewesen, die detonierte, als die vier jungen Männer die beleidigende Schrift entfernen wollten.

20 Jahre später hat sich Frau Horvath nach langem Zögern dazu entschlossen, dieses Verbrechen in einer Ausstellung im Wien-Museum Karlsplatz zu thematisieren. Sie will mit der Aufarbeitung des Traumas ihrer Kindheit jene erreichen, „die das Attentat vielleicht schon vergessen haben“. Ihr Beitrag ist einer der eindrucksvollsten in einer bemerkenswerten Schau, an der sich elf Autoren und vier Institutionen beteiligt haben: „Romane Thana. Orte der Roma und Sinti“ ist ein sehr verdienstvolles Projekt. Es entmystifiziert die Lebensweise von Zuwanderern, die seit dem Mittelalter in Europa zu Hause sind, jedoch als „fahrendes Volk“ und als „Zigeuner“ diffamiert und verfolgt wurden – und häufig noch immer werden. Das sogenannte Fremde wird in dieser Schau vertraut, indem Vertreter dieser Gemeinschaften über ihre Geschichte berichten. Sie lassen den Betrachter ganz nah heran, erzählen oft ganz einfach nur aus dem Alltag.

Fotos, Bilder, Bücher, Videos, Hörbeispiele und (für einen Rundgang von zwei Stunden fast zu viele) Dokumente aus mehreren Jahrhunderten zeigen vielfältige Kulturen aus unterschiedlichen Perspektiven. Es wird aufgeräumt mit dem Romantizismus, mit Klischees von ruhelosen Wilden auf ihren Pferdewagen, mit schwüler Erotik wie auch mit Verteufelungen, die aus ganzen Völkern „geborene Diebe“ machten. Der Genozid an den österreichischen Roma und Sinti in der NS-Zeit ist ausführlich dokumentiert, wie all die Verfolgungen zuvor. So ordnete etwa ein Patent vom 15. Jänner 1655 die „Zigeiner-Außrottung“ an. Gemeint war ihre Vertreibung.

Die Erfindung der „Zigeuner“

Ein Beitrag von Klaus-Michael Bogdal beschäftigt sich mit der „Erfindung der ,Zigeuner‘“ – über dieses Thema hat der Bielefelder Germanist ein Standardwerk geschrieben (Suhrkamp, 2011). Präzis deckt er all die rassistischen Diskurse auf. Die Hartnäckigkeit weit zurückliegender Vorurteile habe in uns allen Spuren hinterlassen, meint Wolfgang Kos, Direktor des Museums, zu dieser „überfälligen Ausstellung“.

Prächtig sind einige Gemälde, etwa „Der Rock meiner Mutter“ von der Sintiza Lilly Habelsberger aus dem Jahr 2013, oder die nur auf den ersten Blick naive Malerei der Künstlerin und Autorin Ceija Stojka (1933–2013), die als Kind den Terror der Nazis in drei Konzentrationslagern überlebt hat. Die Regisseurin Karin Berger, die mit dieser bedeutenden Zeitzeugin 25 Jahre lang zusammenarbeitete, hat einen sensiblen Beitrag über sie verfasst. Auch Ceijas Neffe, der Gitarrist Harri Stojka, wird gewürdigt: 2012 initiierte er die Aktion „Ich bin gegen das Wort Zigeuner“.

Gitarren und Hausmeisterschlüssel

Zu den schönsten Ausstellungsstücken gehört eine Gitarre seines Cousins, des Jazz-Virtuosen Karl Ratzer. Sein Vater war der bekannte Künstler Karl Stojka. Er hat den Völkermord der Nazis überlebt, der auf Romanes „Porajmos“ (das Verschlingen) heißt. 90 Prozent der österreichischen Roma kamen in den Vernichtungslagern der Nazis um. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Überlebenden viele Jahre darum kämpfen, überhaupt eine Entschädigung zu erhalten.

Musik und bildende Künste sind stark präsent in der Schau. Zugleich aber wird vor dem Klischee gewarnt, dass den Roma die Musik „im Blut liege“. Eher hat die Berufswahl wohl mit gesellschaftlichem Druck zu tun. Schwere alte Schlüssel zeigen, dass Roma und Sinti in Wien sehr oft den Beruf des Hausmeisters ausübten, aber auch als Mitarbeiter in Spitälern waren sie häufig zu finden, so wie im Pferdehandel und für eine längere Phase in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Teppichhandel.

Die Thane (Orte), die hier dokumentiert werden, ob nun im Burgenland oder in Wiener Bezirken wie Floridsdorf, Favoriten und Simmering zeigen auch, wie unterschiedlich die Zuwanderungsströme über all die Jahre waren – zuletzt kamen sie aus Ex-Jugoslawien, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien. Tondokumente der Romani-Sprachen runden dieses Projekt ab. Der Linguist Mozes Heinschink hat sie gesammelt – Burgenland-Roman, Lovara-Romani, Kalderaš und Sintitikes. Auch Ausstellungstexte gibt es zusätzlich in diesen Sprachen. Das schafft Identität. Man kann also hineinhören, in Romanen blättern, sich Geschichten erzählen lassen, von Communities, die lang am Rand gestanden sind und inzwischen beherzt um Emanzipation kämpfen.

„Romane Thana. Orte der Roma und Sinti“ ist in Kooperation mit dem Romano Centro, der Initiative Minderheiten und dem Landesmuseum Burgenland entstanden. Die Kuratoren: Andrea Härle, Cornelia Kogoj, Werner Michael Schwarz, Susanne Winkler, Michael Weese. Der Katalog ist im Czernin Verlag erschienen (250 Seiten, 24 Euro). Bis 17. Mai im Wien -Museum, Karlsplatz, 1040 Wien. Dienstag bis Sonntag und Feiertag, 10 bis 18 Uhr.
Web: www.wienmuseum.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2015)

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