Pipilotti bringt das Paradies nach Krems

AUSTELLUNG 'KOMM SCHATZ, WIR STELLEN DIE MEDIEN UM & FANGEN NOCHMALS VON VORNE AN' :
AUSTELLUNG 'KOMM SCHATZ, WIR STELLEN DIE MEDIEN UM & FANGEN NOCHMALS VON VORNE AN' :(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
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Ein Vollbad in Himbeerblut und Himmelblau: Die Kunsthalle Krems zeigt die bisher größte Retrospektive der Schweizerin Pipilotti Rist. Kunst nicht zum Denken, sondern zum Fühlen. Und zum Niederlegen. Wunderbar.

Natürlich muss man Pipilotti Rist kennen. Als Schweizer sowieso, sie ist die international bekannteste Künstlerin der Eidgenossenschaft, ein feministisches Aushängeschild, wie cool ist das denn. Als Wiener(in) hat man aber auch wenig Ausreden, fragend die Augenbrauen zu heben. Man muss diese nur noch ein wenig höher heben, aus dem eigenen grauen Verkehrschaos-Alltag hinaus – hinauf zu Jean Nouvels Designtower. Weithin sichtbar über den Donaukanal leuchtet hier im 18. Stock die spektakulärste Restaurant-Decke ever, ein fantastisches LED-Meer exotischer Formen in orange und blau (vor allem).

Autofenster mit Blumen zerstört

Das ist Pipilotti Rist. Vor 18 Jahren, ganz am Anfang ihrer Karriere, hatte sie bereits eine Ausstellung in Wien, noch mitten in der Baustelle der Kunsthalle im Museumsquartier. Gerade erst war sie damals, praktisch über Nacht, berühmt geworden, als sie bei der Biennale Venedig ihr mittlerweile ikonisches Video „Ever is Over All“ zeigte. Den Titel muss man nicht kennen, aber man erkennt die Bilder sofort: Eine junge, strahlende Frau in himmelblauem Kleidchen schlendert beschwingt einen Gehsteig entlang und zertrümmert, ganz nebenbei, mit der großen Blume in ihrer Hand ein Autofenster nach dem anderen. Bumm. Nein, das ist keine Werbung für ein Diätprodukt oder Tampons, ganz sicher nicht. So wurde Pipilotti der Kunstwelt geboren, von da an machte sie Weltkarriere. Bisheriger Höhepunkt war das New Yorker Museum of Modern Art, wo 2010 rund 2,5 Millionen Besucher in die schamlos knallbunten Paradies-Projektionen der coolen Schweizerin eintauchten.

Das wird Hans-Peter Wipplinger in der Kunsthalle Krems wohl nicht ganz gelingen. Ein bisschen stolz darf er trotzdem jetzt schon sein, es ist die bislang größte Überblicksschau der Videokünstlerin, 40 Arbeiten aus 30 Jahren zeigen die Kuratoren Wipplinger und Stephanie Damianitsch, in Techno-Zahlen heißt das: Über 50 Beamer sind im Einsatz. Denn hier wird so ziemlich alles mit Pipilotti überzogen, inklusive der Besucher, die in einer der sogenannten Gemeinschaftsräume ebenfalls als Projektionsfläche herhalten müssen. Dürfen. Denn es ist einfach zu schön, sich hier im Großen, in Ozeanen, Regenwäldern, dem Weltall, oder im Kleinen, in Blütentrichtern, Erdkrümeln, Hautporen, zu verflüchtigen. Absichtlich zu schön sind diese Aufnahmen natürlich, sonst wär es ja kitschig, die Übersteigerung der Farben und der Formen ist wesentlich. Extrem nahe fährt sie mit kleinen Kameras an die Dinge heran, streichelt und streift sie. Anfangs, in den Neunzigerjahren, waren das nur Überwachungskameras, die man in diesen handlichen Größen bekam. Rist befestigte sie an langen Stöcken, mit denen sie sie dicht über die Oberflächen führte. Selfiestick, hier ist sozusagen dein direkter künstlerischer Vorläufer.

Ein vielleicht ähnlich visionärer Blick könnte die Installation des „Kremser Zimmers“ sein, ein gemütliches Wohn-Schlafzimmer, in dem überall versteckte Projektoren bewegte Bilder auf Tisch, Bett oder Teppich werfen. Wird er so aussehen, unser vollmedialisierter Alltag? Darüber kann man nachdenken, während man weich auf dem Rücken liegt, ist die bevorzugte Haltung, sich Rists Kunst zu nähern, doch immer noch die totale Entspannung. In Krems liegt man dazu auf Betten, auf Tulpenblatt-Pölstern, auf riesigen Kopfkissen. Oder man streckt sich einfach irgendwo auf dem samtigen Teppichboden aus, der die Schritte und die Geschwindigkeit von Beginn an unmerklich bremst. An der Decke taucht gerade aus einem Blättermeer ein rothaariges Frauenwesen auf, nackt wie Eva, begleitet von Eva – die Frau dominiert eindeutig in diesem Weltbild, sie stehe aber einfach für den Menschen schlechthin.

Wohlfühl-Aktionismus?

Feminismus könnte man Pipiplotti Rist am ehesten am Beginn ihrer Karriere vorwerfen (falls man das will) – da bricht sie mit großem Witz die Stereotype, lässt Passagiere einer Stewardess die Füße küssen oder lässt die brave Anja angestrengt in die Ferne blicken, auf das Alpenpanorama – „Anja erweitert ihren Horizont“. Pipilotti erweiterte ihren Bildraum, sie brach in den Neunzigerjahren selbst aus dem Kasterldenken der Videokunst aus und verlegte sich herrlich unbescheiden auf den ganzen Raum. Sie flutet diese Räume mit ihren supersinnlichen Weltentwürfen. Und sie flutet unsere Sinne mit. Fehlt nur noch der Geruchssinn, der nicht angesprochen wird, Augen, Ohren und Tastsinn sind reichlich beschäftigt. Klingt fast ein wenig nach Aktionismus, nach dem Theater für alle Sinne von Hermann Nitsch. Pipilotti Rist ist die weibliche Wohlfühl-Version dieses Anspruchs, die Pop-Aktionistin. Hier darf Menstruationsblut auch einfach Himbeersaft sein. Rists Natur ist immer auch eine künstliche. Das macht sie so menschlich. Und das macht ihre Kunst auch so wunderbar zugänglich. Kunst zum Fühlen. Nicht zum Denken. Jedenfalls nicht nur.

Kunsthalle Krems: 22.März bis 28.Juni; Di bis So, 10–18 Uhr. Während des Donaufestivals (24.–26.4., 30.4.–2.5.) ist die Ausstellung bis 20 Uhr geöffnet, und Pipilotti Rist zeigt zusätzlich zwei „performative Kooperationen“ mit Eugénie Rebetez und Hans Platzgumer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2015)

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