Peter Pakesch: Wie viel Hochkultur ist nötig?

(c) Joanneum/Marija Kanižaj
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Joanneum-Intendant Peter Pakesch über einen drohenden Rückbau von Kultur-Institutionen. Die Debatte über Wiens Haus der Geschichte findet er schockierend.

Die Presse: Das Steirische Universalmuseum Joanneum hat heuer den Schwerpunkt Landschaft gewählt, das klingt jetzt so auf den ersten Blick nicht wahnsinnig originell.

Peter Pakesch: Das Thema Landschaft ist heute extrem aktuell. Wir leben im Anthropozän, die Erde wird vom Menschen gestaltet. Und neben dem historischen und romantischen Aspekt befassen wir uns mit dem aktuellen und politischen Aspekt der Landschaft: Wie wird sie heute besetzt, was bedeutet die Verstädterung usw.

Wir wollen die Landschaft genießen, zerstören sie aber.

Mit diesem Thema wird sich unser Naturkundemuseum befassen. Wir zeigen Alpen-Panoramen und nehmen im Weiteren die Oststeiermark als Fallstudie. Das ist ein besonders schöner Teil der Landschaft, aber gleichzeitig ist es beeinflusst vom Tourismus, von der Landwirtschaft und von vielen anderen Dingen.

Gehen Sie gern wandern?

Ja. Wenn Sie in unberührten Gebieten wandern wollen, empfehle ich die Koralpe oder das Gleinalm-Gebiet. Wunderschön, aber es wird einem bewusst wie fragil Naturräume sind. Ursprünglich war die Landschaft historisch gesehen eher etwas Feindliches. Barocke Landschaften in der Malerei sind Ideallandschaften, nicht realistisch gedacht. Im späten 18. und 19. Jahrhundert wurde die Landschaft dann erobert, das werden wir in der Neuen Galerie zeigen. Mit dem Beginn der Raumfahrt ab den 1960er Jahren hat sich das Landschaftsbild wieder gewandelt, durch den Blick von außen auf den blauen Planeten. In dieser Zeit ist auch das ökologische Bewusstsein aufgekommen, übrigens zuerst in Amerika, nicht in Europa. Diese Entwicklung greifen wir wiederum im Kunsthaus auf.

Albertina-Direktor Klaus A. Schröder hat jüngst in der „Presse“ gemeint, Museen in mittleren deutschen, deutschsprachigen Städten werden sterben oder in Schwierigkeiten kommen. Wie steht es um das Interesse an Museen in Zeiten von Computer, Internet, Film, Fernsehen?

Gegen das Digitale behauptet sich das Museum mit seinen Originalen noch immer, aber ich befürchte, Klaus A. Schröder hat Recht. Der Umgang der Politik mit den Museen ist nach einer sehr spektakulären Entwicklung schwierig geworden. Wie soll es weitergehen? Man müsste das breiter diskutieren, die Politik müsste Impulse geben, Prozesse anmoderieren. Aber die Politik ist eventorientiert und man lebt von der Hand in den Mund. Das Joanneum hatte 2011 eine Kürzung von 20 Prozent bei 90 Prozent Fixkosten. Kein anderes Museum in Europa hat so etwas hinnehmen müssen. Und seither gab es weitere Kürzungen. Es geht an den Rand des Möglichen, an die Substanz. Wir stehen vor der Frage, ob wir das Angebot aufrechterhalten können, das wir über die Jahre aufgebaut haben. Wir sind aber nicht schlecht frequentiert, haben über 500.000 Besucher im Jahr. Das sind sehr gute Zahlen für eine Region mit einer Million Einwohner.

Sie sind seit 2003 Intendant des Joanneums, ihr Vertrag läuft bis 2017. Wollen Sie ihn noch einmal verlängern oder wird das davon abhängen, ob sich die Zusammenarbeit mit den Politikern verbessert?

Was mit mir nach 2017 geschieht, ist nachrangig. Mir geht es in erster Linie um das Museum und ich vermisse mehr und mehr die großen Perspektiven. Der Druck auf die Institutionen der Hochkultur wächst, das sieht man auch bei den Bundestheatern. Die Kultur ist für Österreich Alleinstellungsmerkmal, das Land ist für seine Kultur in der Welt bekannt, da spreche ich nicht nur vom Tourismus. Nehmen Sie das Beispiel Italien: Dort gab es ein blühendes Kulturleben, das durch eine nicht vorhandene Kulturpolitik demoliert wurde. Italien war in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren eine Großmacht in der bildenden Kunst, denken wir nur an die Arte Povera oder dieTransavanguardia. Aber die Italiener haben es nie geschafft, ein gutes System moderner Museen aufzubauen, die staatlichen Strukturen sind rudimentär geblieben, damit konnte sich keine vitale Kunstszene entwickeln. Österreich hat sehr viel geleistet, aber es besteht die Gefahr, dass jetzt vieles wieder verspielt wird. Wenn man zurückbauen muss, dann mit Plan und Ziel, man sollte Strategien auf regionaler und nationaler Ebene haben, aber die sehe ich nicht. Man müsste zunächst fragen, was ist uns wichtig und dann mit jenen Institutionen konzentriert weiter machen, auf die man sich geeinigt hat. Die Bundesmuseen beispielsweise basieren noch immer auf einem Konzept von Hans Tietze und das ist 100 Jahre alt. Österreich ist etatistisch geprägt. Private Mäzene und Fördererfallen weitgehend weg.

Anders als in der Schweiz, Sie waren in den 1990er Jahren Direktor der Kunsthalle in Basel.

Basel hat eines der ältesten Museen, eine der frühesten zivilgesellschaftlichen Museumsgründungen, die nicht feudal geschehen ist, nicht von der Obrigkeit realisiert wurde, sondern aus der Bürgerschaft gekommen ist. Basel hat stark vom Industrievermögen und der Wohlhabenheit einzelner Bürger der Stadt profitiert. Die Fondation Beyeler ist ja im Endeffekt auch so eine Gründung – von Ernst Beyeler, einem sehr erfolgreichen Kunsthändler und Bürger von Basel. Es ist wichtig, dynamische Konstellationen zu haben bzw. zu schaffen, in Basel und Zürich funktioniert das derzeit gut, in Bern weniger.

Das Etatistische wird man in Österreich nicht mehr weg bringen.

Das stimmt nicht. Es gab immer wieder Ansätze, wenn sie z. B. die Geschichte der Wiener Secession betrachten. Auf dem Gebiet der Privatinitiativen könnte Österreich allerdings weiter sein. Wir haben auch keinen Kunstmarkt, der dem Wohlstand des Landes entspricht.

In den 1980er Jahren waren Sie Galerist in Wien. Der Kunstmarkt hat sich seither enorm verändert.

Auf jeden Fall. Diese Ausbreitung und das ökonomische Volumen des Kunstmarktes wären damals unvorstellbar gewesen. Alles war überschaubarer. Ich habe mit meiner Galerie in Wien spannende Künstler wie Franz West, Heimo Zobernig, Martin Kippenberger oder Mike Kelley vertreten. Zwischen Kalifornien und Osteuropa waren wir weltweit präsent. Natürlich haben österreichische Galerien nicht die Muskeln wie amerikanische oder englische, aber es könnte mehr passieren.

Man fragt sich immer, wo die vielen Künstler hinkommen, die heute an Kunstschulen, Akademien, Universitäten ausgebildet werden.

Es ist schwieriger geworden, sich eine internationale Bühne zu schaffen, vor allem aus Wien. Sinnvoller als es bei etablierten Galerien zu versuchen ist es für junge Künstler, Galeristen ihres Alters zu finden und mit diesen nachhaltige Karrieren aufzubauen.

Vorzugsweise in New York.

Würde ich nicht sagen. Eine der begehrtesten Künstlerstädte ist heute Berlin, die Immobilien sind billig und es passiert sehr viel.

Kehren wir zum Joanneum zurück. Sie hatten hier schon manchen Kampf zu bestehen, zuletzt um das Kunsthaus, zuvor mit Peter Weibel, Künstler und 1992-2011 Chefkurator der zum Joanneum gehörenden Neuen Galerie, mit dem es großen Streit gab. Sind Sie ein mächtiger Mann bzw. provokant gefragt: Ist es besser, sich mit Ihnen nicht anzulegen?

Peter Weibel hat Vereinbarungen nicht eingehalten, mich öffentlich desavouiert und sogar persönlich diffamiert. Ich darf Ihnen sagen, Mitarbeiter von anderen Institutionen, egal welcher Art, hätten bei solchen Aktionen viel früher gehen müssen.

Was ist beim Kunsthaus passiert? Es hätte ausgegliedert werden sollen, weil es angeblich nicht gut läuft.

Die einen meinten, das Programm sei zu populär, die anderen sagten, es sei nicht populär genug. Es hieß, wir seien zu international und müssten uns mehr lokal ausrichten, wir schauen zu viel auf Qualität usw. Die Kritikpunkte waren sehr gegenläufig. Der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl hatte die Idee, dass das Kunsthaus ausgeschrieben wird und man es alle zwei Jahre jemandem anderen gibt. Auf jeden Fall kam man schließlich drauf, dass der Rotationsplan kostspieliger ist als die jetzige Lösung.

Sie haben gut argumentiert und sind der Chef geblieben.

In erster Linie bin ich Intendant des Joanneums. Die Leitung und das Tagesgeschäft im Kunsthaus liegen mehr und mehr bei Katrin Bucher Trantow. Sicher, es gab intensive Diskussionen, aber fest steht: Das Kunsthaus hat 60.000 Besucher, das ist viel. Wir sind weltweit präsent und in der Kunst-Community gut vernetzt. Unsere 2014er-Ausstellung über den Avantgarde-Filmemacher James Benning, ist derzeit im Hamburger Kunstverein zu sehen. Die Maria-Lassnig-Ausstellung der Neuen Galerie ist um die halbe Welt gegangen.

Wie beurteilen Sie die Museumsaktivitäten anderswo? In Wien und Niederösterreich, wo bei Museen seit Jahren an allen Ecken und Enden gespart wird, entstehen jetzt zwei Häuser der Geschichte. Und St. Pölten verlagert seine Kunst aus dem Landesmuseum nach Krems. Was hat das zu bedeuten? Gibt es weniger Interesse an Kunst?

Ich glaube, dass die Kunst in St. Pölten ein Schattendasein fristet, während Krems hier weit stärker ist. Eine Verlagerung des Interesses von der Kunst zu anderen Bereichen sehe ich nicht. Bei uns hat die Kunst mehr Besucher als z. B. die Naturwissenschaft, obwohl die Naturwissenschaft , dievor zwei Jahren neu aufgestellt wurde, durchaus gut besucht ist und gut angenommen wird. Ein Museum, auch wir, ist in unterschiedlichen Schichten unterwegs. Die Debatte um das Haus der Geschichte in Wien scheint mir etwas abrupt zu sein. Mich hat schockiert, dass man für das Weltmuseum Jahre an einem Konzept arbeiten lässt und ein paar Tage vor der Pressekonferenz erfahren die Verantwortlichen, dass alles anders ist. Jetzt muss auch noch die Musiksammlung in der Neuen Burg umgesiedelt werden. Das scheint mir schon etwas symptomatisch für den Umgang der Politik mit Museen. Manche Museumsdirektoren lassen sich davon Gott sei Dank nicht beirren - wie etwa Wolfgang Kos, der in den letzten Jahren im Wien-Museum hervorragend gezeigt hat, wie man Geschichte präsentieren kann.

Man muss auch die Fernstehenden anlocken. Wie in der Kirche.

Es stimmt schon, Museen werden manchmal in der Nachfolge von Kirchen gesehen. Ich bin nicht ganz dieser Meinung. Aber klar, die Fernstehenden muss man anlocken und alle anderen auch. Was uns mit den Kirchen verbindet, ist, dass wir eine sinnstiftende Institution sind. Auch in einem Universalmuseum wie dem Joanneum werden die großen Fragen der Menschen besprochen.

INSTITUTION und PERSON

Peter Pakesch. Geboren 1955 in Graz, war Galerist in Wien, leitete die Kunsthalle Basel und ist seit 2003 Intendant des Joanneums. Das Museum hat über 4,5 Millionen Sammlungsobjekte, ca. 500 Mitarbeiter. Subventionen vom Land: 14,7 Millionen Euro plus 1,8 Millionen von der Stadt Graz für das Kunsthaus. Das Ausstellungsbudget beträgt nur 1,5 Millionen Euro.

(Langfassung. "Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2015)

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