Der Sabbat und der Triumph des Todes

Max Ernsts „Der verwirrte Planet“
Max Ernsts „Der verwirrte Planet“VG Bild-Kunst, Bonn 2015 / Photo Avraham Hay
  • Drucken

Ausstellung. Klassiker der Moderne und junge Kunst aus Israel: Das Tel Aviv Museum of Arts hat die Ausstellung „Jahrhundertzeichen“ im Martin-Gropius-Bau gestaltet. Bis 21. Juni.

Wie sie gemeinsam anpacken! Die Schaufel in der Hand und die Sonne über ihnen, arabische und jüdische Jugendliche, die gemeinsam Erde umgraben, um ihre idyllische Zukunft aufzubauen, ausgerechnet auf dem Gazastreifen. Sie werden begleitet von der wackeligen Kamera, aus den Bildern wird eine Doku über einen Kanal, der den Gazastreifen vom Festland und somit auch vom Krieg trennt. So zeigt „Gaza Canal“ (2010) von Tamir Zadok das Entstehen einer friedvollen Welt auf der nunmehrigen Gaza-Insel, und am Ende des Films bleibt trübe Stimmung beim Betrachter zurück, denn die Geschichte, die hier so enthusiastisch erzählt wird, ist nicht wahr. Während auf der einen Seite fiktive Friedensbilder flimmern, hängen auf der anderen Seite des Raumes Jackson Pollocks „Prism“ und Max Ernsts „Der verwirrte Planet“.

Die Komposition von Moderne und junger Kunst aus Israel ist denn auch das tragende Element der Ausstellung „Jahrhundertzeichen“. Zum 50. Jahrestag der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland hat das Tel Aviv Museum of Arts 72 Kunstwerke – einen ambitionierten Querschnitt des 20. Jahrhunderts – nach Berlin geschickt, die Kuratoren haben sie mit zeitgenössischer Kunst ergänzt. Zadok, Pollock, Ernst und einige mehr in einem Raum – das lässt viel Platz für Interpretationen. Im Gegensatz zu Zadoks Film mag die Wirrnis bei Pollock an die tatsächliche Lage im Gazastreifen erinnern . . .

Statt zeitlicher oder räumlicher Abfolge – mit Ausnahme des Raumes „Berlin“, wo u. a. die schaurig-schönen Zeichnungen Max Beckmanns von seiner Berliner Reise (1922) gezeigt werden – hat man sich für übergeordnete Themen entschieden, etwa „Still/Bewegt“, wobei sich Giacomettis „Femme de Venise IX“ den Raum mit dem israelischen Künstler Arie Aroch teilt. In „Die Welt von gestern“ befasst sich Zoya Cherkassky damit, wie jüdische Kunst unbewusst antisemitische Stereotype aufgenommen hat, etwa Darstellungen von Menschen mit Vogelköpfen. Sie selbst setzt in ihren Zeichnungen die Köpfe von orthodoxen Juden auf Vogelkörper.

Im selben Raum hängt Chagalls „Solitude“: Ein einsam-trauriger Jude sitzt auf einem Feld, die leuchtend rote Thora-Rolle in seiner Hand, während hinter ihm, aus Jerusalem, Rauchwolken aufsteigen. Als zeitgenössisches Element läuft bei dieser Raumkomposition Nira Peregs Video „Sabbath 2008“: Sie zeigt kurze Sequenzen, die die Vorbereitungen zum Sabbat in Jerusalem zeigen, wenn ultraorthodoxe Männer ihre Viertel sperren, Barrieren aufstellen. Der Film soll gleichsam (temporäre) Trennungen und Abgrenzungen in einer Stadt zeigen, die sonst um Einheit kämpft – dieses Wechselspiel von Nähe und Distanz wird man in der gesamten Ausstellung finden. Bemerkenswert ist, dass Pereg alle Hintergrundgeräusche eliminiert hat; lediglich das harte Quietschen auf dem Asphalt ist zu hören, wenn die Männer die Absperrungsgitter hin und her schieben. Es macht die Bilder seltsam greifbar.

Picasso, Schiele, Munch

An manchen Stellen mag die Ausstellung nicht recht in die Räume des Gropius-Baus passen, mit mehr Platz würde das Gefüge Moderne und Gegenwart besser wirken. Picassos „Büste einer Frau“ (1953) geht fast unter in der Fülle der Werke im Raum „Frauenbilder“, darunter auch Egon Schieles „Frau mit Spiegel“ und „Die Dirne“ sowie Edvard Munchs „Madonna“. Dagegen hat die Installation Michal Helfmans den Platz, den ihr Werk tatsächlich braucht: Sie hat die Drachen und einige weitere Elemente aus Felix Nussbaums „Triumph des Todes“ übergroß rekonstruiert, sie füllen die Mitte des Raumes – und damit bringt sie dem Betrachter das Grauen, die Endzeit in Reichweite, quasi in 3-D.

„Triumph des Todes“ entstand 1944, im Jahr, als Nussbaum in seinem Brüsseler Versteck entdeckt und nach Auschwitz und damit in den Tod deportiert wurde. Sein Bild zeigt musizierende Skelette, über ihnen fliegen Drachen, zu ihren knöchernen Füßen liegt die von den Nazis zerstörte Welt in Form von zerrissenen Büchern, Gemälden und wissenschaftlichen Utensilien wie Fernrohren. „Wenn Diktatoren wüten“ heißt diese Raumkomposition, und sie ist die einprägsamste, die bedrückendste der ganzen Ausstellung.

www.museumsportal-berlin.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.