Lee Miller-Ausstellung: Die Frau in Hitlers Badewanne

(c) Lee Miller Archives England 2015
  • Drucken

Lee Miller war Model, Fotografin, Kriegsberichterstatterin. Die Albertina zeigt das künstlerische Werk einer Frau, die in jeder Rolle Grenzen sprengte.

Mit diesem Foto wurde sie berühmt. Und es ist bezeichnend, dass es ein Foto ist, das sie nicht selbst geschossen hat, sondern sie als Modell zeigt. Lee Miller war die Frau, die sich am Tag von Hitlers Selbstmord in seiner Badewanne in München fotografieren ließ. Als nackte Schönheit, als Susanne im Bade. Ein kunsthistorisch abgesichertes Bild, das durch die Accessoires und das Umfeld zu einem, ja, verstörenden Bild wird: das Hitler-Porträt am Wannenrand. Die Militärstiefel vor der Wanne. Die Badewanne des Ungeheuers selbst. Es war das Foto der Besitznahme des Intimsten des Feindes, die Siegerpose des Palaststürmers.

Es ist aber auch das Foto, das prototypisch ist für die künstlerische Kraft und Intelligenz einer der schillerndsten Frauenbiografien der 1930er- und 1940er-Jahre. Elizabeth „Lee“ Miller, 1907 im Umland von New York auf die Welt gekommen, war ein Star, ein It-Girl, würde man heute sagen, die Kate Moss ihrer Zeit. Denn als High-End-Fashion-Model hatte die 22-Jährige bereits eine rasante Karriere hinter sich, als sie sich 1929 für den Perspektivenwechsel entschied. Sie wollte selbst fotografieren. Sie ging nach Paris und baute sich in all ihrer blonden, androgynen Pracht vor dem surrealistischen Foto-Genie Man Ray auf: „Ich heiße Lee Miller und bin ihre neue Schülerin.“ Soll sie gesagt haben. Wohl eine Anekdote, aber sie könnte stimmen. Lee Miller war damals schon hartgesotten. Als Siebenjährige missbraucht von einem Bekannten der Familie, lehrten ihre Eltern die Tochter nach Rücksprache mit einem Psychologen, dass Sex und Liebe miteinander nichts zu tun hatten. Das zog sich durch Lees Leben – eine Härte, die auch ihre Fotografie später auszeichnen wird.

Raus aus den Lazaretten

Missbrauch, Model, Künstlerin, Kriegsberichterstatterin – Millers Leben schreit praktisch nach einer Hollywood-Verfilmung. Nicole Kidman hatte sich die Rechte bereits gesichert, das Projekt scheiterte, derzeit wird Cate Blanchett in der Hauptrolle gehandelt. Ein Film könnte natürlich nur in Klischees enden. Die aktuelle Miller-Ausstellung in der Albertina versucht, genau diesen zu entkommen, und verzichtet bewusst auf die beliebten Bilder Millers als „Vogue“-Model. Wobei sie auch in dieser Rolle Grenzen sprengte, so sorgte sie für einen Skandal, als sie als erste reale (nicht gezeichnete) Frau für Damenbinden warb.

Egal. In der Albertina soll es um Kunst gehen, nicht um Millers Leben. Was das Ganze ein wenig trockener macht, als es sein müsste. Aber es ist ein ehrenwertes Ansinnen. Ein Schwerpunkt liegt auf den surrealistischen Fotos, die Miller als Partnerin und Muse von Man Ray schuf. Sie war sicher keine federführende Surrealistin, die Phase dauerte auch nur drei Jahre. Aber scheinbar mühelos sog sie den Avantgarde-Zeitgeist auf, perfektionierte ihn mit leichter Hand.

Der Blick fürs Absurde, Bizarre, Makabre wird sie auch in den Krieg begleiten. In diesen ging Miller aufseiten der Alliierten mit 117 anderen als Reporterinnen akkreditierten Frauen. Die meisten beschränkten sich auf „typisch weibliche Themen“. Doch Miller fand bald den Weg hinaus aus den Lazaretten. Und fotografierte etwa in Saint Malo einen der ersten Napalm-Einsätze. Die Fotos wurden zensiert, sonst veröffentlichte Miller ihre Strecken in der amerikanischen und englischen „Vogue“, in denen damals der Frontberichterstattung prominent Platz eingeräumt wurde. Anders als andere Fotografinnen schrieb Miller auch ihre Texte selbst, agitatorisch, moralisch: „Believe it!“ betitelte sie ihren Bericht von der Befreiung des KZ Buchenwald. Erschreckend unerschrocken stieg sie dort über Leichen, um an die stärksten Bilder zu kommen, sie nahm aus nächster Nähe auf – befreite KZ-Insassen genauso wie die Täter als „Opfer“, verprügelte KZ-Aufseher, eine Wasserleiche.

Sie sollte nicht unbeschadet herausgehen aus dem größten Abenteuer ihres Lebens, das diese Vital-Berserkerin so liebte. Nach dem Krieg verfiel sie in Depression und Alkoholismus. Bis 1977 lebte sie auf dem englischen Land und kochte für ihre Künstlerfreunde. Die Kamera hing am Nagel. Erst nach Lee Millers Tod entdeckte ihr Sohn das fotografische Werk seiner Mutter auf dem Dachboden und arbeitete sich durch über 60.000 Negative, Abzüge und Manuskripte. Der (fiktive) Film endet wohl hier, wo ihre künstlerische Wiederentdeckung begann. Die Albertina ist für die Neubewertung dieses Werks eine weitere wesentliche Station.

Lee Miller. Albertina, bis 16. August 2015.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.