Triennale: Ein Touristenort spielt Megastadt

Katastrophenszenario? Das Künstlerduo HeHe legt einen Strommast ins Wasser.
Katastrophenszenario? Das Künstlerduo HeHe legt einen Strommast ins Wasser. Peter De Bruyne
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Großausstellungen werden nicht nur der Kunst wegen veranstaltet, sie sind auch ein perfektes Werkzeug für Stadtmarketing. In Brügge geht der Plan auf.

Merkwürdige silberne Ballons fliegen herum. Nähert man sich ihnen, hört man Geräusche – in den glänzenden Dingern sind Lautsprecher integriert, sie dienen zur audiovisuellen Wahrnehmung der Stadt. Ein „Soundspace für Architektur“, wie es Sam Auinger nennt. Der österreichische Tonkünstler entwarf die Objekte zusammen mit Bruce Odland für die erste Triennale Brügge.

Brügge zählt nur 120.000 Einwohner, wird aber jedes Jahr von fünf Millionen Touristen überrannt. Mit der im Dreijahresrhythmus stattfindenden Kunstausstellung kommt jetzt noch eine weitere Attraktion in die zauberhafte Altstadt. Aber wofür braucht es bei all den geschichtsträchtigen Gebäuden noch eine Triennale? Ganz einfach: Stadtmarketing. Mit keiner anderen Veranstaltung kann man bei einem vergleichbar niedrigen Budget derartig viel mediale Aufmerksamkeit erreichen. Städte wie Fellbach in Deutschland, Busan in Südkorea oder Sonsbeek in Holland haben sich über mehrere Jahrzehnte einen Namen als Austragungsort für Kunst gemacht – ganz zu schweigen von Kassel: Die ehemals westdeutsche Zonenrandstadt ist durch die seit 1955 stattfindende Documenta heute weltberühmt.


Kunst ist nicht genug. Der japanische Museumsdirektor Fumio Nanjo brachte es in einem Interview auf den Punkt: „Kein großes Festival würde veranstaltet, wenn dahinter nicht Interessen des Stadtmarketings oder des Kulturtourismus stünden. Niemand würde so viel Geld nur für künstlerische Ambitionen ausgeben.“ Er war Kurator der ersten Singapur Biennale 2006, sie ist bis heute ein wichtiges Werkzeug des kleinen Inselstaates, um sich als kulturelles Zentrum von Südostasien zu positionieren.

Die Initiative für die neue Brügge Triennale ging von einem ambitionierten Bürgermeister aus. Renaat Landuyts will nicht nur zeitgenössische Kunst in die mittelalterlich geprägte Stadt bringen. Die Triennale soll nicht nur noch mehr Besucher in die Stadt ziehen, und sie dient nicht als weltweite Leistungsschau. Sie sucht Visionen für die Zukunft. Sie soll die Probleme der Verstädterung unserer Welt wenn nicht lösen, so doch zumindest in den Blick rücken. 60 Prozent der Weltbevölkerung leben heute in Megastädten, Tendenz steigend. Unter dem Titel „Brügge als Megapolis“ wird gefragt: „Was wäre, wenn die jährlich fünf Millionen Besucher in Brügge bleiben und wohnen würden?“ Was kann eine kleine Stadt wie Brügge zum Thema Urbanität beisteuern? Auch in Wien wird übrigens bald eine ähnliche Veranstaltung eröffnet: „Ideas for Chance“ lautet der Titel der ersten Vienna Biennale, die am 10. Juni beginnt. „Wie wollen wir in der Zukunft leben?“, lautet die Fragestellung, dazu wird es in mehreren Institutionen Ausstellungen „für einen positiven Wandel unserer Gesellschaft“ geben.

Was bedeutet die zunehmende Verstädterung, wie viel kreatives Potenzial hat eine Stadt, wie kann das Zusammenleben gefördert werden? In Brügge beschäftigen sich damit drei kleine Ausstellungen, die Modelle imaginärer und Pläne unvollendeter Städte zeigen. Anders als in Wien wandert die Triennale in Brügge aber vor allem in die Stadt hinaus. 14 eigens angefertigte Skulpturen und Bauten stehen in der denkmalgeschützten Altstadt: Der Japaner Tadashi Kawamata hat elf Baumhütten wie Nester in den Innengarten einer Wohnanlage für Nonnen platziert. Keinen einzigen Nagel musste er dafür in die Bäume schlagen – eine neue, friedliche Eintracht von Mensch und Natur? Eine Idee für neuen Wohnraum? Im Gespräch erklärt Kawamata, es sei eher der halbe Weg in den Himmel.

Das Künstlerduo HeHe legt einen Hochspannungsmast in das Wasserbecken vor dem Sankt-Jans-Spital. Wir sollen darüber nachdenken, wo der Strom herkommt, wird als Interpretation nahegelegt – dabei erinnert die Installation eher an ein Katastrophenszenario: Was wäre, wenn die fünf Millionen Neubürger das Stromnetz lahmlegen? Würde das Leben auf mittelalterliches Niveau zurückkehren? Ein Bild für turbulente Zeiten hat auch Romy Achituv gefunden, er stellt ein Modell von typisch gotischen Treppengiebelhäusern mitten in eine Gracht. Als Standort hat er jene kleine Bucht gewählt, in der früher die Schiffe entladen wurden – die wirtschaftliche Blütezeit von Brügge ist vorbei, sagt uns dieses Werk.


Kunst liefert keine Lösungen. Doch weder die Künstler noch die Architekten beschäftigen sich mit der Frage, was wir aus der Vergangenheit lernen können. Einzig der Chinese Song Dong lenkt uns ein wenig in diese Richtung mit seiner felsartigen Miniaturlandschaft, gebaut aus Fenstern von abgerissenen chinesischen Wohnungen. Darüber steht in großen Buchstaben „Wu Wie er Wei“, ein Begriff aus dem Taoismus, der „Nichthandeln“ bedeutet. Ist das die Lösung? Nein, sein Motto sei die „Weisheit der Armut“, erzählt er bei einem Mittagessen. Alles sei gut für irgendetwas. Anne K. Senstadt setzt dem drei große Worte entgegen: „Gold Guides Me“, steht in großen Buchstaben auf einem Gebäude. Besitz, Macht, Reichtum – das sind die treibenden Faktoren unserer Welt.

Konkret wird das japanische Architekturatelier Bow-Wow: Ihre „Lounge“, die in einer Gracht schwimmt, ist eine offene Holzkonstruktion zum Abhängen, Sonnenbaden und bald auch eine Bar: Die Zukunft der Stadt beinhaltet auch, dass mehr und mehr Flächen kapitalisiert werden. Und die silbernen Soundwolken? Sam Auinger erläutert ihre Ausgangsfrage: „Wie müsste das Sounddesign der Stadt in der Zukunft aussehen, damit wir Stille und hörbare Vielfalt erleben können?“ Hier wird ein spannender Aspekt aufgegriffen, denn die Lärmbelästigung steigt mit der Menge der Menschen. Ansonsten aber ignorieren die Künstler das Triennale-Thema – Kunst, das wird in Brügge deutlich, liefert keine Lösungen. Künstler mögen Visionäre sein, aber nur selten für konkrete Aufgaben wie Urbanisierung. Ein schöner Anlass für eine Tour durch die Stadt aber ist die Triennale allemal – Stadtmarketing eben.

Auf einen Blick

Biennalensind ein perfektes Stadtmarketinginstrument. Jetzt hat auch das kleine Brügge in Belgien diese Chance ergriffen. Die Triennale Brügge will aber nicht nur Besucher anlocken, sondern thematisiert auch die Zukunft der Städte: Was, würden die jährlich fünf Millionen Touristen in Brügge bleiben? Kann darauf mit den Mitteln der Kunst geantwortet werden?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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