Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Medien

(C) Frances Bodomo - VIS
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Flüchtlingsdramen, Aids und „Afronauts“: „U/Tropia.Schauraum“, eine Fusion von Kino und Installation, soll bei den Festwochen eine neue Sicht auf Afrika bringen.

Schreie hallen durch den Raum. Woher kommen sie? Eine Schwarzafrikanerin hat bei einem Flüchtlingsdrama Angehörige verloren. Sie schlägt um sich, weint, wirft sich in die Arme der Polizisten, die reglos dastehen, einer wehrt sie ab, ein anderer bietet ihr seine Schulter und schaut in die andere Richtung. „Shipwreck“ von Morgan Knibbe unterscheidet sich wenig von Medienberichten, aber dadurch, dass das Video fast 15 Minuten dauert, bedächtig zerschellte Boote und Särge umrundet und die Kluft zwischen Ordnungsorganen und Betroffenen deutlich macht, fühlt man sich wie erschlagen von den schrecklichen Bildern, die man noch dazu im Liegen ansieht, auf einer Riesenleinwand, die an der Decke montiert ist.

„U/Tropia.Schauraum“ heißt das Projekt von Festwochen und Kurzfilm-Festival, es soll die Sicht Europas auf Afrika verändern. Die Mischung aus Kino und Bildende-Kunst-Installation ist Einleitung und Ergänzung zum „Analogue Eye.Drive-in-Theatre“ des Südafrikaners Brent Meistre, auch hier sind Kurzfilme aus Afrika zu sehen (ab 3.6.). Wie schon bei Mats Staubs Zeitzeugen-Sammlung unter dem Titel „21 - Erinnerungen ans Erwachsenwerden“ (gleichzeitig mit „U/Tropia“ im Künstlerhaus zu erleben) erweist sich das Übertreffen der Medien- durch die Kunstrealität als schwierig. Es gibt kaum eine Kunst, an der sich Medien (oder Werbung) noch nicht versucht haben. Die mediale Bildsprache wird immer avancierter.

Aberglauben, Rebellion, Identitätssuche

Was es bringen soll, eine afrikanische Familie im Fernsehen beim Fernsehen abzubilden, erschließt sich nicht unbedingt, auch wenn man den Text liest, der erklärt, dass es sich um eine belgische Familie ruandischer Herkunft handelt, die eine Sendung über den Völkermord in ihrer Heimat anschaut. Nicht alles, was raffiniert ausgedacht ist, überzeugt auch. Auf „Arbeitsplätzen“ kann man selbst ins Internet schauen. Das erinnert daran, dass Medienkonsumenten heute von mit viel Liebe und Aufwand hergestellten Filmen oft bloß noch die Clips auf YouTube anschauen– und sich hernach womöglich wieder einem Computerspiel wie „Cards against Humanity“ (der Titel sagt alles) widmen.

Aber: Wie bei Mats Staub liegt auch bei „U/Tropia“ der Reiz in der Muße. „Afronauts“ von Frances Bodomo erzählt von der Gründung einer Akademie für Weltraumforschung in Sambia in den 1960er-Jahren, zehn Exilanten sollten einen Raketenstart vorbereiten, wobei es auch zu skurrilen Begebenheiten gekommen ist; „To Be King“ von Christine Dixie kontrastiert europäische Herrenhäuser mit der südafrikanischen Landschaft in comicartigen Aufnahmen, die an die höfische Kunst von Velázquez erinnern, aber die Geschichte erzählen, wie ein König vom Thron gestoßen und ein Stil durch einen anderen ersetzt wird: Kommunikation statt Kolonialismus. Das Werk ist eine Reverenz an Kurator Brent Meistre und seinen Landsmann William Kentridge, der 2014 bei den Festwochen Schuberts „Winterreise“ neu illustriert, europäische und afrikanische Landschaft verbunden hat. Nationale Grenzen verwischen, auch das ist eine Botschaft von „U/Tropia“. Doch allzu oft muss man die Kommentare zur Konzeptkunst lesen, um alles zu begreifen.

Das eindrucksvollste Kunstwerk und ohne viele Worte schockierend ist: „Nemesis& Virus“ von Churchill Madikida, ein bildstarkes Video über einen grausigen Aberglauben, der Aids bekämpfen soll. Über 30Filme sind die nächsten Tage zu sehen.

DAS PROJEKT

„U/Tropia“. Besteht aus mehreren Modulen, in jedem sind mehrere Kurzfilme zu sehen, Gesamtdauer bis zu 70 Minuten pro Einheit: „Utopia – Das neue Sehen“ (28.5., 20.30 Uhr). „Tropia – das trügerische Bild“ (nach einer Störung der Fähigkeit des Auges zum optischen Fixieren, 28.Mai, 18.30 Uhr). „Zoetrop – Die filmische Illusion“ (Zoetrop ist ein Optisches Gerät, Wegbereiter der Filmkunst, 29./30.5.) „Dystopia – Der dunkle Blick“ 29./30.5.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2015)

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