Albertina: Eine Zeichnung bleibt eine Zeichnung

(C) Robin Rhode
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Mit der intelligent konzipierten Schau „Drawing now“ wirft die Albertina ein Schlaglicht auf das zeichnerische Schaffen des letzten Jahrzehnts und besinnt sich ihrer Tradition.

Das muss denn schon eine spezielle Ausstellung sein, wenn Hausherr Klaus-Albrecht Schröder die Pressekonferenz zu einer Abrechnung mit seinen Vorgängern nutzt: Die Albertina sei in den Neunzigerjahren in die Krise geraten, weil zu lang an dem Konzept der „graphischen Sammlung“ festgehalten worden sei – als Künstler die Gattungsgrenzen längst gesprengt hatten. In der Folge habe es jemanden wie ihn gebraucht, der das Haus der Moderne öffnet, der gleichzieht mit dem Status quo, was gelungen sei. Er habe die Albertina „von der Gattungstheorie befreit“. Weshalb man es sich jetzt leisten könne, grafischen Arbeiten wieder mehr Raum zu geben. Etwa mit der Ausstellung „Drawing now 2015“, die sich im Übrigen auf eine 1977 von Albertina und MoMA gemeinsam gestemmte Schau gleichen Namens bezieht, an der Schröder am Donnerstag auch kaum ein gutes Haar gelassen hat: Zwar habe man damals mit Warhol, Lichtenstein und Jasper Johns die wichtigen Künstler der Zeit präsentiert, aber eben nur konservativ mit Arbeiten auf Papier.

Zickzack über die Fassade

Nun, diesen engen Blick hat die von Elsy Lahner intelligent kuratierte und sensibel gehängte Ausstellung nicht (wobei das 40 Jahre später auch verwunderlich wäre). Aber interessanterweise wird gerade hier deutlich, wie prägend für die Kunstproduktion und wie wichtig für unsere Wahrnehmung die viel geschmähten Gattungen noch immer sind. Denn was macht ein Kunstwerk heute in unseren Augen zu einer Zeichnung, wenn es nicht Bleistift/Kohle/Tusche auf Papier ist? Warum nehmen wir etwa Rainer Prohaskas Installation ganz selbstverständlich als Teil der Schau wahr? Er hat die Albertina samt Soravia-Wing mit orangen Bändern umwickelt, im Zickzack führen sie über die Fassade. Eine feine Linie, sie ist für uns „gezeichnet“, auch wenn sie aus Stoff ist oder aus Draht wie bei Fritz Panzer und seiner wunderbar filigranen, ja seltsam verletzlich wirkenden Rolltreppe.

Wobei in der Schau auch Arbeiten zu finden sind, die gerade diese Vorstellung von der feinen Linie radikal infrage stellen: Anna Barriball nutzt Bleistift oder Tusche so, dass keine einzelnen Striche mehr sichtbar bleiben, sondern nur noch gülden oder silbern blinkende Oberflächen.

Doch solang solche Bezüge verstanden werden, bleibt eine Zeichnung eine Zeichnung, aller Grenzüberschreitung zum Trotz. Und die Schau spielt mit solchen Bezügen: Sie zeigt uns das Kleine, Feine, die versponnenen, pastellfarbenen Seelenlandschaften der Mithu Sen, die kaum sichtbar auch noch das Plexiglas über den Zeichnungen graviert hat. Und im Gegensatz dazu riesige Bildteppiche aus schwarzem Textmarker von Aleksandra Mir. Nix da mit zart! Und dann verbirgt sich hinter dem Namen auch noch ein Kollektiv: Wo bleibt, nächste Erwartungsenttäuschung, der individuelle Strich? Was ist mit der Privatheit der Zeichnung? Das Bild des Künstlers, der für sich selbst ein kleines, intimes Werk fertigt, es ist in uns verankert.

Am wenigsten packen uns in dieser Schau übrigens jene Werke, die nicht die Kunst, sondern den Alltag als Bezugsrahmen nehmen: Dan Perjovschis eigens für Wien mit Graffiti, Piktogrammen und Sprüchlein bekritzelte Wand beispielsweise. Mehr als nett ist etwa der kleine Don Quichotte nicht, dem ob der Monstrosität der Windparks ein resigniertes „Fuck“ entfährt.

Ein animierter Albtraum

Da unterschätzt Perjoschi die Kreativität von Street-Art und die Verbreitung von Sprüchen ähnlicher Machart in den sozialen Medien. Und auch Ignacio Uriarte macht es sich leicht, wenn er Kritzeleien, wie sie in langweiligen Sitzungen oder bei Telefonaten entstehen, zum Vorbild nimmt.

Aber das sind Ausnahmen: Die 36 Positionen umfassende, vor allem Werke in den 1960er- und 1970er-Jahren geborener Künstler umfassende Schau zeigt ein breites Spektrum von Arbeiten: Michaël Borremans winzige Werke mit noch winzigeren Figuren, so putzig wie die kleinen Bäuerleins, die bei Breughel durch das Bild laufen. Und dann schaut man genauer hin – und erstarrt. Sie wieseln um Tote herum.

Oder David Shrigley. Er hat einen Mann beim Schlafen gezeichnet und daraus einen achtminütigen Film gemacht. Es ist ein unruhiger Schlaf, vielleicht plagt ihn etwas, ein Alb, wir sehen ihm zu, dringen in seine Privatsphäre ein (Er ist nur gezeichnet? egal!). Und damit nicht genug. Das Atmen des schlafenden Mannes füllt die Ausstellungsräume. Es verfolgt uns, bis wir gehen. Vor dem Lift übernimmt dann Shrigleys kopfloser Drummer.

Alles sehr wohl durchdacht.

„Drawing Now 2015“ in der Wiener Albertina, bis

11.Oktober. Performance „Drawing Matters Other Others“ von Nikolaus Gansterer am 3.Juni, 19 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2015)

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