Berlin: Und das soll ähnlich sein?

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Eine hervorragend bestückte Schau in der Alten Nationalgalerie erforscht, was Impressionismus und Expressionismus verbindet: Es ist wenig.

Einmal also das Verbindende über das Trennende stellen. Einmal beim Impressionismus nicht das typisch Französische, beim Expressionismus nicht das typisch Deutsche betonen, nicht das Flackernd-Irrlichternde gegen das Rohe setzen, nicht „Eindruck“ gegen „Ausdruck“, Wahrnehmung gegen Emotion. Die von Angelika Wesenberg kuratierte Schau in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel hat sich im Gegenteil vorgenommen zu untersuchen, was die beiden Kunstrichtungen gemeinsam haben, die oft im gleichen Atemzug genannt werden, die beide heute so hoch gehandelt werden, wie sie zur Zeit ihrer Entstehung geschmäht wurden.

Was sie gefunden hat, ist zunächst eine stupende Ähnlichkeit der Motive und Arbeitsprozesse. Sowohl Impressionismus als auch Expressionismus stehen für die Abkehr vom Konstruierten, sie stehen für Unmittelbarkeit und Subjektivität. Unfertig, wie Skizzen erschienen den Zeitgenossen die Werke von Monet und Co. Als völlig kunstlos wurden die Künstler des Blauen Reiters und der Dresdner Brücke abgetan. Weg vom Akademischen also – darum auch das Faible für die Freilichtmalerei: Nicht nur im Wald und auf der Heide übrigens, die Künstler malten auch mit Vorliebe Plätze und Straßen, Rennbahnen und Brücken.
Und sie liebten das Varieté, die Cafés, das Tingeltangel. Das ist von Henri Toulouse-Lautrec und Degas bekannt, die zahlreichen Tänzerinnen und Vergnügungssüchtigen von Ludwig Kirchner, August Macke und Emil Nolde in der Schau dagegen überraschen. Eine eigene Sektion gilt dem „Traum vom Paradies“, eine andere den Tierdarstellungen, eine dritte der Architektur.

Doch auch oder gerade, wenn hier Renoirs „Badende mit blondem, offenem Haar“ (1903) neben einem nur sieben Jahre später entstandenen „Sitzenden Mädchen“ von Max Pechstein hängt – tatsächlich betont die Schau eher jene Unterschiede, die sie einzuebnen verspricht: Hier ein Akt, in sanftes Licht getaucht – dort eine Nackte mit kraftvollem Strich. Noch deutlicher wird es, wenn es um Straßenszenen und belebte Plätze geht, für die beide ein Faible haben. Während bei den Impressionisten die Passanten wie hingetupft wirken und die eigentliche Aufmerksamkeit der Architektur bei verschiedenen Lichtstimmungen gilt, steht bei Kirchner und Co. stets der Mensch im Zentrum. Der Mensch, der auf Kirchners „Potsdamer Platz“ von Gebäuden fast erdrückt wird, der um seinen Raum kämpft, um Bewegungsfreiheit. Der fast den Rahmen des Bilds sprengt.

Schwerpunkt Dresdner Brücke

Aber ob man nun der Grundthese der Schau folgt oder nicht – sie ermöglicht spannende Vergleiche. Beim Themenblock Im Grünen sehen wir etwa Max Liebermanns „Papageienmann“ von 1902 neben einem „Sonnigen Weg“ von August Macke. Beide Künstler haben sich ähnliche Aufgaben gestellt, sie zeigen Menschen unter Bäumen, durch die das Licht fällt. Doch beim Impressionisten Liebermann ist es einzig der Papagei, der für kräftige Farbflecken sorgt. Alles andere wirkt wie gedämpft, durchaus folgerichtig: Die ganze Szenerie scheint in grünliches Licht getaucht (dasselbe Phänomen ist übrigens bei Renoirs „Im Sommer“ einige Meter weiter zu beobachten). Dagegen braucht der Expressionist Macke in diesem Fall gar keine Papageien – der Weg leuchtet auch so in grellstem Rot-Blau-Gelb.

160 Werke sind insgesamt in Berlin zu sehen, vieles stammt aus den eigenen, umfangreichen Beständen, was mit sich bringt, dass ein Schwerpunkt auf den Malern der Dresdner Brücke liegt und viele Arbeiten deutscher Impressionisten wie Max Slevogt, Lovis Corinth und Liebermann zu sehen sind. Daneben etliche hochkarätige Leihgaben: Etwa Cézannes „Sieben Badende“, Manets „Im Wintergarten“, Monets „Die Barke in Giverny“.

Beide Kunstrichtungen sorgten einst für handfeste Skandale. Aber während wir heute gar nicht mehr nachvollziehen können, was denn an einem Werk wie Manets „Frühstück im Freien“ oder Monets „Das Mittagessen“ so verstörend sein soll, ist die Attacke gegen die Definition dessen, was Kunst ist und was sie sein soll, bei Kirchner, Pechstein, Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Co. immer noch spürbar. Man muss nur ein Schulkind fragen, wie es zu den groben Strichen, den roten Körpern und gelben Himmeln steht. Sogar Emil Nolde kann übrigens provozieren: Von ihm zeigt die Schau ein paar großartige Werke, darunter ein brutales „Schlachtfeld“ und ein eindringliches Porträt des Gustav Schiefler: mit schwarzem Zylinder, lila Kopf und grünem Schnurrbart. Schon das eine Entdeckung.

„Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende.“ Alte Nationalgalerie, Museumsinsel: bis 20. September.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2015)

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