Nichts für Spekulanten

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Ist der Kunstmarkt wirklich so korrupt, wie es eine Schweizer Autorin in ihrem Buch darstellt? Ein Besuch in Genf.

Parallel zum Kaufrausch auf der Art Basel sorgt gerade ein Buch für Aufregung: „Wir betreten den Kunstmarkt“, betitelt die Schweizer Juristin Monika Roth ihre Recherchen zu Geldwäsche, Marktmanipulation und Steuerhinterziehung anhand von Kunstwerken.

Eine wichtige Rolle weist sie darin den Zollfreilagern zu. Ursprünglich dienten diese riesigen, wie eine Festung gesicherten Aufbewahrungshallen als Zwischenlager. Ohne bürokratischen Aufwand konnten die Waren hier warten, bis sie zum eigentlichen Ziel weitertransportiert wurden. Mittlerweile sind sie aber permanente Lagerstätten geworden. Die größte Dichte dieser steuerfreien Lager gibt es in der Schweiz. Sind deshalb stolze 800 Kunsthändler und Auktionatoren in dem kleinen Land registriert? Oder deshalb, weil in der Eidgenossenschaft Kunst anonym und in hohen Summen in bar gekauft werden kann? In der EU darf bei Transaktionen mit Kunst- und Kulturgütern nur bis 7500 Euro, in den USA bis 10.000 Dollar Bargeld fließen. Zwar plant die Schweiz ein neues Gesetzt mit einem Limit von 100.000 Franken bei Barzahlungen, aber der Weg dahin ist noch weit.

Aber ist der Kunstmarkt tatsächlich so mafios, wie Roth ihn darstellt? Eines der ältesten und größten Zollfreilager steht in Genf, einem Städtchen mit nur 191.000 Einwohnern. Gegründet wurde das Lager 1854, mittlerweile nehmen Kulturgüter 40 Prozent des Platzes ein. In der Stadt selbst sind stolze 120 Galerien registriert, knapp vierzig davon kann man im Galerienführer finden. Ist die Kunstszene hier ein Hort krummer Geschäfte, wie man nach den Diskussionen über die dunklen Seiten des Kunstmarktes vermuten könnte?


Politische Anspielungen unerwünscht. Ein Gang durch die Galerien zeigt ein gänzlich anderes Bild. Genf ist sicherlich kein Standort für Avantgardekunst, das Angebot an zeitgenössischer Kunst ist verbesserungsfähig, der Schwerpunkt liegt auf Kunst im Stil der klassischen Moderne. Aber es gibt auch spannende Ausnahmen wie eine überraschende Ausstellung in der Artevera's Gallery (bis 12. 9). 2007 eröffnet, war die Galerie zunächst auf Modern Masters spezialisiert. Seit vergangenem Jahr folgt das Programm dem Interesse des Marktes, und das heißt: zeitgenössische Kunst. Jetzt wagt die Galerie ein außergewöhnliches Projekt: Es werden Künstler aus Russland und der Ukraine gemeinsam gezeigt. Nur um Investment geht es hier ganz sicher nicht, der Markt für politisch ambitionierte Kunst ist für Spekulanten unattraktiv.

„Just Art“ – so lapidar dieser Titel klingt, so brisant ist das Unternehmen. Denn schnell wurde der Galerie nahegelegt, aus Rücksicht auf die Schweizer Wirtschaftskontakte nach Russland im Titel auf jede Anspielung auf politische Konflikte zu verzichten. Also unterlegte die Galerie die harmlosen Worte auf der Einladungskarte symbolkräftig mit den Farben der russischen und der ukrainischen Flagge – und lässt nun ausschließlich die Kunst sprechen.

Und die hat allerhand zu sagen. „Wir können es nicht Krieg nennen, aber es sieht so aus“, kommentiert Angelika Sarah, Kuratorin der Artevera's Galerie, die Situation, auf die die meisten Werke anspielen. Sarah stammt aus der Ukraine und hat mit der Galeriedirektorin, Sofia Komarova, die Ausstellung zusammengestellt. Nahezu sämtliche Bilder nehmen deutlich Stellung gegen Gewalt. Und nahezu alle Werke verwenden eine ähnliche künstlerische Sprache: Da werden plakative Szenen im Stil des Sozialistischen Realismus gemalt, mit Menschen in heroischen Posen, die an staatliche Propaganda erinnern, dazu Anspielungen auf Folklore wie Ornamentkränze und merkwürdige Stilbrüche, die eine kritische bis ironische Distanz vermuten lassen. Und immer sind dazwischen präzise platzierte Bildelemente, die auf konkrete politische Situationen verweisen.

Da sitzt etwa in Yuri Solomonkos Bild „Mamai“ (11.800 Euro) ein mandolinespielender Mann auf einer Landkarte der Ukraine. Er trägt die für Kosaken typische Haarsträhne und ist damit deutlich als Einwohner der Ukraine ausgewiesen, erklärt Sarah. Vor ihm liegt eine Kalaschnikow, ein Teil davon ruht nahe der Krim – der Hinweis auf den bewaffneten Konflikt um die Halbinsel ist unübersehbar. Das Werk war sofort verkauft. Auch Andrew Ermolenko macht aus seiner Meinung zur russischen Annektion der Krim kein Geheimnis: Ein Skelett trägt Brot und Salz, die typischen Geschenke beim Einzug in ein neues Haus. Rundherum sind blutrote Rosen und Pistolen angeordnet, unten steht auf einem Spruchband „Willkommen – der Tod droht“ (2200 Euro).

Immer wieder kommt auch der blutige Aufstand auf dem Kiewer Platz Maidan 2014 ins Bild, etwa wenn Mikail Gavritchkov die dunkle Szene „Snipers are working“ (2200 Euro) malt. Gavritchkov gehört zu der russischen Kunstbewegung Cartoon Realism, in deren Bildern in einer plakativen Bildsprache Beobachtungen des Alltags zusammenkommen. So fügen Gavritchkov und auch Kirill Miller in ihre banalen, häuslichen Szenen kleine, rot-schwarz gestreifte Schleifen ein – ein Symbol der sehr rechten, russisch-patriotischen Bewegung.

Deutlich auf die umkämpfte Krisenregion im Osten der Ukraine spielt Roman Minin mit seinen kleinteiligen Reliefs an. Was zunächst wie nette Kirchenfenstermosaike erscheint, erweist sich als ein Getümmel von Bergarbeitern und revolutionären Kämpfern. Jedes Detail erzählt hier von der unstabilen Situation in den „Territorien“, wie die umkämpfte Region genannt wird. Auch „Generator of Donetsk Subway“ (ab 6000 Euro) war schnell verkauft, und zwar dreimal. Selbst in den harmlos erscheinenden Ornamenten von Oksana Mas (ab 28.500 Euro) seien Anspielungen auf die Konflikte enthalten, betont Sarah: Der einst harmonische Zustand der Erde sei jetzt zersplittert.


Spenden für Ukraine. Aber hier stellen nicht nur russische und ukrainische Künstler in einer Ausstellung zusammen aus. Noch brisanter ist der Hintergrund von „Just Art“: Die russischen Künstler unterstützen die Ukraine durch ihre Beiträge. Denn der Verkaufserlös aller Werke kommt zur Gänze bedürftigen Familien in den „Territorien“ zugute.

Die durch Roth angestoßene Diskussion über krumme Geschäfte im Kunstmarkt verdeckt allzu leicht die viel entscheidendere Ebene, die vor allem in der zeitgenössischen Kunst zu beobachten ist: Mit und in ihren Werken suchen Künstler einen Weg, die Wirklichkeit nicht nur darzustellen, sondern auch unsere Perspektive darauf zu verändern – und politische Grenzen und Konflikte zu überbrücken.

Auf einen Blick

In „Wir betreten den Kunstmarkt“ schreibt Monika Roth über Geldwäsche durch Zollfreilager. In Genf steht eines der größten Lager – ist deswegen der ganze Kunsthandel dort mafiös? Im Gegenteil, das zeigt eine Schau von russischen und ukrainischen Künstlern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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